Der Zentralrat der Ex-Muslime begrüßt die Entscheidung des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 zum Thema Jungenbeschneidung ohne medizinische Indikation (Az. 151 Ns 169/11) und rät der deutschen Regierung dringend davon ab, jetzt angesichts der Wünsche der religiösen Organisationen in die Knie zu gehen.
Im Sommer 2012 kämpfen orthodoxe jüdische und islamische Organisationen, sonst nicht selten verfeindet, Hand in Hand gegen das Kölner Beschneidungsurteil. Die an der gegenmodernen Scharia festhaltenden Islamverbände möchten bis nach Karlsruhe gehen; andere warnen vor einem erneuerten Völkermord oder Holocaust.
Die deutsche Regierung wird offensichtlich von den reaktionären religiösen Wortführern unter erheblichen Druck gesetzt und will “Rechtsklarheiten” schaffen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle etwa will die „die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt“ wissen, ein Argument, mit dem man künftig auch die Mädchenbeschneidung
legitimieren und legalisieren müsste.
Kein Kind auf der Welt möchte Angst haben oder Schmerzen erleiden. Es geht also ebenso um Kinder, die hier leben, wie um Kinder in den vom Islam geprägten Ländern. Am Diskussionsthema Zirkumzision sehen wir, dass die Religionsführer und die Mächtigen der Politik zusammenarbeiten; dabei sollten wir im säkularen und freiheitlich demokratischen Staat Politik und Religion voneinander trennen. Die eine Seite argumentiert mit Traditionsbewusstsein und religiöser Pflicht und billigt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines nicht einwilligungsfähigen Kindes.
Uns hingegen geht es um säkular-humanistische Werte im 21. Jahrhundert und um die allgemeinen Menschenrechte, die schließlich auch für Kinder gelten. Spät genug, am 15. Juli 2010, hat die Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ohne Vorbehalte akzeptiert.
In diesen Tagen polarisiert die oft bagatellisierte Frage der Beschneidung von Jungen die deutsche Gesellschaft. Während sich manche hinter der Religionsfreiheit oder der Multikulturalität verstecken und die blutige Tradition verteidigen oder versuchen, den Gegner als Rassisten darzustellen, betonen wir die Kinderrechte, die auch von religiösen Organisationen nicht eingeschränkt werden dürfen. Körperverletzung ist kein schützenswertes Ritual.
Einige von uns, der aus einem so genannten islamischen Land hierher nach Europa gekommen ist, hat Erinnerungen daran, wie kleine Kinder unter der Beschneidung gelitten haben. Das ist ein religiös begründeter Angriff auf den wehrlosen Kinderkörper, der weltweit Tag für Tag Opfer fordert. Die Jungenbeschneidung ist keinesfalls risikolos, sondern kann schwere Komplikationen nach sich ziehen, wie es im Kölner Fall geschehen ist.
Der Zentralrat der Ex-Muslime hat in seinen Reihen mehrere erwachsene Mitglieder, die diesen Angriff als Kind erlebt haben und die bis jetzt von dieser schlimmen Erinnerung nicht befreit sind.
Nach Artikel 3 (1) der UN-Kinderrechtskonvention „ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Zudem ist zwar nach dem deutschen Grundgesetz Artikel 6 (2) „Pflege und Erziehung der Kinder … das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, aber dieses Recht der Eltern hat Grenzen, denn: „über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Wenn wir Beschneidungen gesetzlich erlauben, ist das der Einstieg in das religiös begründete Sonderrecht, in die Rechtsspaltung.
Das ist Stammeserziehung und kulturell vormodern. Im Sinne der Durchsetzung der negativen Religionsfreiheit ist es wichtig, dass dem Kind keine traumatisierende Verletzungserfahrung und bleibende Körpermutilation aufgezwungen wird, solange es nicht einwilligungsfähig ist, was wahrscheinlich aufgrund des hohen Erwartungs- und Gruppendrucks auch bei einem 14-jährigen oder 16-jährigen Jungen noch nicht der Fall ist.
Zentralrat der Ex-Muslime
16.07.2012