Zu Ohren gekommen

Claudia Roth meinte im Verlauf der letzten Wochen mal, dass viele der Flüchtlinge, die nun zu uns kommen, nicht verwertbar seien. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Verwertbar. Nicht so verwertbar wie zum Beispiel der holzige Abschnitt von Spargel, aus dem man mit etwas Küchengeschick noch eine Spargelcremesuppe zubereiten kann. Was hier ins Gastronomische abgleitet, ist zugleich auch die Sprache der Konzentrationslager und der Selektionsrampen. Man kann solche Verben gekoppelt an menschliche Schicksale heute verwenden, ohne gleich Ärger zu kriegen.

Spargel also. Vielleicht verdingen sich viele der Flüchtlinge bald unter Mindestlohnwert wieder auf Feldern. Also nach diesem Winter. Die nächste Spargelsaison kommt sicher. Und dann wird ein gewiefter Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker vor die Kameras treten und sagen, dass Flüchtlinge ja zur Saisonarbeit einsetzbar wären. Man müsse das mal prüfen und dann die Leute dort einsetzen. Einsatz oder wahlweise das Einsetzen. Das sind beliebte Hauptworte in dieser Republik. Hin und wieder kommt einem klugen Kopf in den Sinn, Hartz IV-Bezieher in der Altenpflege einzusetzen. Neulich hat einer gemeint, man müsse Leistungsbezieher in Flüchtlingsunterkünften einsetzen. Sie sprechen wie Feldherren oder Generale, die gar nicht mehr fragen müssen, ob Menschen das eigentlich wollen. Sie delegieren Menschen wie Bauern auf einem Schachfeld, das sie Arbeitsmarkt nennen. Wenn man jemand einsetzen will, dann ist das militärische Verwaltung, nicht aber die Freiheit, die man hier als Versprechen unserer Grundordnung bei jeder Sonntagsrede hört. Wenn man eben Leute wo einsetzen will, dann ist jegliche Mitsprache schon aufgehoben. Hartz IV-Bezieher, dein Einsatz!
Ich bin vom Verwerten zum Einsetzen abgekommen. Die Begriffe sind nicht ganz unähnlich. Aber ich habe es bewusst gemacht, weil man beim Verwerten nichts mehr sagen kann, was nicht automatisch mit Auschwitz oder Treblinka gedacht werden kann. Und ich will das nicht. Diese ewigen Vergleiche. Irgendwann langweilen sie. Außerdem halte ich die Roth nicht für eine Rampendoktorin, die Gebisse sondiert und dann beurteilt. Und weil ich sie dafür nicht halte, macht mir eine solche Wortwahl fast noch mehr Sorgen. Es ist nichts mehr dabei, wenn man so redet. Und selbst solche, die so stolz auf ihren gelebten Antifaschismus sind, reden mittlerweile so und merken es gar nicht. Das Einsetzen hingegen ist eher militaristisch, eher Verwaltungsapparat. Aber das Verwerten, Jungejunge, das ist echt eine Schippe obendrauf. Da denkt man an Alte und Kinder, die nicht arbeiten können und die Kosten verursachen und die man ... ja, was macht man mit denen? Und dann bin ich automatisch wieder im KZ. Man kann nach Auschwitz zwar wieder Gedichte schreiben, es gingen ja Jahre ins Land und die Nazis von damals sterben aus. Aber bestimmte Begriffe sind nicht einfach wieder unverdächtig. Wenn man von Menschen und Verwertbarkeit spricht, dann ist die Rampe ganz automatisch im Hinterkopf.

Wenn man glaubt, dass mit Sprache das Bewusstsein anfängt, dann muss man solche Formulierungen wirklich für hochgradig brandstiftend halten. Und wenn man glaubt, dass das von der Sprache erzeugte Bewusstsein eine Wechselwirkung mit der Sprache eingeht, dann muss man sich fragen, ob Roth schon infiziert ist von diesem Duktus, den man ohne Probleme auch in jedem Konzentrationslager hätte anwenden können. Menschenmaterial allerorten. Hartz IV-Empfänger einsetzen, Flüchtlinge verwerten. Humanismus ade! Wir haben jetzt die freie Marktwirtschaft. Sie hat uns im Griff und lehrt uns sprechen. Und manche von uns macht sie nur noch sprachlos.
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