Zeitungssterben und Pressefreiheit: Anschreiben gegen den Mainstream

Wenn ich mir einen überblick über die aktuelle Nachrichtenlage machen will, benutze ich ab und zu auch Google News. Dabei habe ich mehr und mehr den Eindruck, dass sich die großen deutschen Medien in der Auswahl ihrer Themen immer stärker angleichen. Das kann natürlich daran liegen, dass alle Chefredakteure auf die gleichen Nachrichten anspringen, weil auf der Hand liegt, dass man derzeit unbedingt über dieses Thema berichten muss. Es kann andererseits auch sein, dass sich die großen Redaktionen inzwischen so Suchmaschinen-optimiert haben, dass bestimmte Nachrichten sofort ganz oben auf der Prioritätenliste von Google landen und entsprechend gerankt werden. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem: Inhalte werden entsprechend ausgewählt und aufbereitet, dass sie möglichst gut ranken und möglichst oft geklickt werden und dann schauen die Redakteure natürlich auch, was die anderen so machen, und schieben zu diesem oder jenem gerade auf Google gut platziertem Thema noch was hinterher.

Ruhe in Frieden

Ruhe in Frieden – Zeitungssterben und Totengedenken. Es muss November sein.

Die undankbaren Leser wiederum klicken die im Internet kostenlos zur Verfügung gestellten News an und machen sich keinen Kopf darüber, wie viel Arbeitskraft gerade in die eine oder andere News gesteckt wurde – sie klicken sie an, lesen drüber und sind wieder weg. Da bin ich nicht besser als die anderen – ich muss zugeben, dass ich nach mehreren Jahrzehnten hartnäckigen Bezugs von auf Papier gedruckten Zeitungsabos inzwischen das letzte Papier-Abo zu Ende dieses Monats gekündigt habe – seit ich keine Ofenheizung mehr habe, stapelt sich das Altpapier im Flur. Damals, in Zeiten herrlich großer und günstiger Altbauwohnungen in Berlin Prenzlauer Berg war das kein Problem – was sich im Sommer angesammelt hatte, wurde im Winter nach und nach verheizt. Aber zum einen brennen die Zeitungen nicht mehr so gut wie früher, weil kaum noch Holz im Papier ist, und zum anderen musste ich mittlerweile in eine vergleichsweise winzige Wohnung ziehen, die zwar superdichte Fenster und eine komfortable Fernwärmeheizung hat, aber keinen Platz mehr für Überflüssiges. Die vielen Meter Bücherregal, die einst meine Wohnungen schmückten, habe ich inzwischen in das neue Statussymbol des Intellektuellen umgelagert: Den E-Book-Reader. Nach mehreren Umzügen mit zahllosen schweren Bücherkartons muss ich sagen, dass es sehr viel einfacher ist, einen Kindle in die Tasche zu stecken. Und auch neulich, als ich krank im Bett lag, stellte ich fest, dass mein elektronisches Lesegerät sehr viel einfacher zu halten war, als die dicken Schwarten, die mir früher zwar nicht die Augen, aber die Arme ermüdet haben. Nein, nicht jeder Fortschritt ist schlecht. Ich bin zwar kein Digital Native, aber auch nicht borniert.

Und doch stimmt es mich ein bisschen wehmütig, wenn derzeit im Wochentakt der Untergang von Zeitungen verkündet wird. Erst die Frankfurter Rundschau, jetzt die Financial Times Deutschland. Aber so ist es halt in der Marktwirtschaft: Wenn ein Geschäftsmodell nicht (mehr) aufgeht, dann sorgt der Markt dafür, dass es verschwindet. Wobei ja ausgerechnet das Geschäftsmodell der FTD von Anfang an nicht aufgegangen ist: Der deutsche (Anzeigen-)Markt war mit exakt einer täglich erscheinenden Wirtschaftszeitung abgedeckt, und das war und ist das Handelsblatt. Und ganz ehrlich: Rein inhaltlich braucht es als Sprachrohr des Kapitals auch kein weiteres Blatt. Den Job erledigt unsere Bundesregierung auch ohne zusätzliche Redaktion.

