Manchmal findet sich der Schlüssel zu einer Ausstellung außerhalb des vorgesehenen Weges zufällig im kurzen glückhaften Moment einer Begegnung. Das habe ich im Sprengel Museum in der Ausstellung der Werke Florentina Pakostas erlebt. Der erste Blick in die Ausstellung auf die großformatigen (100 mal 150 cm) Porträtzeichnungen namentlich bekannter Männer hatte zunächst abschreckend auf mich gewirkt; so viel geballter männlicher Ausdruck war mir unangenehm, obwohl oder weil ich mich damit nicht identifizieren kann. Hatte ich als Mann so reagiert, wie die Künstlerin es beabsichtigt hatte? Mit Abwehr, die mir das Nachdenken erspart? Eine Beobachtung änderte meine Einstellung schlagartig: Eine Frau, die den Gang durch die Ausstellung hinter sich gebracht hatte, stellte sich vor die großformatige Zeichnung von einer Faust und versuchte, diese nachzuformen - was nicht gelang. Am liebsten hätte ich ihr gesagt: kann ja nicht gelingen, ist doch eine männliche Faust. Später las ich aber, dass Florentina Pakosta für diese Zeichnung per Spiegel ihre eigene Faust als Vorbild genommen hat. Also doch (auch) weiblich? Eine mögliche Antwort bietet die Aussage der Künstlerin, die als hervorgehobenes Zitat auf den Faltblättern zu der Ausstellung wiedergegeben ist: "Es sind Frauenköpfe, wie Frauen sind, wenn sie sich des Zwangs zum herkömmlichen weiblichen Rollenspiel entledigen ..." (aus "Was man nicht sagen darf", 2004). Es gebe keine weibliche Kunst und werde es auch in naher Zukunft nicht geben, sagt die Künstlerin in dem wichtigen Film, der am Rande der Ausstellung auf einem Bildschirm gezeigt wird.
Zeit ihres künstlerischen Lebens hat Florentina Pakosta (geb. 1933) - eine der wichtigsten Vertreterinnen feministisch engagierter Kunst in Österreich - den Zeichen männlicher Macht nachgespürt. Mit welchen Mitteln arbeiten Männer in ihrer Mimik und Haltung (teils unbewusst, teils bewusst, wenn sie es auf Managerseminaren eingeübt haben), um ihre Machtstellung herbeizuführen, beizubehalten oder zu festigen? Die Antworten, die die Künstlerin gefunden hat, lassen sich in der großen Retrospektive ausführlich studieren, die von der Albertina Wien und dem Sprengel Museum Hannover gemeinsam zu ihrem 85. Geburtstag gestaltet wurde. Für Deutschland ist es die erste Museumsausstellung ihrer Werke überhaupt.
Anfang der 1980er Jahre schafft Florentina Pakosta unter der Überschrift Zeitgenossen eine Serie von acht Männerporträts bekannter Persönlichkeiten, alle streng von vorne, mit demselben Brustbildausschnitt, alle bis auf eine Ausnahme mit geschlossenem Mund, die Gesichtszüge höchst kontrolliert; abschließend fügt sie ein Selbstporträt hinzu. "Gruppenbild mit Dame" nennt Reinhard Spieler (Direktor des Sprengel Museums) in Anlehnung an Heinrich Bölls Roman (1971 erschienen) seinen Aufsatz im Katalog, in dem er die genannte Werkgruppe als exemplarisch für den gegenständlichen Teil des Pakosta-Werkes hervorhebt. "Lachen!" heißt das abschließende Selbstporträt, es hat einen Extra-Titel bekommen. Lachen? Ausgerechnet Lachen? Mit Ausrufezeichen, also ein erzwungenes Lachen? Ist das ein echtes Lachen? Ein bitteres Lachen einer Frau unter Männern vielleicht? Oder ist es eher ein Schrei? Ausdruck eines Leidens? "Es ist ganz offensichtlich alles", schreibt Spieler. "Betonung von Differenz, Lachen über männliches Machtgebaren, das wiederum alles andere als lustig, sondern höchstens lächerlich ist; es ist zugleich aber auch Herausschreien von Leiden - etwa an der Ungerechtigkeit, die sich aus der Differenz zwischen Selbstbild und dem Bild der anderen ergeben kann. Am Ende ist es aber vor allem Ausdruck einer starken Selbstbehauptung, mit verzerrten Zügen Gefühle zuzulassen und selbstbewusst zu zeigen, die in männlichen Selbstdarstellungsmodi nicht vorgesehen sind".
"Wie ein Reporter" [sic!]* sucht Florentina Pakosta die Zeichen männlicher Macht außer in den Gesichtern noch auf einem zweiten Feld, das normalerweise offen präsentiert wird: an den Händen. Auch die Hände können dazu dienen, einen Seelenzustand - den Grad eines Selbstbewusstseins - widerzuspiegeln oder ihn vorzuspielen. "Florentina Pakostas Serie der Handporträts lässt sich auf einer Metaebene als Porträt unserer Zeit lesen. Der Blick auf die Hände ist mitunter der Blick auf ein ganzes Leben ..." (Spieler). Auch hierzu gibt es eine Reihe großformatiger Zeichnungen mit Polychromos-Kreide auf Papier, die jeweils einen eigenen Titel haben, z.B. Steinfaust (1980), Schützende Hand (1980) Verkrampfte Faust (1985) oder Aufstrebende Hand (1980, Bild). Ob es der schräg nach oben gehaltene Kopf ist, das Kinn nach vorne gereckt, oder die nach oben gestreckten, leicht gespreizten Finger - Männer geben Zeichen der Überlegenheit, auch wenn sie sie gar nicht haben. Oder sind es doch Frauengesichter und -hände, was Florentina Pakosta darstellt? Wann immer eine Prise Weiblichkeit dazukommt, so ist es nicht die freie, selbstgewählte Weiblichkeit (die es offenbar gar nicht gibt), sondern eine von der Männerwelt bestimmte.
