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© Stefan Scherer
Letzte Woche las ich in einer ehemals linksgerichteten Tageszeitung, man müsse einem jungen Fussballspieler dringend das Gehalt für seine Tätigkeit aufbessern, damit er nicht zu einem anderen Verein wechseln würde – von 200.000 auf 1.000.000 Euro im Jahr.
- Ich bin diese Woche mit einer 24jährigen Krankenschwester gelaufen. Sie will demnächst einen anderen Job beginnen, unter Anderem deshalb, weil sie mit ihrer Arbeit einschliesslich Überstunden, Nacht- und Spätschichten sowie Sonn- und Feiertagszuschlägen nur ein Nettoeinkommen erzielt, welches später zu einer gesetzlichen Rente führt, die nur knapp über der Grundsicherung und damit im Altersarmutsbereich liegt. Sie muss 10 Jahre arbeiten, um das als wesentlich zu niedrig eingestufte Einkommen des Profifussballers zu erreichen – und erreicht das voraussichtlich neue Einkommen niemals.
- Ich war heute 7 Stunden wegen eines Termins unterwegs: natürlich ICE in der 1. Klasse, 4 Stunden Hin- und Rückfahrt mit Zeitung- und Buchlesen, 2 Stunden gute Gespräche mit dem Mandanten über Gott und die Welt, 1 Stunde habe ich ihn bei der Lösung eines Problems beratend unterstützt – es wäre vermessen, wenn ich sagen würde, ich wäre es gewesen, der sein Problem gelöst hätte. Meine Einnahme für die Kanzlei dürfte bei mehr als einem Drittel des Betrags liegen, den die Krankenschwester netto im ganzen Monat erwirtschaftet.
- Heute nachmittag lerne ich mit meinem Sohn Chemiegrundlagen, damit er nicht nur eine gute Arbeit schreiben kann, sondern auch wichtiges, zum Teil zusätzliches Wissen erhält. Geld zahlt mir dafür niemand. Ich mache dies also für den Lohn, für den dies hunderttausende von Eltern Jahr für Jahr tun.
- Das statistische Bundesamt hat herausgefunden, dass in Deutschland jährlich rund 56 Milliarden Arbeitsstunden gegen Entgelt erbracht werden – und 96 Milliarden ohne.
Vier Beispiele über gesellschaftlich relevante Tätigkeiten und ihre Entlohnung. Fünf Aussagen, die zusammengefasst zeigen, dass sich die gesellschaftliche Relevanz einer Tätigkeit und die Entlohnung inzwischen fast vollständig entkoppelt haben.
Ich denke über dieses Phänomen schon geraume Zeit nach – und nehme dabei wahr, dass dieses Phänomen immer schneller immer extremer wird – die nachvollziehbare und ethisch begründete Verbindung zwischen dem, was eine Tätigkeit für die Allgemeinheit wert ist, und dem, was dafür als wirtschaftliche Gegenleistung steht, löst sich nahezu explosionsartig auf.
Und so habe ich das Gefühl, wir stehen vor grundlegenden Veränderungen. Können wir auf diese angemessen reagieren? In unserem bisherigen Denkmodell, in dem Arbeit gegen Entgelt alles Andere dominiert, wird dies nicht möglich sein.