Lustig finde ich allerdings, dass das Handelsblatt nun schon seit Tagen ein Loblied auf die FTD singt, ach ja, dieser ganze freche Wirtschaftsjournalismus und der späte Redaktionsschluss – die Leute von der FTD haben schon richtig geschuftet, am Journalistischen, am Redaktionellen hats nicht gelegen. Und auch nicht am Internet, wie im Spiegel zu lesen war.

Wohl eher an der BWL – das ausgerechnet eine Zeitung, in dem sich angeblich die geballte Wirtschaftskompetenz konzentriert in 12 Jahren 250 Millionen Euro Verlust macht – alle Achtung! Da hat irgendwer offenbar nicht rechnen können. Aber das ist nun wirklich nicht mein Problem. Bei der FR war es wohl auch die BWL und eine BWL-typische Fehlentscheidung: Das Zusammenlegen mehrerer Redaktionen. Davon erhoffen sich die Manager ja immer irgendwelche Synergien – bei Zeitungsredaktionen aber, die für ein gewisses Profil ihres Blattes sorgen müssen, damit es für die jeweiligen Leser besonders und unverwechselbar ist, ist das der Todesstoß. Man kann nicht sein Profil schärfen und seinen Lesern eigene, unverwechselbare Inhalte bieten, wenn man gleichzeitig mehrere Blätter beliefern soll. Aber das mit den eigenen, unverwechselbaren Inhalten ist ohnehin eine schwierige Sache, wenn es einen generellen Konsens darüber gibt, was man denn in unserem freien Lande schreiben darf und was nicht – insbesondere, was wirtschaftliche Inhalte betrifft. Eine der wenigen Zeitungen, die in den vergangenen Jahren zumindest ansatzweise kapitalismuskritische Artikel gebracht haben, war ausgerechnet die FTD. Wenn auch nicht unbedingt mit Absicht. (Der Vollständigkeit halber muss ich erwähnen, dass es auch im Handelsblatt eine Artikelserie über die Irrtümer der Ökonomen gab, auf die ich an dieser Stelle hinweisen möchte. Sie bringt zwar keine neuen Erkenntnisse, erklärt aber immerhin, warum es keine gibt.)

Es gibt in Deutschland exakt eine Tageszeitung, die nicht Mainstream ist, und das ist die junge Welt. Und um die mache ich mir wirklich Sorgen. Es ist die einzige Zeitung, die gegen die große Walze der konformen Berichterstattung anschreibt und es damit natürlich doppelt schwer hat – ihre Artikel sind kaum über Google News und ähnliche News-Aggregatoren zu finden, gerade deshalb aber besonders lesenswert. Man muss auch nicht alle Aktionen der jungen Welt gut finden – wobei gerade die umstrittene Aktion “Wir sagen einfach mal Danke” zum 50. Jahrestag des Mauerbaus im vergangenen Jahr auf erfrischende Weise daran erinnerte, dass es nicht nur eine Perspektive gibt, aus der man die Dinge betrachten kann.

(Achtung, Gedankensprung) Wenn ausgerechnet den sich selbst für menschenfreundlich haltenden Realsozialisten die Leute weglaufen, könnten sie schon mal auf den Gedanken kommen, ihre Idee der Menschenfreundlichkeit kritisch zu hinterfragen, anstatt die Leute mit Stasimethoden auf Linie zu bringen. Andererseits ist eine Mauer eine extrem defensive Form der Verteidigung – auch die USA oder Israel haben es mittlerweile zu einer ausgefeilten Mauerbaukunst gebracht, ohne dass man diesen Ländern unterstellen würde, Freiluftgefängnisse für ihre Insassen zu sein.

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