"Zodiac" taucht ab in die 60er und 70er Jahre, sieht nach 60er und 70er Jahre aus, fühlt sich auch so an, ist 60er und 70er Jahre, mit jeder Kameraeinstellung, mit jedem Pinselstrich, jeder Geste hüben wie drüben. Um eine Epoche samt ihrer politischen wie wirtschaftlichen Zerwürfnisse nachzustellen, braucht Fincher keine Hektik, er entzieht der Hektik stattdessen ihre Grundlage, wenn er geschmeidig, aber nicht minder virtuos zur langen Einstellung greift. Reißerische Effekte existieren nicht, Pessimisten sagen, Fincher wäre sanfter geworden, Optimisten, er wäre reifer.
Der Film wurde komplett in HD abgefilmt, und obwohl alle Farben einer starken Verfremdung unterliegen, wirkt die Farbgebung dennoch authentisch. Warme, erdige, orange-grüne Töne der Ungezwungenheit treffen düstere, verstörende, mausgraue der Tristesse. Nur manchmal verlässt Fincher die Ebene des verschachtelten Drehbuchs James Vanderbilts, des reinen Geschichtenerzählens also, um es künstlerisch zu verpacken. Den Bau eines Gebäudes zeigt der Regisseur im Zeitraffer, Jahre werden durch Schwarzbilder überbrückt oder etwa direkt eingeleitet, Zeitungsausschnitte schweben im Raum, perfektioniert mit David Shires punktgenauer Musikumrahmung aus zeitgenössischen Songs.
Gegenüber Finchers Regiearbeiten von einst, die zwar ebenfalls fest verankerte Genreregeln subversiv außer Kraft zu setzen versuchten, sich aber merklich diesen annahmen, demontiert Fincher mit "Zodiac" die Mechanismen des Genres vollständig, indem er sie bar jedweder audiovisuellen Überspitzung (Ausnahmen: siehe oben) im, fast könnte man sagen, antiquierten Erzählkino neu zu verhandeln weiß. Der Vergleich mit dem thematisch verbrüderten "Sieben" scheint derweil nicht weit hergeholt – beide Filme schauen den sukzessive abgewirtschafteten Ermittlern über die Schulter, wie sie einen neurotischen Killer jagen und dabei ihre Identität verlieren.
Wo "Sieben" allerdings religiöse Gründe für des Täters Motiv in einem tristen Moloch ausbuchstabiert, verdichtet Fincher in "Zodiac" das Leitthema des namenlosen Schreckens auf die Narrative. Die Identitätslosigkeit des Serienmörders im Mikrokosmos dient als gesellschaftliches Angstsurrogat im Makrokosmos. Fast gelangweilt spult Fincher die Verbrechen in den ersten Minuten ab, es ist somit anzunehmen, dass er den Voyeurismus des von ihm in die Postmoderne herübergeschleppten Serienkillerfilms in seine Einzelteile zerlegt und ihn wieder zu seinen Ursprüngen führt, dort wo sich alles noch im Kopf formte, im Schatten, die Grausamkeit, das Leid, natürlich auch die Angst.
Das Analysieren des eigenen Eingeständnisses, dass man genau weiß, dass man nichts weiß, obwohl man weiterzumachen gedenkt, führt bei Fincher zum Verfall der Seele, weil er alle Rätsel, mit denen sich die Ermittler auseinandersetzen müssen, irgendwann in deren Kopf zu stark festbeißen, sich zu einer Besessenheit auswachsen, sie mürbe machen. Er transferiert die Denksportaufgaben des Phantoms mit den ominösen Zeichen in die Hirne der ihm hinterher Jagenden, in der Hoffnung, wenigstens eine davon zu lösen.
Das Verwirrspiel liefert also nicht nur per se Zodiac, das grundlegende Verwirrspiel rattert allein im Kopf derer vor sich hin, die Getriebene ihrer eigenen Motive geworden sind. Überhaupt hat der Film allerhöchstens triviale Gestalten mit klassischem Genrekino gemein – von Recherchen, Journalisten, der Polizei, dem Ermitteln ist da die Rede. Allerdings spielt bei Fincher letzteres die denkbar wichtigste Rolle. Ihm geht es nicht darum, den Killer aus Rache notgedrungen zu jagen, sondern das entfesselte Nachbohren, Dechiffrieren und Eruieren als eine Art persönlichen Zwang zu verstehen, der – scheinbar – Erlösung bedeuten könnte.
Dies ist es hauptsächlich: Erwartungen infolge einer Herangehensweise zu untergraben, die für den Regisseur, aber auch sein Publikum befremdlich erscheinen mag. Fincher inszeniert Vignetten, Ereignisse, Situationen, Randnotizen, Expeditionen mit dem kühlen Blick eines Mechanikers auf ein Zahnrad aus unzähligen Einzelteilen, die niemals uneingeschränkt zusammenpassen werden. Er richtet nicht, er schaut, dokumentiert, begleitet, er begleitet Personen durch Jahrzehnte der Stadien der Angst. Sie kommen und verschwinden wieder, die Codebilder, die Personen, die sie nicht knacken. Der einschlagende Knall – wie in "Sieben" – wird genauso unerreichbar bleiben wie ihr omnipräsentes Gespenst, das undurchschaubare Kreuzworträtsel namens Zodiac.
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