Zentrales

Von Lyrikzeitung

Als Günter Grass wenige Jahre nach einem sehr medienwirksamen Verriß eines Romans durch einen Großkritiker den Literaturnobelpreis erhielt, fragte man zuerst den Großkritiker, wie man es gewohnt war. Der sagte, eine lange fällige Entscheidung, Grass sei ein großer Schriftsteller, er habe  nur einen Fehler, er könne keine Romane schreiben. Als das deutsche Fernsehen einen Film über Uwe Johnson machte, wen fragten sie? Der Großkritiker sagt in dem Film, daß er mit diesem Schriftsteller wenig anfangen könne, man wußte es vorher. Und weil man (wie heißt „man“ eigentlich mit Klarnamen?) ihn jedes Jahr fragt, tat man das auch dieses Jahr, als ein schwedischer Lyriker mit dem Nobelpreis bedacht wurde. Seine Antwort: er glaube, er kenne diesen Schriftsteller nicht. Die Nachricht ging durch WELT, BILD und alle anderen Medien. Ohne Medien wüßten wir einfach nicht, daß der alte Mann in Frankfurt sich nicht erinnert, ob ER mal ein Buch, oder wenigstens ein Gedicht oder eine Nachricht von Tomas Tranströmer  gelesen hat. Wetten, daß „man“ ihn auch 2012 fragen wird, egal was kommt. Man braucht seine Autoritäten, man läßt nicht von IHM er segnete sie denn mit seinem Wissen und Nichtwissen. Folgerichtig, daß der Großkritiker auch heute sogleich befragt wurde. Er, der in vielen Büchern und Artikeln seit Jahrzehnten fast durchweg negativ über die seiner Meinung nach überschätzte Autorin berichtete, äußerte sich „versöhnlich“ zum Tod Christa Wolfs, berichtet das Zentralorgan BILD um 15:46 Uhr mit der Zentralagentur DPA. «Sie war eine mutige Schriftstellerin, die die zentralen Fragen ihrer Zeit und ihrer Problematik ausdrücklich behandelt hat», sagte er. Jetzt können wir darüber grübeln, ob ER bloß zerstreut war, als er so formulierte, ODER ob er meinte, daß Christa Wolf außer den, ja doch: „zentralen Fragen ihrer Zeit“ auch die „zentralen Fragen ihrer Problematik“ nicht bloß behandelt sondern „ausdrücklich“ behandelt hat und wenn ja, welches die einen und welches die anderen sind und wie ein nicht ausdrückliches, also implizites Behandeln dieser oder jener Fragen denn aussähe?; oder ob DRITTENS bloß ein zentraler Formulierungskünstler hinter dieser neuen Wendung der Dinge steckt? Wir werdens nie erfahren, und das ist gut so.