Zornige Baerbock dichtet in Australien über Tabus bei Staatsschulden - Vermischtes 04.07.2019

Von Oeffingerfreidenker

Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

Spannend finde ich, dass die Parteien mit den meisten Interaktionen & vermutlich größten Reichweiten am wenigsten Geld für Werbung ausgegeben haben & so gut wie keinen Dialog gepflegt haben. Werbeausgaben @DiePARTEI bei Facebook, Instagram, Google, YouTube & Twitter: 0 EUR pic.twitter.com/H7sxhhbjdw

- Martin Fuchs (@wahl_beobachter) 24. Juni 2019

Diese Parteien leben von dem, was in den USA als " earned media" bezeichnet wird, also der Berichterstattung. Aufmerksamkeit ist eine wertvolle Ressource, und bezahlte Werbung ist immer weniger erfolgreich darin, sich dieser Ressource zu verschaffen. Im Fall von "Die Partei" ist das offensichtlich; deren einzige Promotion sind die Sozialen Netzwerke und das Teilen von irgendwelchen Clips. Kein Wunder erreichen die bei Erstwählern diese Werte, da sind sie präsenter als die meisten anderen, weil sie nicht-politische Kanäle dominieren und da quasi alleine sind. Bei der AfD ist die Sache komplizierter, die ist darauf angewiesen, die traditionellen Kanäle zu bespielen (weil ihre Wählerschaft traditionell ist), tut das aber weniger mit Werbung, sondern eben mit earned media. Konkret: Es wird überproportional über die Partei berichtet. Die oft vorgebrachte Idee, dass die Medien die Grünen irgendwie bevorzugen würden, ist angesichts dieser Zahlen kaum haltbar. Der von mir schon oft geäußerte Vorwurf, dass sie die AfD groß machen, dagegen schon.

2) EZB kann es allein nicht schaffen

Bei Helicopter Money, das die EZB verteilen würde, bis die Inflation nachhaltig bei zwei Prozent liegt, kommt es bei den Haushalten zu einem Anstieg des Geldvermögens, dem keine Verbindlichkeiten gegenüber stehen (in der Bilanz des Eurosystems würde das neu geschaffene Geld auf der Passivseite gebucht; der Gegenposten auf der Aktivseite wären vermutlich unverzinsliche und de facto nicht zurückzuzahlende Staatsanleihen). Die Leute hätten tatsächlich mehr Geld zur Verfügung und würden sich ziemlich rasch, wenn auch nicht im vollen Umfang des Transfers, ans Einkaufen machen - bis, ja bis, die Inflation endlich ins Rollen kommt. Keine Ahnung, wie lang das dauern wird. Bei einer Outputlücke im Euroraum, die nach meiner Rechnung rund 12,5 Prozent beträgt, vermutlich eine ganze Weile. Im Grunde müsste die EZB für höhere Lohnabschlüsse plädieren, da es keine Verbraucherpreisinflation ohne Lohninflation gibt. Das hat sie meines Wissens aber noch nie getan. Stattdessen möchte Draghi, dass es endlich zu einer wirksamen europäischen Finanzpolitik kommt: „In den vergangenen zehn Jahren war die Geldpolitik fast allein für die makroökonomischen Anpassungsprozesse verantwortlich ... Es gab Fälle, in denen die Finanzpolitik auf pro-zyklische Weise gegen die Geldpolitik gerichtet war", klagte er in Sintra. Und das mit Recht. Maastricht muss nicht nur reformiert werden, wofür ich erst kürzlich argumentiert habe, ähnlich wie Olivier Blanchard, sondern, so Draghi, es müsste auch die Arbeit an einem ausreichend großen und breit angelegten gemeinsamen finanzpolitischen Stabilisierungsinstrument entschlossen fortgesetzt werden. Der Euro wird auf Dauer nur überleben, wenn es neben der Geldpolitik auch eine wirksame europäische Finanzpolitik gibt, vielleicht zunächst einmal in Gestalt eines Schatzamtes, das Anleihen für europäische Projekte begibt und eigene Einnahmequellen hat. Müssen wir dafür erst auf die nächste tiefe Rezession warten? (Mark Schieritz, Zeit)

