Folgende Zeilen über Konstantin Weckers poetischer Biographie, erschienen bereits in gekürzter Variante am 1. Februar 2012 beim Lesebändchen. Der Inhalt seines Buches, der mehr birgt, als nur Eckdaten seines Lebens oder eine uninspirierte Litanei an Erlebnissen, passt thematisch auch zuad sinistram. Daher sei auch hier nochmal auf die "Kunst des Scheiterns" verwiesen - und das etwas ausführlicher als beim Lesebändchen.
Sein Leben vom Standpunkt des Scheiterns aus zu erklären: das wagt nicht jeder. In einer Periode, da selbst Minderjährige, die von Konzernen zu Pop-Ikonen ausersehen werden, mit einer nur so von Erfolgen strotzenden Biographie aufwarten, wirkt der Biograph seines eigenen Scheiterns, wie ein bemitleidenswerter Verlierer. Lebensgeschichten haben ein Getümmel von großartigen Erfolgen, von unglaublichen Durchbrüchen, von einzigartigen Triumphen und feiernswerten Volltreffern zu sein. Wer wagt sein Leben als Ballung von Fehlschlägen, Irrtümern und Verunglückungen nachzumalen? Dazu bedarf es Mut - oder Naivität, was vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Jedenfalls, es war Konstantin Wecker, der seine Lebensgeschichte als "Kunst des Scheiterns"schrieb.
Der Untertitel seines Buches könnte von Samuel Beckett stammen - "Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden". Die Unmöglichkeit des Glückes, die aber dennoch in Glück mündet. Das sind die logischen Paradoxien eines jeden Lebens. Verwinkelungen, wie sie in aalglatten Biographien, in Lebensläufen für Personalchefs oder Viten für Buchrücken oder Webpräsenzen nicht vorgesehen sind. Alles gehört in ein zu Blatt gebrachtes Leben - nur keine Abbiegungen, keine Sackgassen, keine weißen Flecken, keine Hic-sunt-dracones-Flecken, keine eigentümlichen Irrtümlichkeiten. Passend hierzu läutet Wecker mit Beckett ein: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Das sind freilich Weisheiten, die man erst erzielt, wenn man kein zu lauschiges Leben führte.
Gleichzeitig wären diese Weisheiten etwas, das man der Jugend an die Hand geben sollte. Die bekommt heute gezeigt, möglichst konform zu sein, möglichst perfekt, sich allzeit blendend zu verkaufen, Alleinstellungsmerkmale zu polieren. Stehen sie dann vor Brüchen im Lebenslauf, tun sich die üblichen Lebenskrisen auf, dann erliegen sie dem Irrglauben, nun mit einem für alle sichtbaren Makel behaftet zu sein, einer Sünde an der meisterhaft tadellosen Eigendarstellung. In einer Gesellschaft, in der man sich beharrlich selbst verkaufen soll und man daher zum eigenen Händler seiner Ware, die man auch noch selbst ist, wird, ist es mit dem Selbstbewusstsein, mit dem Hier stehe ich, ich konnte damals nicht anders! Daher die Lücke, daher die Unausgewogenheit in meinem Lebenslauf! nicht weit her. Lebensläufe können variieren - wir legen doch viel Wert darauf, eine pluralistische Gesellschaft zu sein, in der es mehr als einen Lebensentwurf geben kann. Sie können wahrlich verschieden ausfallen, aber sie müssen von Nützlichkeiten marmoriert sein.
Was hat man getan; für wen; mit welcher Absicht; hat es was gebracht? War es sinnvoll? Förderlich? Zweckdienlich? Freie Zeiten, Vakanzen, Jahre der Ungebundenheit, der Freiheit, der Flucht, da zieht man skeptisch die Augenbraue zur runzeligen Stirn. Der Personalchef, der einen Blick auf die Vita wirft, fragt sich sogleich: Was wenn er wieder rückfällig wird, der Kandidat? Wenn er erneut unnütze Zeiten für sich und zur Belastung für unsere Gesellschaft anstrebt, wenn er zu nichts mehr taugt, ein Taugenichts wird? Zwei Jahre Selbstfindung und Reiselust: Das ist verdächtig! Unnötige Schulbesuche, die die adoleszente Ziellosigkeit unterstreichen: Ein Phlegmatiker! Ganz gefährliche Leute! Ein ganzes Jahr arbeitslos: Jemand, der sich mit seiner Lage arrangiert, kein Anpacker und Macher!
Konstantin Wecker verschweigt in "Die Kunst des Scheiterns" sicher nicht seine Erfolge. Aber sie sind nicht einfach hier, wie in manchen Populär-Biographien, sind nicht einfach zugefallen oder erarbeitet, sondern durch das Scheitern begründet. Trial and error - so kann Glück und Erfolg auch erzwungen werden. Wecker war Dieb, war Vagabund, war Luftikus, Sexschauspieler und Kokser. Sogenannte Fehlgriffe in seiner Vita, die ihm nicht schaden, ganz im Gegenteil, sie zeigen ihn als Menschen, als einen durch die Geschichte irrenden Zeitgenossen. Durch seine Lebenszeit zu irren, das gilt heute als Übertretung der Konvention, man muß heute wissen, was man will, zielstrebig sein, handeln, Lebenslauflücken nicht nur ausfüllen, sondern sinnvoll ausfüllen, sie mit wertschöpfenden Tätigkeiten ausfüllen. Erfolge sicher, die hatte er - aber Lehrmeister war das Scheitern; Erfolge waren das Gesellenstück der Scheiternslehre. Einsichten, die keiner hat, der Personal einstellt.
Wecker schönt nichts. Schön ist nur seine Sprache. Er schreibt poetisch, sehr verträumt - wie man ihn kennt, den Rinnsteinpoeten, für den er sich selbst hält. Er schreibt in seinem Buch an einer Stelle, dass er manchmal resigniert und wütend wird, weil die Jugend heute seine Aufrührigkeit nicht begreift; gegen wen sollen sie revoltieren, fragen sie ihn bei Veranstaltungen hin und wieder. Er gibt in seinem Buch eine eindeutige Antwort: gegen den überkandidelt wichtigtuerischen Lebenslauf, gegen die Diktatur der perfekten Vita, die schon kleine Ausbrüche gnadenlos abstraft und als Zeichen persönlicher Schwäche ansieht.