Zieh Dich an, wir müssen reden

Wenn zwei Menschen sich zueinander hingezogen fühlen tragen sie in der Öffentlichkeit meist Kleidung. Es sei denn, sie sind FKK-Anhänger. Ich musste auf Sylt am FKK-Strand einen Großteil meiner Kindheit und Jugend verbringen – ein zweifelhaftes Vergnügen das mein Verhältnis zu Textilien prägte. Als Heranwachsende wollte ich viel lieber an den Textilstrand, denn dort konnte ich am Schnitt eines Bikinis oder der Wahl einer Badehose so Einiges über die Menschen ableiten. Ich entwickelte mich in Gesellschaft bekleideter Menschen zu einer professionellen Voyeurin. Vom Salzwasser ausgeblichene Stoffe (Typ sparsam und treu), Frottee-Bikini (süß), Schleifen an den Hüften (kokett), winzige Stoffdreiecke für C-Körbchen (draufgängerisch), Board-Shorts (sportliche Bad Boys) oder enge Speedo-Teilchen (selbstverliebt). Bei der Strandmode drückte sich zuverlässig so einiges durch und aus, denn Textilien können kommunizieren, wobei mir damals unverhüllte Geschlechtsteile immer nur dasselbe zu sagen schienen.

Meine Studien der Modekommunikation habe ich als Erwachsene fortgesetzt, sie werden wohl niemals enden, denn ich bleibe neugierig und lasse mich furchtbar gern überraschen. Und ich experimentiere leidenschaftlich.

Dabei können die Dynamik des frühen Zeitpunkts einer romantischen Beziehung und die Be-Deutung der Kleiderwahl bemerkenswert aufschlussreich sein. Schließlich zeigen wir uns in dieser Phase von unserer interessanten Seite. Und liegen dabei oft total daneben.

 Das Höschen Dilema à la Bridget Jones 

Das Höschen Dilema à la Bridget Jones 

Und wenn wir ehrlich sind, ist da noch der Anspruch, der andere möge uns gefallen, also sein Kleidungs-Stil solle doch, bitteschön, auch unserem Geschmack entsprechen. Was dann unter Freundinnen zu profanen Fragen wie „was hatte er an?“ führt. Dabei schlittern reife Menschen ungebremst ins Fahrwasser von Teenagern. Als würde der Anzug, das Hemd oder die Unterhose Aufschluss über den Charakter eines Menschen geben. Ist das total oberflächlich? Aber ja. Ist es total menschlich? Unbedingt. Frauen reagieren beispielsweise mit Bestürzung auf schlecht sitzende Hosen oder Kaschmirpullover in Softeisfarben. Tinder-Dates werden vorzeitig beendet, wenn die falsche Sonnenbrille auf der Nase sitzt. Von Fluchtreflexen bei debilen Drucken auf Boxershorts wurde ebenfalls berichtet. Bartträger-Hipster in Spielhosen, die ihren Arsch auf Kniehöhe spazieren führen, haben den Ruf von problematischen Spielgefährten, die auf den Schoß wollen.

Das Gros der Großstadt-Männer ist meist positiv gestimmt bei figurbetonten, möglichst rüschenfreien Kleidern und favorisiert weibliche Wesen in Apfelhintern-Jeans. Auf schrille Muster reagieren Herren oft sensibel, das erinnert sie an Familienfeste mit lauten Tanten oder an Omas, die ihre Enkel bei Geburtstagen an die nach Nelkenseife muffelnden Brüste drückten.

Männer stehen zudem recht zuverlässig auf die Wirkung weißer, taillierter Blusen – die Kombination mit Bleistiftröcken und Pumps befördert sie direkt in die Phantasie von schnellem Sex mit Chefsekretärinnen und Stewardessen. In einer klassischen Uniform kann bei einem Date kaum etwas schief gehen (...).

Hingegen können das Tragen von Ballerinen, ambitioniertem Lagenlook oder übertrieben weiten Hosen bei Männern ein erotisches Fiasko heraufbeschwören. Vor kurzem hätte eine signifikante Cordhose mir fast eine ernstzunehmende Romanze sabotiert. Nicht auszudenken, was eine Cordhose in Absinthgrün – sehr weit im Bein, auf der Hüfte sitzend und aus meiner Warte absolut stylish – alles hätte verderben können! Wäre mein souveräner Begleiter nicht mit hohem Abstraktionsvermögen gesegnet, hätte ich tatsächlich den schönsten Teil der Nacht versäumt. Später antwortete er mir auf mein direktes Nachfragen nach dem grünen Störfeld „grenzwertig, aber du kannst ja alles tragen“.

 Maigrün als Romantik Booster

Maigrün als Romantik Booster

Und dann war da noch das schwarze Roberto-Cavalli-Kleid, spontan gewählt für unseren ersten gemeinsamen Ausgeh-Abend, kühn kombiniert mit Cacharel-Lederstiefeln in Türkis. Diese Kombination muss für meinen Begleiter (er selbst erschien stilsicher und sexy in einem tadellosen Anzug) ebenfalls eine Grenzerfahrung gewesen sein, zumindest vermute ich das rückblickend. Im Hotelzimmer angekommen landete das Kleid ziemlich schnell auf dem Fußboden so als müsste ein störender Fussel entfernt werden.

Als mich, einige Wochen später, meine erwachsene Tochter in eben diesem Look aus dem Hause flattern sah (ich war auf dem Weg zu einer Filmpremiere) sagte sie: „Mama, zieh dich besser noch mal um. Du siehst aus wie ein russisches Callgirl nach einer Fastenkur.“ Das müssen diese verdammten Goldschnallen an dem Kleid gewesen sein, manche Designer haben sich eben zu stark auf den Ostblock eingeschworen, der Fummel befindet sich nun in der Tasche für den Secondhand-Laden.

Ich werde es jetzt mit den Blusen von SoSUE probieren, kombiniert mit Jeans oder Bleistift-Röcken. Auch weil mein großartiger Jeans-Overall à la „Three Billboards outside Ebbing Missouri“ bei meinem Schwarm ebenfalls durchgefallen ist. Das Teil ziehe ich nun an, wenn ich allein mit meinen drei Hunden an der Elbe spazieren gehe, in die vielen Taschen passen prima die Plastikbeutel, Belohnungs-Happen, Haustürschlüssel, iPhone, eine Mütze und etwas Kleingeld für den Espresso; eine Frau sollte bei einer romantischen Verabredung nicht wie ein Kfz-Mechaniker aussehen. Man lernt ja nie aus.

Vielleicht war meine frühkindliche FKK-Prägung doch gar nicht so verkehrt. Plötzlich finde ich die Vision amüsant in einer Kultur zu leben, in der wir uns grundsätzlich immer splitternackt zu Dates treffen würden. Der einzige Stoff wäre eine weiße Tischdecke. Anschließend geht man „zu mir oder zu dir“ und darf den anderen in einem überdimensional ausgestatteten Schrank (gern mit integrierter Schlafstatt) nach den eigenen Vorstellungen ankleiden. So ganz in aller Ruhe mit der vollen sinnlichen Wirkung von Kleidung und ihren Ausdrucksmöglichkeiten.

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