Wenn man sich ansieht, welche Prämissen hier drinstecken, kann man eigentlich nur mit argem Pessimismus reagieren. Sicherlich kann die EZB alleine keinen solchen Wandel herbeiführen, keine Institution kann das. Sie sollte das auch gar nicht können, keine Institution sollte das. In einem demokratischen System muss ein Wandel zwangsläufig auf allen Ebenen der Gesellschaft, oder wenigstens den meisten, mehrheitsfähig sein, ansonsten kriegt man das, was gerade in den USA abläuft. Aber, und das ist der optimistische Teil daran, die Tatsache dass wir darüber überhaupt debattieren, dass überhaupt konstante, wenn auch geringe Kritik aufkommt (die dann von den Gabor Steingarts gleich wieder hyperventilierend mit erhobenem moralisierenden Zeigefinger als "Ausverkauf deutscher Interessen" gebrandmarkt wird), zeigt, dass ein klein wenig Bewegung da ist. Da die krassesten radikalen Auswüchse dieser Ideologie durch die Finanzkrise abgeschnitten wurden, befindet sich die ganze Bewegung mittlerweile in Verteidigungshaltung. Das ist Fortschritt. Kleiner Fortschritt, aber Fortschritt.

3) Goodbye to All That: Reflections of a GOP Operative Who Left the Cult

A couple of years ago, a Republican committee staff director told me candidly (and proudly) what the method was to all this obstruction and disruption. Should Republicans succeed in obstructing the Senate from doing its job, it would further lower Congress's generic favorability rating among the American people. By sabotaging the reputation of an institution of government, the party that is programmatically against government would come out the relative winner. A deeply cynical tactic, to be sure, but a psychologically insightful one that plays on the weaknesses both of the voting public and the news media. There are tens of millions of low-information voters who hardly know which party controls which branch of government, let alone which party is pursuing a particular legislative tactic. These voters' confusion over who did what allows them to form the conclusion that "they are all crooks," and that "government is no good," further leading them to think, "a plague on both your houses" and "the parties are like two kids in a school yard." This ill-informed public cynicism, in its turn, further intensifies the long-term decline in public trust in government that has been taking place since the early 1960s - a distrust that has been stoked by Republican rhetoric at every turn ("Government is the problem," declared Ronald Reagan in 1980). (Mike Lofgren, Truthout)

Der Artikel ist von 2011. Für jeden, der Augen hatte zu sehen, war bereits damals klar, wer Mitch McConnell ist. Ich hab mich damals noch nicht so krass für US-Politik interessiert und kann deswegen nicht sagen, wie ich das sah. Ich sah es einfach gar nicht. Aber der grundlegende Mechanismus läuft seit mittlerweile einer Dekade ab. Es ist Sabotage des Staates für parteiischen Gewinn. Die Republicans sind auf einem völlig anderen Level als konservative Parteien in Europa, genauso wie unsere rechtsradikalen Parteien es sind. An einer normal funktionierenden Demokratie mit Rechtsstaat haben die überhaupt kein Interesse.

4) The Illiberal Right Throws a Tantrum

Es ist absolut faszinierend zu sehen, wie häufig bei der aktuell im Westen so vorherrschenden Form von Rechtspopulismus Projektion vorliegt. Regelmäßig werfen diese Leute der liberalen Mitte und der Linken vor, sie seien " snow flakes", sie wöllten " safe spaces", sie würden nur die Meinung anderer nicht ertragen und so weiter, aber sobald ihnen jemand nicht zustimmt gerieren sie sich wie ein Vierhjähriger, der mit Wattebäuschen beworfen wurde und beklagen sich, wie ungerecht und schmerzhaft man mit ihnen umgehe. Das wäre ja zum Lachen, wenn diese Leute nicht, einmal an die Macht gelangt, einfach dafür sorgen würden, dass die gesamte Gesellschaft ihnen zum " safe space" wird: Man sehe sich nur an, wie ein Erdogan oder Orban dafür sorgen, dass öffentliche Kritik praktisch nicht mehr stattfinden kann, oder wie ein Trump sich so unbedingt eine Kontrolle über die Medien wünscht, die man eher in Nordkorea oder Russland erwarten würde (zu deren Diktatoren er entsprechend ein warmes Verhältnis pflegt). Nur die Stärke der amerikanischen Institutionen hält ihn davon ab, diese Wunschträume umzusetzen, und ich werde nicht müde davor zu warnen, dass die mittlerweile jahrzehntelange Unterwanderung dieser Insitution seitens der Republicans zu Erosionserscheinungen führt, die irgendwann zu einem Nachgeben führen müssen.

