Vorletzte Woche wusste so gut wie jede Zeitung und jeder TV-Sender von einer knappen Mehrheit der Schweizer zu berichten, die sich gegen Einwanderung formiert habe. Wie man es ausdrückte war eine Sache des Stils. Entweder Knappe Mehrheit der Schweizer oder hauchdünne Mehrheit der Schweizer waren hierbei die Renner. Doch beide Formulierungen sind falsch. Denn lediglich eine Minderheit von etwa 25 Prozent aller wahlberechtigten Schweizer hat so entschieden. Das sollte man schon mal erwähnen.
Natürlich ist es nun so, dass diese Minderheit eine Mehrheit erzielen konnte. Und das gilt leider. Aber um von einer knappen Mehrheit der Schweizer zu sprechen, fehlt dennoch eine viel breitere Wahlbeteiligung. Immerhin ist es so, dass 25 Prozent der wahlberechtigten Schweizer für unregulierte Einwanderung waren - und etwa 50 Prozent haben sich überhaupt nicht geäußert. Von einer schweigenden Mehrheit derer, die zustimmten, weil sie nicht stimmten, kann man nicht reden. Es gibt viele Gründe, bei Wahlen jeglicher Art nicht mitzumachen. Manche sind politische motiviert, andere gründen auf Desinteresse. Und wieder andere haben den Tag einfach verschlafen oder es vergessen.
Es ist daher schon frech, wenn man durch die deutsche Presse blättert und von den Schweizern liest, die sich gegen Weltoffenheit entschieden haben. Eine solche Frechheit maßte sich auch der Rest der Bundesrepublik im letzten September an, als man die Bayern als rückständiges Völkchen deklarierte, weil sie den Christsozialen die absolute Mehrheit sicherten. Aber 70 Prozent haben die CSU damals nicht gewählt und haben sich als "anderes Bayern" erwiesen. Wo bleibt da die Differenzierung? Wo die Wertschätzung der "anderen Schweiz"?
Wahrscheinlich sind wir es mittlerweile so gewöhnt, dass bei Wahlen das Viertel einer wahlberechtigten Bevölkerung schon Mehrheit ist, dass wir das gar nicht mehr hinterfragen. Postdemokratie ist kein Zustand, der einfach eintritt und dann da ist. Er schleift sich langsam ein, belegt die Sprache und die Formulierungen und kommt bedächtig in unser aller Alltag. Dass wir fortwährend von Mehrheiten sprechen, die auf Minderheiten gründen, ist ein solcher postdemokratisch-gemütlicher Einbruch in die Strukturen unseres politischen Alltags.
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