Zeitzeuge Falin

ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 512

 

Als Valentin Falin zusammen mit seiner Frau Nina in den neunziger Jahren in Deutschland lebte, habe er, wenn ihn die »unstillbare Sehnsucht nach Russland erfasste«, Heinrich Heine gelesen. Merkwürdig genug, aber mit Sicherheit aus gutem Grund. Der kenntnisreiche Germanist, der promovierte und habilitierte Historiker Valentin Falin mag dann womöglich auch auf Heines Gedicht die »Symbolik des Unsinns« gestoßen sein, das sich im zweiten Buch seiner »Lamentationen« findet und über die »brave Nummer Drei« (Falin wurde am 3. April geboren!) Erstaunliches berichtet: »…Ich bin so alt wie das Meer und der Wald, / Wie die Stern`, die am Himmel blinken; / Sah Reiche entstehn, sah Reiche vergehn, / Und Völker aufsteigen und sinken. // Ich stand am schnurrenden Webstuhl der Zeit / Wohl manches lange Jahrtausend; / Ich sah der Natur in den schaffenden Bauch, / Das wogte brausend und sausend. // Und dennoch widerstand ich dem Sturm / Der sinnlich dunkeln Gewalten – / Ich habe meine Jungferschaft / In all dem Spektakel behalten.«

Der von Falin sehr geschätzte Publizist Rudolf Augstein, der mit ihm allerdings nicht immer zimperlich umging, gab ihn als Lieblingsrussen der Deutschen aus, »als eine übrig gebliebene Tschechow-Gestalt, mit seiner lässig-altmodischen Kleidung und seinem Kummerkastengesicht«, das ihn heute noch prägt, so gesehen am 27. März auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Die Pressefotos sprechen Bände.

Ja, Falin sah »Reiche entstehn, sah Reiche vergehn« und er »stand am schnurrenden Webstuhl der Zeit«, als Zeitzeuge und politischer Mitgestalter seines Jahrhunderts. Falin war u.a. Berater von Chruschtschow und Gromyko und von 1971 bis 1978 sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Maßgeblich war er an der Ausarbeitung der Moskauer Verträge beteiligt und, was wenige wissen, er war einer der kompromisslosesten Vertreter der Perestrojka-Politik, was ihn später aber nicht hinderte politische Entscheidungen Gorbatschows zu kritisieren.

Hans-Dieter Schütt nennt ihn einen beeindruckenden Menschen, »weniger Repräsentant, sondern Arbeiter in der Sache, ein(en) Egon Bahr des Kreml«.

Letzterer soll ihm auch nach dem Ende der UdSSR und dem Verbot der KPdSU 1991 bei der Wohnungssuche in Deutschland behilflich gewesen sein. Vom Februar 1995 bis Mitte Mai 1997 lebte er im Heidestädchen Tostedt bei Hamburg, in dem meine Lieblingstante Ruth wohnt, die ich leider viel zu selten besuche. Gut möglich, dass ich ihm da mal begegnet bin: mag sein auf dem 10. Tostedter Christkindlmarkt, oder beim Bäcker Schrader am Himmelsweg, oder in Höhe der Menkestraße Zwei, in der die Falins mit drei Hunden wohnten. Es waren wirklich »Drei«!

Die Rede war viel zu wenig von Falins Politik. Es lag wohl an Heinrich Heines Symbolik. ARTus

Zeitzeuge Falin

Der Publizist und Botschafter a.D. Valentin Falin wurde am 3. April 1926 in Leningrad geboren. Zeichnung: ARTus



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