- Plan Maestro (@PlanMaestro) 16. Juni 2019

Ich nehme diese Grafik vor allem deswegen auf, weil sie eine These bestätigt, die im nächsten Vermischten noch einmal eine Rolle spielen wird: die Republicans glauben ihre eigene Propaganda kein Stück. Sie sind in diesem zynischen "das eine sagen, das andere tun" zwar mit einem demokratischen Alleinstellungsmerkmal gesegnet, aber zumindest was Schulden angeht teilen sie es mit anderen konservativen Parteien. Die große Sorge, die CDU und FDP regelmäßig über die Schulden kundtun, lösen sich jedes Mal magisch in Luft auf, wenn eines ihrer Anliegen finanziert werden soll, und kehren erst wieder zurück, wenn das Geld für etwas ausgegeben werden soll, das ihnen fern liegt. Nicht, dass sie politische Heuchelei gepachtet hätten, aber die Schuldenstände bieten halt eine ungewöhnlich objektive Richtschnur, um diese deutlich zu erkennen. Umso erstaunlicher scheint, dass sie damit durchkommen - zumindest bis man die Idee aufgibt, dass es in der Bevölkerung anders wäre. Die bekundet zwar auch zuverlässig ihre Ablehnung von Staatsschulden, hat aber nie ein Problem, wenn sie von den Ausgaben profitiert. Das ist menschlich, aber nervt trotzdem, wenn man auf der anderen Seite des politischen Grabens zuhause ist.

6) Why Europe's Far Right Is Targeting Gender Studies

For the far right, propping up male authority and promoting a nuclear family that sticks to the gender binary are central tenets of the broader nationalist project. By contrast, gender studies promotes a more fluid understanding of self and society, in particular by recognizing gender as something shaped and interpreted by a given social order, as opposed to an immutable biological fact. In questioning traditional concepts of identity, sexuality, and kinship, gender studies therefore destabilizes the far right's simple narrative of a native "us" versus an alien "them." At the same time, the field disrupts the male authoritarianism integral to much of the far right's self-image, from Orbán's strongman swagger in Hungary to the paternal rhetoric of Matteo Salvini, Italy's interior minister and the leader of the League. And yet, the far-right assault on gender studies is as much about electoral expediency as it is about a conflict of ideas. While gender theorists are hardly a significant cohort at the ballot box, they can be used as a convenient proxy to criticize the European Union, decry the West, and galvanize religious-conservative sentiment. [...] Integral to almost all the attacks is the implication that gender studies itself is not an academic discipline, but something larger and more mendacious. In a brisk rhetorical flip, far-right leaders and their supporters frame gender studies as an "ideology," its researchers as "agents," and they discredit the field's research as raw political agenda rather than legitimate scholarship. Gender studies "has no business in universities," Hungary's deputy prime minister, Zsolt Semjen, said when the discipline's ban was announced. "It is an ideology, not a science." (Eliza Aperly, The Atlantic)

Weil hier im Blog seitens unserer eher konservativ eingesteller Kommentatoren dieselbe Kritik häufig ebenfalls geäußert wird, hier noch einmal die Warnung: Die "Kritiker" attackieren die Gender Studies nicht aus einer Sorge um wissenschaftliche Sorgfaltsstandards, sondern weil sie sie als politische Gegner begreifen. Der einzigartige Hass, den die Gender Studies hervorrufen, sollte nicht davon ablenken, dass diese Angriffe für autoritäre Herrscher wie Orban, Trump oder Kaczinsky nur ein Einfallstor sind, die Freiheit von Lehre und Forschung abzuschaffen. Auch die AfD verfolgt keine anderen Ziele, wenn sie sie kritisiert, weswegen man vielleicht besser über den eigenen Schatten springen und die Gender Studies verteidigen sollte, auch wenn man sie nicht mag. Ich plädiere ja auch nicht für die Abschaffung der Wirtschaftswissenschaften, auch wenn ich der Meinung bin, dass da eine gehörige Menge Scharlatane herumläuft.

