Kampagne faschistischer Zionisten offenbart totalitäeres Medien-und Geschichtsverständniss
Was geschah im sogenannten Unabhängigkeitskrieg 1948 (und auch schon vorher) wirklich? Welche Befehle wurden ausgegeben, gegen die Palästinenser vorzugehen? Wie sahen diese Befehle 1967 und in Israels anderen Kriegen aus – bis zum Angriff auf den Gaza-Streifen 2008/2009? Was geschah im Mai 2010 wirklich bei der Erstürmung der Gaza-Hilfsflottille durch israelische Soldaten? Fragen, auf die die internationale Öffentlichkeit in der Tat gern genaue Antworten haben möchte – sie aber nicht bekommt, weil die israelische Propaganda das zu verhindern weiß. Damit sich das nicht ändern soll, sondern die Welt noch einseitiger auf Israels Darstellung der Realität eingeschworen wird, haben jetzt rechtsgerichtete Israelis bei einem Treffen in Jerusalem die Initiative „Zionistisches Schreiben“ gegründet. Ziel der Gruppen – „Jescha Coucil“ (Akronym für Judäa, Samaria und Gaza) und „Israeli scheli“ („Mein Israel“) ist es, alle Israel betreffenden Eintragungen auf dem Internet-Lexikon Wikipedia im Sinne des zionistischen Staates umzuschreiben. Jeder kann ja hier mit Eintragungen tätig werden.
Was hier angekündigt wird, ist ein propagandistischer Großangriff auf das digitale Medium, der totalitäre Züge trägt. Denn das Ziel dieser Kampagne ist klar: Es gibt nur eine Wahrheit in Bezug auf Israel, seine Politik und Geschichte – und das ist „unsere Darstellung“ und nur die darf verbreitet werden! Das passt ins Bild: Denn vor kurzem hatte die israelische Regierung die Bürger des Landes aufgefordert, millionenfach e-mails an Menschen in aller Welt mit der Botschaft zu schicken: „Nur unsere Darstellung dessen, was auf den Schiffen der Gaza-Flottille geschah, ist richtig! Wir waren die Angegriffenen und die Opfer!“ Was zählen da schon die Aussagen der hunderte Teilnehmer, die selbst dabei waren – alle offenbar notorische Lügner!
Aber eine einseitige Sicht auf die Dinge hat im Zionismus eine lange Tradition. Die Darstellung der eigenen Geschichte war immer eine willkürliche Konstruktion und eine Ansammlung von Mythen, die erst in den letzten Jahren von „postzionistischen“ Historikern zerstört worden sind. Männer wie Avi Shlaim, Tom Segev, der frühe Ben Morris, Ilan Pappe und Shlomo Sand (um nur einige zu nennen) haben hier Großes geleistet und die zionistische Geschichte vom Kopf auf die Füße gestellt. Oder anders gesagt: Sie haben der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen. Und die sah für das israelische Establishment nicht sehr freundlich aus. Denn die Zionisten haben nicht nur die eigenen Vergangenheit verdrängt, sie wollten immer auch andere zwingen, Gleiches zu tun – so wie jetzt die rechten Aktivisten, die alle Israel-Artikel bei Wikipedia umschreiben wollen.
So zerstörten die Israelis mit der 1948 an der Palästinensern vorgenommenen „ethnischen Säuberung“ („Entarabisierung“) zugleich auch systematisch alle historischen Spuren dieses Volkes, das hier Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende gelebt hatte. Nichts sollte mehr an ihre lange Anwesenheit in Palästina erinnern. Ilan Pappe hat diese Gedächtnisauslöschung einen „Memorizid“ genannt. Und die Israelis verdrängen bis heute dieses von ihnen an diesem Volk begangene Verbrechen – die Nakba. Sie wird nicht nur als historische Tatsache und als Verbrechen geleugnet, sondern den Betroffenen selbst soll gerade durch ein von der Regierung Netanjahu eingebrachtes Gesetz verboten werden, sich an diese Katastrophe zu erinnern.
