Couchgarnitur mit zwei Hockern, Esstisch, Buffet und Barschrank, im Stil der 1920er-Jahre – die typische Einrichtung eines Wiener Wohnzimmers. Die Wohnzimmermöbel der Familie Glück sind ein paar Überbleibsel, die eine leider ebenso typische jüdische Familiengeschichte dokumentieren.
Hoffnung auf Wohlstand, Vertreibung und Ermordung
Hersch Glück und seine Frau Judith Widder kamen um 1900, wie viele andere galizische jüdische Familien, in die Hauptstadt der Habsburgermonarchie, um den ärmlichen Verhältnissen ihrer Heimatstätte Tarnopol/Ternopil und Neutra/Nitra zu entkommen. In Wien eröffnete Hersch Glück eine Kürschnerwerkstätte, die später seine Söhne Erwin und Walter übernehmen sollten. Das gut laufende Geschäft erlaubte den Glücks, sich zuerst in der Leopoldstadt und dann sogar am Fleischmarkt 15 im noblen ersten Bezirk, unter anderem mit der neuen Wohnzimmergarnitur häuslich einzurichten.
Über Frankreich nach New York
Nach dem sogenannten „Anschluss“ wurde der Kürschnerbetrieb „arisiert“ und die Familie saß ein letztes Mal gemeinsam um den blank polierten Esstisch. Erwin gelang die Flucht in die USA. Seine Frau Lily und der achtjährige Sohn Heinrich wollten über Frankreich nach Palästina entkommen. Doch in Nizza wurde Lily 1942 von den Nazis verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Heinrich kam in einem, von dominikanischen Patern geführten Internat, und später, bei einer französischen Familie unter.
Heinz/Henry Glück (c) Glück family collectionUnter falscher Identität konnte Heinrich, der sich nun Henry nannte, den Krieg überleben und durch die Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation 1946 wieder mit seinem Vater vereint werden. Auch das Wohnzimmermobiliar schaffte es über Frankreich nach New York und ins neue Wohnzimmer der Familie Glück. Zuletzt bot ihm Henrys Stiefmutter Herta Kleeblatt in Queens eine Bleibe.
Dass Möbel ins Exil mitgenommen wurden, war kein Einzelfall. Um in der Fremde ein Stück Heimatgefühl zu schaffen, ist es ein naheliegender Gedanke, das Herzstück der ehemaligen Wohnung mitzunehmen. In manchen Fällen war es sogar möglich, durch Kollaboration mit einem Tischler Geheimfächer in die Möbel einzubauen. So konnten unerlaubter Weise Wertgegenstände ins Ausland gebracht werden.
In vielen Fällen jedoch wurden Alltagsgegenstände, Kunstwerke und Wertsachen für schnelles Geld verkauft, um überhaupt eine Flucht zu ermöglichen oder fielen der Enteignung durch die Nazis zum Opfer. Wer weiß, wie viele Möbelstücke in Wien solche Geschichten noch erzählen könnten, weil sie eben nicht mitgenommen werden konnten.
Originale Putztücher aus dem Besitz der Familie Glück (c) European Cultural NewsNicht-Spießig mit Mief
Über den Entwerfer der Möbel kann man nur Vermutungen anstellen. Das tut Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, der auf Möbel des 19. und 20. Jahrhunderts spezialisiert ist, im Ausstellungskatalog. Er schließt von der Beschaffenheit der Möbel nicht nur auf den Designer, sondern auch auf die Besitzer selbst. Die Möbel, die keinem eindeutigen Stil zuzuordnen sind, weisen auf Wohlstand, aber nicht Inszenierungslust hin. Die Eckbank, die für Witt-Dörring der Inbegriff des spießigen Wohnens ist, wird durch die Bibliothek auf der Rückseite wieder „Nicht-Spießig“. So muss das Möbel mitten im Raum platziert werden und darf für sich selbst wirken.
Wohnzimmer Familie Glück (c) David PetersDie Schicksale der Familienmitglieder sind an den Möbeln spurlos vorübergegangen. Die hochwertigen Stücke, die durch Henry Glück dem Jüdischen Museum vermacht wurden, strahlen noch immer Gemütlichkeit aus. Sie sind Zeugen einer vergangenen Zeit und materiell gewordene Erinnerung an eine Familie, die durch den Antisemitismus der Nazis daran gehindert wurden, hier noch einmal zusammenzusitzen.
Die Präsentationsfläche auf der die Einrichtungsgegenstände im Museum platziert sind, ist ebenso, wie die Welt der Glücks in die Schieflage gekommen.
Bis 26. März 2017 kann man im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse 11 zumindest noch vor den Möbeln sitzen und die Geschichte der Familie Glück kennenlernen.
Weitere Informationen auf der Website des Jüdischen Museum.