Zigeuner und Zi-Goy-ner: Tanzen

Einen schönen Abend, liebe Leser!

Inzwischen habe ich es doch tatsächlich gewagt, mich in einen Ungarischkurs einzuschreiben. Ich als gebürtiger Indogermane – kann mit der Ungarischen Sprache leider überhaupt nichts anfangen, deshalb wird es Zeit erste Schritte zur Integration zu setzten und nach einem Jahr kommt dann vielleicht ein richtiger Magyar aus Budapest zurück (oder er geht ganz woandes hin).

Das Ungarisch hat in Europa neben Finnisch und Estnisch einen besonderen Stellenwert. Während alle anderen Sprachen in Kontinentaleuropa
(Bitte jetzt Malta, die Türkei und den Kaukasus wegrechnen, sonst wird’s kompliziert – und für meine Baskischen Leser (hab ich welche?) – euch vergesse ich natürlich auch nicht!)
auf die fiktive Volksgruppe der Indogermanen zurückzuführen sind, bereichert die magyarische Sprache den Kontinent mit einem ganz besonderen Klang.

Ungarisch ist agglutinierend. Das heißt aneinanderklebend und bedeutet für Nichtungarn, soviel wie überfordernd, unaussprechlich und undefinierbar. Aber wie sagt schon ein Ungarisches Sprichwort?

„A magyar nyelv nem fenékig tejföl“

„Ungarisch ist nicht bis zum Boden Sauerrahm…“

Was mich sehr hoffen lässt bald die Schönheit der Sprache bald kennenzulernen dürfen und mehr Wörter als Kürtasch (Baumkuchen), Köszönöm (Danke) und Rendörszeg (Polizei) herauszubringen. Ich halte euch definitiv auf dem Laufenden.

Eine Sprache in Europa vergisst man aber gerne – es ist möglicherweise die Indogermanischste von allen: Romanes – oder etwas plumper: „Zigeunersprache“

Romanes oder Romani ist aber nicht gleich Romanes oder Romani… Das Fahrende Volk hat sich vor über Tausend Jahren in ganz Europa niedergelassen und in dieser Zeit auch lokale Dialekte oder Sprachen in die eigene eingebaut, daher existieren in Europa unzählige blumige Varianten davon, die teilweise fast nichts miteinander gemein haben.

Wenn wir jetzt also an das fahrende Volk denken, was fällt uns spontan ein?

Zigeunerschnitzel.

Ähh. Blödsinn. Komplett falsch. „Zigeuner“ sollte nicht synonym zu „mit Paprika und Scharf“ verwendet werden, sonst wäre „Wiener“ doch auch ein Synonym für „fett mit Pommes“.

Ich meine natürlich die Musik, deren Weisen von den Weiten der Puszta erzählen, deren Klang aus allen Gegenden zwischen Europa und Indien zusammengetragen wurde und deren Rhythmus auch noch so verstockte Menschen zum Tanzen bewegt.

Vor wenigen Tagen habe ich mein erstes „Gipsy Music Concert“ erlebt, der Name der Band lautete Szilvasi Gipsy Folk Band – glücklicherweise war es laut meinen Kollegen nicht so ein Konzert, wie es Touristen serviert bekommen, sondern wie die Musik (angeblich) wirklich gespielt wird.

Seit mehr als vier Jahren tanze ich… Normalerweise Discofox, Salsa, o.ä., aber in diesem Fall musste ich befürchten, dass mir meine Kenntnisse nicht hilfreich waren…

Es gibt keine standardisierten Schritte, hier herrscht der Freistil. Wie sehr „freigestilt“ wird zeigt der Beginn des Abends mit dem „Chinese Gipsy Song“:

Zigeuner und Zi-Goy-ner: Tanzen

Das ganze sieht ziemlich interessant aus… Ich wollte es probieren, auch wenn ich damit rechnen musste, komplett dämlich auszusehen.

Ich will mich schon auf die Bühne stürzen, warte aber ab und plötzlich sagt mein Tischnachbar, mit dem ich mich angefreundet hatte:

„Zigeuner können diese Tänze anscheinend von Geburt an… Für einen Gadžo – einen Nichtzigeuner ist das unmöglich, die würden sich nur blamieren“

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Interessant. Als ich einmal kurz nicht auf die Bühne geschaut habe sehe ich es plötzlich hinter mir. Ein Romakind. Tanzend. Wild herum und doch mit einem gewissen System. Es wirkt nicht lächerlich und schon gar nicht plump. Kann an dieser Aussage etwas dran sein?