Aber damit nicht genug. Wie groß die Angst vor der eigenen Vergangenheit ist, zeigt eine Verordnung, die Ministerpräsident Netanjahu vor kurzem unterschrieben hat. Sie schränkt den Zugang zu den Regierungsarchiven ein: 50 Jahre altes Material, das nun eigentlich für historische Studien der Öffentlichkeit freigegeben werden sollte, bleibt für zwei weitere Jahrzehnte verschlossen. Selbst der Staatsarchivar Professor Yehoshua Freundlich musste in einem Haaretz-Artikel vom 29.7.10 gestehen: „Dieses Material ist nicht für die Öffentlichkeit geeignet!“ Er fügte hinzu, dass einiges des als geheim eingestuften Materials Auswirkungen auf Israels Festhalten am Völkerrechts haben könne. Die Dokumente, die unter Verschluss bleiben sollen, haben dem Artikel zufolge die Vertreibung der Palästinenser und die Massaker an ihnen während des Unabhängigkeitskrieges, die Mossad-Operationen im Ausland, die Überwachung von israelischen Oppositionspolitikern durch den Shin-Bet-Geheimdienst sowie den Aufbau der Atomforschung und der biologischen Forschung zum Inhalt.
Der weitere Verschluss der Dokumente stieß auch bei nicht in Israel lebenden Juden auf scharfe Kritik. So meldete sich aus London Henry Siegman zu Wort, der dort eine Gastprofessur für Probleme des Nahen Ostens innehat und von 1978 bis 1994 nationaler Direktor des US-jüdischen Kongresses war. Er schrieb: „Israel, das in diesem Jahr seinen 62. Geburtstag feiert, muss sich auch mit den weniger heldenhaften Kapiteln seiner Vergangenheit auseinandersetzen und sie der Allgemeinheit und für historische Studien zugänglich machen. Israelis sollten die Geschichte studieren können, wie sie wirklich geschah und wie sie dokumentiert wurde, und nicht eine zensierte und verschönerte Version.“
Genau das, eine zensierte und verschleierte Version von Israels Vergangenheit und Gegenwart aber wollen die Aktivisten von der „Aktion zionistisches Schreiben“ bei Wikipedia ins Netz stellen, damit die Welt Israel endlich „richtig“ beurteilen kann. Diese ideologischen Verdreher der Wirklichkeit haben ja auch rührige Freunde in Deutschland, die dafür sorgen, dass kritische jüdische Intellektuelle wie Ilan Pappe und Norman Finkelstein hier keine Räume für ihre Vorträge bekommen. Wann finden wohl die ersten Prozesse statt, um deren Bücher zu verbieten?
Natürlich können und sollen auch Israelis ihre Version der eigenen Geschichte und Politik ins Internet stellen können, aber bedenklich wird es, wenn sie wie die rechten Aktivisten mit der Absicht auftreten, die einzig zulässige Wahrheit zu besitzen und alle anderen Versionen verdrängen zu wollen. Eine solche Bestrebung ist totalitär: Man muss den anderen gar nicht mehr anhören, denn es gibt eben nur eine „richtige“ Sicht der Dinge. Dass deutsche Israelfreunde und sogenannte Antideutsche solche Bestrebungen unterstützen, ist in einem Land, in dem (immer noch!) Presse- und Meinungsfreiheit herrschen, eine eher merkwürdige Befindlichkeit. Für Israel, das sich in selbstgerechter Selbstisolation im Nahen Osten „einmauert“ und die paranoische Devise pflegt „Die ganze Welt ist gegen uns!“, ist eine solche Entwicklung lebensgefährlich. Wie Ilan Pappe es einmal formuliert hat: „Die Israelis sind Gefangene ihrer eigenen verzerrten Realität!“. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.