7) Ledbury Emerging Poetry Critics

The research asked in simple terms - across those 26 publications - whose poetry is reviewed and whose reviews are commissioned and published? By extension it examines how these results relate to poetry prize culture and the diversity of editors steering the publications, in relation to race and gender.Key statistics from the report include:
  • Between 2011 and 2016, British and Irish poetry magazines and newspapers published review articles by BAME critics 130 times, 3.7% of the total for those years.
  • Between 2017-2018, in the two years since the launch of the Ledbury Emerging Poetry Critics scheme, BAME critics have been published on the same platforms 115 times, 8.3% of the total for those years.
  • Of these 245 articles written by BAME critics, 117 (47.8%) were written by fellows of The Complete Works mentoring programme, the Ledbury Emerging Poetry Critics mentoring programme, or both.
  • The London Review of Books has published 70 articles by 33 different poetry critics. All 33 were white. Those 70 articles reviewed 86 different books. All 86 were by white poets. Of those 83% are male.
  • At the 2011 census, 12.9% of the UK population identified as BAME. Of the twenty-six magazines in the data set still regularly publishing, five surpassed this figure: Poetry Review (14.5%), Poetry London (18.3%), Oxford Poetry (18.5%), The Poetry School Blog (20.4%) and Modern Poetry in Translation (21.4%). (University of Liverpool)
Das ist eine mehr als interessante Untersuchung. Es ist nachgerade albern anzunehmen, dass es dem London Review of Books unmöglich war, ein Buch zur Besprechung zu finden, das nicht von einem Weißen war und qualitativ auf derselben Ebene; selbiges gilt für die dürftige Zahl weiblicher Autoren. Wie ich bereits in meinem Artikel zur Pflichtlektürenproblematik angesprochen habe handelt es sich hier um ein Auswahlproblem, das aus zu großer Gleichmacherei in den Entscheidungsebenen resultiert. Strukturen werden einfach unreflektiert reproduziert. Schaut man sich die in der Studie ebenfalls untersuchte Zusammensetzung dieser Strukturen an, erkennt man leicht, wie diese Auswahl zustandekommt.

8) Modern conservatives don't fear social change, they just oppose it when it undermines their friends

So, what's going on? Do modern conservatives like new technology or fear it? Do they like freedom of speech or don't they? And if both conservatives and progressives are capable of inconsistency when it comes to their principles, is there any point (or hope) in having rational debate anymore? I think there is. While the word "ideology" gets thrown around more than it used to, the fact is, ideology is less important than it has ever been. These days, so-called free market ideologues in the Liberal party love to subsidise coalmines while tying unions and charities up in the red tape that they claim to hate. So-called socialists in the Greens want to use market-based mechanisms to reduce greenhouse gas emissions. The problem isn't the policy positions of the "free-marketeers" or the "socialists" - it's the increasingly meaningless labels that are being used. Modern conservatives don't fear technology, they oppose new technologies that harm their friends. Put simply: renewable energy is a threat to the mining industry, but robot trucks and trains will boost the profits of the mining industry. Modern conservatives don't fear social change. They oppose social change that undermines the power of institutions that they like, such as the church, and they embrace social change like the gig economy because it undermines the power of institutions they fear, like the unions. It's no longer ideologies that defines and divides Australian politics, but interests. While the philosophical positions adopted by political parties might be all over the shop, the interests they support remain remarkably stable. The right tend to line up behind wealth, power and the establishment, and the left fire up to support new industries that solve new problems, and to protect marginalised groups from established institutions. There's nothing wrong with such demarcations, but they have less and less to do with ideology. (Richard Dennis, The Guardian)