Bemerkenswert an den gegenständlichen Zeichnungen Florentina Pakostas ist außer der inhaltlichen auch die formale Seite: die Technik, die sie anwendet. Was großzügig bis großartig wirkt, ist in kleinteiliger Geduldsarbeit entstanden. Also unter starker Kontrolle - was sie eigentlich für typisch männlich hält. Die Zeichnungen werden aus einem kleinteiligen Raster von horizontalen und vertikalen Linien aufgebaut, wobei sich zahllose kleine Quadratfelder bilden. Sie werden von parallel verlaufenden diagonalen Linien in verschiedenen Winkeln gekreuzt. Es gibt keine freien Linien, keinen expressiven Strich (Beschreibung nach Spieler).
Wer seinen Ausstellungsrundgang von hier aus fortsetzt, wird mit einer Überraschung konfrontiert: Plötzlich gibt es nur noch abstrakte Bilder. Und sie sind farbig! Tatsächlich gab es einen radikalen Umbruch im künstlerischen Leben von Florentina Pakosta (einen Umbruch, keinen Bruch!), mittlerweile war sie Mitte 50. Sie selber begründet den Einschnitt mit dem Mauerfall und seinen Folgen. "Neue Freuden, neue Hoffnungen und neue Gefahren und Ängste wurden wahrnehmbar - Höhenflug und Sturzflug zugleich. Nach und nach habe ich gemerkt, dass die bisher vertraute Form meiner Bilder und Zeichnungen kaum ausreichte, die neuen emotionalen Strukturen zu vermitteln, daher bemühte ich mich um Farben und Formen, die sich mit meinem neuen Daseinsgefühl deckten", schreibt sie dazu 1995 im Rückblick. Es entstehen die "trikoloren Bilder", mit denen sie bis heute arbeitet: balkenartige Gebilde in verschiedensten Kombinationen und Überkreuzungen vor farbigem Hintergrund, insgesamt in drei Farben. "Der Schein mag trügen", schreibt Elsy Lahner im Katalog, "doch auch die trikoloren Bilder entstehen aus der unmittelbar erlebten Emotion der Künstlerin heraus. Spontan und expressiv wird zunächst eine Bewegung zu Papier gebracht" (dazu Abb. 15 und 16 im Katalog). "Erst im späteren Prozess werden die Formen auf die Leinwand übertragen und drei Farben bestimmt." Da ist ein Widerspruch, den ich nur schwer nachvollziehen kann: Auf der einen Seite werden ihre Werke immer formaler und konstruktivistischer, auf der anderen Seite kommen sie unvermindert aus emotionaler Quelle (die Künstlerin sagt es auch in dem bereits erwähnten Film). Es empfiehlt sich, beim Ausstellungsrundgang darüber vor dem einzelnen Werk nachzudenken: Was wirkt eher rational, was emotional? Die drei Farben in den "trikoloren Bildern" haben unterschiedliche Funktionen - Genaueres lässt sich in einem der Wandtexte nachlesen. Um "Schönfärberei" geht es jedenfalls nicht - schon 1980 hat die Künstlerin ausgerufen: "Vorbei mit den gemütlichen, einschmeichelnden, schönen Farben! Jede Farbe soll ein gefährliches Gift sein!"
Unvermindert ist Florentina Pakostas feministische Haltung. 2010 schrieb sie:
"Es gibt Männer, die an Türen klopfen und Menschen abholen, die nie mehr zurückkommen. Es gibt Männer, die Frauen zur Liebesgunst im Kauf-Tausch zwingen und sie mobben und unter falschem Vorwand vor das Gericht zitieren lassen, wenn sie sich erfolgreich wehren. Sie alle werden ausgezeichnet und befördert. - Es gibt Männer wie Mahatma Gandhi, sie werden getötet. Alle diese Männer haben Mütter, Frauen und Schwestern."
Ich konnte in diesem Bericht aus Platzgründen nicht alle Gesichtspunkte berücksichtigen; so fehlen Hinweise auf die Zeichnungen mit Menschenmassen und Warenlandschaften und auf die satirischen Arbeiten.
*“Wie ein Reporter“, schreibt die Künstlerin, habe sie nach passenden Gesichtern für die Herrenserie gesucht – tatsächlich benutzt sie die männliche Form!
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Zitate wie angegeben. Bilder von oben nach unten: Lachen! Malerin und Zeichnerin (Selbstbildnis FP) 1987-2004, Polychromos-Kreide auf Papier, Besitz der Künstlerin © Bildrecht, Wien, 2018, Foto: Peter Ertl; Florentina Pakosta: Aufstrebende Hand, 1980, Kreide, Albertina, Wien © Bildrecht, Wien, 2018; Florentina Pakosta: Knotenpunkt II, 1989, Öl auf Leinwand, Albertina, Wien. Sammlung Essl © Bildrecht, Wien, 2018.