“Junge Welt”, 29.05.2013
Konjunktureintrübung und Geldschwemme in der wichtigsten globalen Wachstumsregion drohen Weltwirtschaft in Abwärtsspirale zu ziehen
Noch vor wenigen Tagen verbreitete die japanische Notenbank (Bank of Japan – BoJ) Optimismus. Die Konjunktur habe sich in den vergangenen Monaten deutlich belebt, ließ sie am 22. Mai erklären. Das seit Jahrzehnten unter einer hartnäckigen Deflation (Preiserosion bei anhaltender Kaufzurückhaltung der Konsumenten; d. Red.) und ökonomischer Stagnation leidende Land verzeichnete im ersten Quartal 2013 einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) um 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr wäre das ein Plus von 3,5 Prozent. Angetrieben werde der Aufschwung durch die Exportwirtschaft, die sich dank des fallenden Yen-Kurses rasch habe erholen können. Überdies sahen die Notenbanker erste Anzeichen für einen Anstieg der Kapitalinvestitionen und eine Belebung der Konsumnachfrage in Japan. In Erwartung dieser Konjunkturbelebung kletterte der japanische Börsenleitindex Nikkei auf den höchsten Stand seit rund fünf Jahren.
Schon im April hatte die BoJ vermeldet, der Abschwung der Wirtschaft sei beendet worden, der die exportabhängige Industrienation in eine abermalige Rezession zu treiben drohte. Somit schien die radikale Lockerung der Geldpolitik erste Erfolge gezeitigt zu haben. Die Notenbanker erklärten folglich, weiterhin auf Kurs bleiben zu wollen. Die insbesondere von der deutschen Bundesregierung kritisierte Lockerung sieht eine jährliche Ausweitung der Geldbasis um bis zu 70 Billionen Yen (rund 530 Milliarden Euro) vor. Erklärtes Ziel: Eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent. Diese Liquiditätsflut – die auch durch Aufkauf von eigenen Staatsanleihen und Finanzinstrumenten durch die BoJ umgesetzt wird – führt zur Abwertung des Yen. Dadurch werden japanische Ausfuhren auf den Weltmärkten günstiger. Zudem hat die Regierung um Ministerpräsident Shinzo Abe ein umfangreiches Konjunkturprogramm aufgelegt, das zusätzliche staatliche Nachfrage generiert.
Das »billige« Geld läßt aber auch die Gefahr der Bildung von Spekulationsblasen auf den Finanzmärkten wachsen. Der Nikkei legte allein in diesem Jahr um 45 Prozent zu – bis zum vergangenen Donnerstag. An diesem Tag lösten miese Konjunkturzahlen aus China ein Aktienmarktbeben aus, Japans Leitindex gab um mehr als sieben Prozent nach. Dieser Warnschuß legte die fundamentale Labilität der auch als »Abenomics« bezeichneten Roßkur des Premiers offen. Wirtschaftswachstum kann so nur noch durch eine extreme Geldschwemme, ausartende Staatsverschuldung und exportfördernde Währungsabwertungen (»Währungskrieg«) realisiert werden.
Eine nachhaltige konjunkturelle Erholung der drittstärksten Wirtschaftsmacht der Welt – die rund 18 Prozent ihrer Ausfuhren in der Nummer zwei, China, absetzt – scheint angesichts der diffizilen Lage in der Volksrepublik inzwischen illusionär. Deren Industrieproduktion soll laut dem Einkaufsmanagerindex des britischen Bankgiganten HSBC in diesem Mai erstmals seit sieben Monaten schrumpfen. Der auf einer Umfrage unter Industriebetrieben basierende Frühindikator sank mit 49,6 Punkten unter den Grenzwert von 50, dessen Unterschreiten einen Rückgang der Industrieproduktion markiert. Zudem ist ein Anstieg der Lagerbestände in Chinas Fabriken konstatiert worden, was darauf schließen läßt, daß Unternehmen inzwischen »auf Halde« produzieren. Dieser Prozeß ist durch die schlechte Entwicklung der chinesischen Exporte in die USA und vor allem in die EU befeuert: Im April gingen die Ausfuhren nach Europa um 6,4 Prozent zurück, Chinas Exporte in die Vereinigten Staaten schrumpften um 0,1 Prozent. Insbesondere die Nachfrageeinbrüche in der EU belasten die Exportindustrie: Bereits im März gingen die Ausfuhren Chinas in die EU um 14 Prozent (im Jahresvergleich) zurück.
Inzwischen gerät sogar das bereits nach unten revidierte Jahreswachstumsziel der Pekinger Führung von 7,5 Prozent in Gefahr – was ohnehin den niedrigsten Anstieg des chinesischen BIP seit mehr als zwei Dekaden markieren würde. Die konjunkturelle Eintrübung dürfte auch auf weitere südostasiatische Ökonomien ausstrahlen: Südkorea und Taiwan setzen inzwischen rund 25 Prozent ihrer Exporte in der Volksrepublik ab.
Auch die rezessionsgeplagte Euro-Zone wird unter der Wachstumsschwäche in Fernost leiden. China hat bereits 2012 die USA als den größten Exportmarkt Europas abgelöst. Angesichts der durch den Austeritätskurs bedingten, schwachen Binnenkonjunktur sollten vor allem die Ausfuhren in Schwellenländer und die USA zur wirtschaftlichen Reanimierung des Währungsgebietes beitragen – die gerade durch Sparmaßnahmen und Lohnkahlschlag ihre »Wettbewerbsfähigkeit« verbessern will.
Die drohende wirtschaftliche Abwärtsspirale, bei der sich die Tendenzen in Fernost und Europa wechselseitig verstärken könnten, dürfte vor allem die deutsche Exportwirtschaft vor Probleme stellen. Allein die BRD steht für rund die Hälfte der europäischen Ausfuhren in die Volksrepublik. Und es waren vor allem der steigende Warenabsatz in Fernost, der Exporteinbrüche in den »Heimatmärkten« kompensieren ließ. Wie sehr Deutschlands führende Industriekonzerne auf die – nun schwächelnden – Absatzmärkte in Fernost setzen, wurde bei der jüngsten Premiere der Mercedes S-Klasse deutlich: Rund die Hälfte der Jahresproduktion von »mehr als 100000 Stück« dieser überteuerten Nobelkarossen will der Daimler-Konzern in China verkaufen.