Ich glaub die These nicht, zumindest nicht in der harschen Form, in der sie hier präsentiert wird. Dennis zeigt die Entscheidungen von Konservativen und Progressiven hier einzig durch Interessensabwägungen motiviert; dabei unterschätzt er in meinen Augen deutlich, dass Menschen häufig tatsächlich glauben, was sie sagen (wenn es nicht gerade um Staatsschulden geht). Selbstverständlich fürchten Konservative sozialen Wandel, selbstverständlich fürchten Progressive die Effekte des Klimawandels oder sorgen sich um soziale Ungleichheit. Akzeptieren Konservative trotzdem die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und damit einhergehende Zerstörung des klassischen Familienmodells? Klar. Beklagen Progressive sie betreffende Steuererhöhungen, Infrastrukturprojekte und Regulierungen gegen exakt diese Probleme? Klar. Menschen sind keine monolithischen Blöcke. Wir sind und waren ambivalente, paradoxe Geschöpfe, immer schon. Die Literatur (damit sind wir wieder bei DEM Thema) beschäftigt sich Jahrtausenden damit. Da brauch ich gar keine unrealistischen Thesen von wirtschaftlichen Interessen.

9) The Republican Rage Bubble Is Now 30 Years Old

The impression this leaves is that Republicans have moved to the right while Democrats have stayed close to the middle. But that's not actually what the chart tells us. All it tells us is that America is generally more conservative than western Europe. But this has always been true. Republicans were calling Medicare "socialism" decades after nearly every country in Europe had adopted national health care. [...] As you can see, back around 1900 the parties were pretty polarized. Democrats spent the next 40 years moving to the center, but ever since the Depression they've become steadily more liberal. Democrats are now back to where they were in 1900. Republicans showed a similar pattern: the party moved toward the center for 75 years, but ever since the Reagan era they've become steadily more conservative. By 1990 they were back to about where they were in 1900. In other words, everything is fairly normal all the way until 1990. The two parties moved back and forth but they both ended up at about the same place: their 1900 position. The difference is all in the years since then. It's only since the early '90s that the Republican Party has become so extreme. As usual, I blame this on Newt Gingrich, the man who invented modern Republican politics. It's a politics of rage and personal destruction, and the only way to keep that up is to become ever more extreme. It hardly seems possible that this can keep up much longer, but then, we liberals have been saying that for a long time. As Keynes said in a different context, "The market can stay irrational a lot longer than you can stay solvent." Still, it can't stay crazy forever. At some point the rage bubble is going to break. (Kevin Drum, Mother Jones)

Ich wünschte, ich könnte Drums Optimismus teilen. Warum die " rage bubble" die Republicans nicht weit bis zum Ende der amerikanischen Demokratie und darüber hinaus tragen sollte, ist mir unklar. Denn das ist der logische politische Endpunkt. Aber ich hoffe natürlich auch darauf, dass sie irgendwann wieder normal werden. Wertvoll ist Drums Einordnung natürlich unter dem Gesichtspunkt, dass - wie ich auch schon oft genug hier thematisiert habe - die Entwicklung der Republicans in diese Richtung ein Langzeitphänomen ist, das nicht erst mit Trump begonnen hat. Das ist auch deswegen beruhigend, weil eine 40 Jahre lange Entwicklung nicht unbedingt dafür spricht, dass die AfD in Deutschland ähnliche Muster binnen Jahresfrist reproduziert.

10) Baerbock for Kanzlerin

Die naheliegende Frage lautet doch aber: Warum eigentlich Habeck? Warum sollte nicht Annalena Baerbock die Kanzlerkandidatin der Grünen werden? Beide sind Parteivorsitzende, beide werden im nächsten Wahlkampf Spitzenkandidaten sein - und sie wäre mindestens so geeignet wie er. Allein die Tatsache, dass Baerbocks Kandidatur nicht ernsthaft erwogen wird, zeigt, wie Machtfragen im Jahr 2019 noch verhandelt werden. In dem Hype um Habeck steckt eine ordentliche Portion Misogynie. Der Mann gilt als gesetzt, die Frau als, nun ja, ganz fähig - aber eben nicht kanzlerinnentauglich. „Nichts gegen Annalena Baerbock", knödelt Jörges in seiner Eloge auf Habeck gönnerhaft, „sie ist ein kompetentes und sympathisches Gesicht ihrer Partei." Kompetent und sympathisch? Da schwingt wenig subtil mit: Wenn es wirklich wichtig wird, Baby, lass mal die Männer ran. Solche Muster lassen sich in der öffentlichen Rezeption des grünen Spitzenduos immer wieder beobachten. Habeck wird von JournalistInnen als charismatischer Superstar beschrieben, Baerbock als kundige Fachpolitikerin. Er wird für die philosophischen Welterklärer-Interviews angefragt, sie darf die Details der Kohlekommission auseinanderfriemeln. Er wird als moderner, empathischer Mann gefeiert, der sogar seine Hemden selbst bügelt. Sie muss erklären, wie sie den Spagat zwischen Politik und Familie hinbekommt. Selbst schuld, wenn frau kleine Kinder hat und sich erdreistet, Parteivorsitzende sein zu wollen. (Ulrich Schulte, taz)