Zigeuner und Zi-Goy-ner: Tanzen

Damals, als ich selbst tanzen gelernt habe, hat der Tanzlehrer immer die Schritte vorgemacht und wir haben sie dann nachgemacht, zuerst synchron mit ihm, dann alleine, dann mit Partner. Meine letzte Einheit ist schon lange her…
Damals ging es nur darum die Schritte zu lernen.
Hier würde ich mit den Schritten alleine nichts anfangen können. Sie zu kopieren wäre nutzlos – ich musste den Stil kapieren. Ich müsste mir den Rhythmus aneignen, ohne „herumzufetzen“. Ich muss die Seele der Musik spüren.

Wie macht der Tänzer das? Irgendwoher kenne ich diesen Schritt, den er oft einbaut, ich habe ihn sogar einmal getanzt. Später fällt mir ein, dass er an den Lockstep im Quickstep erinnert, bei dem man eine Art Zwischen-Kreuzschritt einlegt – aber wie gesagt… nur erinnert.

Zigeuner und Zi-Goy-ner: Tanzen

Es ist Pause. Ich entferne mich kurz – um recht erstaunt wieder aufzutauchen. Was musste ich feststellen: Meine chinesischen Freunde waren plötzlich auf der Tanzfläche! Ohne mich! (es stellte sich heraus, dass sie von den Tanzenden einfach mitgenommen wurden)
Dem konnte nachgeholfen werden – mit einem Satz ins Getümmel war ich dabei – und habe getanzt. Es war mir recht egal, ob ich es zustandebringen würde oder nicht – ich wollte einfach nur dem Willen meiner Füße freien Lauf lassen und diese wollten ihre Freiheit.

Es war fantastisch.

Von Danceclubs habe ich nie sehr viel gehalten, da mir die meisten Betrunkenen auf den Wecker gegangen sind, die den Dancefloor dahingehend genutzt haben, um sich mit einer Flasche Bier hinzustellen, lustig zur Techno- oder House-“Musik“ herumzuwackeln und hin und wieder ihr Bier fallen zu lassen…

Das hier war komplett anderes… Es war Musik und kein Gedröhne und selbst als der ganze Platz okkupiert war war es gigantisch.

Plötzlich bildet sich vor mir ein Kreis – ich schließe mich an. Das Mädchen eine Position weiter tanzt in die Mitte des Kreises und macht ein paar sehr beeindruckende Figuren – sie ist definitiv eine Roma.

Danach der Mann neben mir – atemberaubend… Er ist ebenfalls Roma.

Oy… jetzt… Ich zögere… Die beste Freundin meines Mitbewohners ist neben mir und lacht mich an „It’s your turn, Mario“

It’s my turn!

Ich bin in der Mitte des Kreises und tanze. Der Sänger der Band bemerkt das – und spielt schneller. Ich folge.

Um ehrlich zu sein kann ich mich nicht daran erinnern, was ich im Zentrum gemacht habe. Fakt ist: Ich habe es gemacht.
Ich habe tatsächlich zu Roma Musik getanzt… Und nicht wenig.
Nachdem meine Zugabe beendet war beglückte meine Umgebung mich noch mit ein Applaus. Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie stolz ich in diesem Moment auf mich war

Der Abend ging dann leider bald zu Ende. Da ich die ganze Zeit mitgegröhlt hatte, bevorzugte es meine Stimme sich für eine gewisse Zeit zu verflüchtigen und am nächsten Tag erfreute ich mich wieder der Tatsache, dass die Arbeit wieder einmal gerufen hatte

Meine Kollegen waren immer noch ganz musikalisch drauf vom Vorabend – und Erzählungen über meine Fähigkeiten als Tänzer machten die Runde… War ich wirklich gut?

Nach der Betrachtung des Videos allerdings… Bin ich doch eher Zi-Goy-ner als Zigeuner…
(Für alle, die dem Deutsch-Jiddischen nicht mächtig sind: „Goy“ ist laut dem Österreichischen Wörterbuch ein eher abwertendes Wort für einen Nichtjuden)

Aber seht selbst:

Zigeuner und Zi-Goy-ner: Tanzen


Filed under: Magyarország, Reiseinformation, Roma

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