Ich verfolge die Tagespolitik zugegebenermaßen zu wenig für ein fundiertes Urteil, aber Habeck ist deutlich der Bekanntere von beiden, oder? Ich tue mich oft schwer damit, mich überhaupt an Baerbocks Namen zu erinnern. Diese Tatsache mag natürlich durchaus auf die im Text angesprochenen strukturellen gesellschaftlichen Ursachen zurückzuführen sein, aber man sollte nicht so tun, als stünden sich hier zwei gleich bekannte und für die Spitzenkandidatur geeignete Kandidaten gegenüber und man würde quasi bewusst aus sexistischen Motiven einen beiseite schieben; die Ursache liegt da wenn schon tiefer. Aber auch das bezweifle ich, denn die Qualitäten, die Baerbock hier zugesprochen werden, qualifizieren sie halt eben gerade für eine unterstützende Funktion als stille, aber effektive Managerin in der zweiten Reihe und nicht als Rampensau. Man sollte Angela Merkel da nicht zu sehr als Standard nehmen, die war glaube ich eher Ausnahme als Regel.

Saying, "This is rape!" or "That is a concentration camp!" or "The government is abusing innocent children!" is not having the desired effect, because the president and his allies are leeching the powerful stigma attached to these crimes. The loss of taboo shows us its value, and how prohibitions are a crucial part of the social contract we live by. In the absence of law or when the law is used to commit moral outrages, the taboo is enforced by society and policed by language, which is why, for example, Republicans hysterically deny that U.S. government is shuttling desperate migrants into "concentration camps," but, rather, into something else, something nameless. [...] Yet more dispiritingly, leading Democrats were complicit in destroying this particular taboo. "I wouldn't dismiss it, but let's be honest, he's going to deny it and little is going to come of it," said Senator Richard Durbin of Illinois, giving new meaning to the word "honest." Meanwhile, the national news media paid relatively scant attention to what should be a presidency-ending claim, to the point that The New York Times apologized for not covering Carroll's claims more extensively. [...] How do you repair a broken taboo? They take so long to build, and they cost us so much in suffering. The global taboo on anti-Semitism, for example, seems to have been only temporarily bought by the death of six million Jews. The despair that underlies all of these questions stems from the suspicion that nothing has meaning at all anymore: not words, nor democracy, nor lists of rights, nor the Ten Commandments, nor the Atlantic Treaty, nor anything else that humanity has learned through the great trial-and-error experiment we call world history. It's easy to speak out when a taboo has been broken; harder to make those words meaningful once more. (Josephine Livingston, The New Republic)

Ich bin absolut kein Fan von Nazi- oder KZ-Vergleichen, weil das Tabu, das wir um diese herum errichtet haben, durchaus aus gutem Grund da ist und wahnsinnig anstrengend zu errichten und zu erhalten war, wie der obige Text ja durchaus richtig darlegt (der auch jenseits des Zitats viel interessante Fakten um die historische Entstehung von Tabus hat). Ansonsten stimme ich der Grundlinie aber zu: Tatsächlich arbeiten die Republicans massiv daran, implizite Tabus abzubauen, indem sie die Grenze des Sag- und Diskutierbaren wahnsinnig nach rechts verschieben (aber gleichzeitig die Reform der Krankenversicherung als Unsagbar und Undiskutierbar abzustempeln versuchen, da sind wir wieder bei Fundstück 4). Und das muss benannt und bekämpft werden.