Seit nun bereits zehn Jahren beschäftigt sich das ZEBRA POETRY FILM FESTIVAL mit der spannenden Kombination von Poesie und Film. Auch in diesem Jahr können Lyriker und Filmemacher aus aller Welt ihre Werke beim Festival, das von der Berliner Literaturwerkstatt veranstaltet wird, einreichen und an dem Wettbewerb und dem Programm teilnehmen.
In der Berliner Kulturbrauerei erzählt uns der Projektleiter des Festivals, Thomas Zandegiacomo Del Bel, mehr über seine Arbeit, die Geschichte des Poesiefilms und über seine Einschätzung der aktuellen zeitgenössischen Lyrik.
S.M.: Vielen Dank für deine Zeit. Filmfestivals gibt es ja inzwischen wie Sand am Meer. Was unterscheidet das ZEBRA POETRY FILM FESTIVAL von anderen Festivals und macht es besonders?
T.Z.: In Berlin gibt es ja ganze 50 Filmfestivals. Wir haben uns zusammengeschlossen zur Festiwelt, dem Netzwerk der Berliner Filmfestivals. Es ist natürlich wichtig, dass man sich abgrenzt von den anderen Festivals. Es gibt zum Beispiel viele Festivals, die Länderschwerpunkte haben. Wir unterscheiden uns ganz klar dadurch, dass unsere Filme alle auf Gedichten basieren. Dabei ist es aber völlig egal, ob das nun ein Animationsfilm, ein Experimentalfilm oder ein Spielfilm ist.
S.M.:Wie würdest du das ZEBRA POETRY FILM FESTIVAL beschreiben?
T.Z.: Die Filme, die bei uns gezeigt werden, sind Kurzfilme, die auf Gedichten gründen. Oft wird der Poesiefilm in Zusammenhang mit poetischen Filmen gebracht, oder der Film selbst ist das Gedicht.
Aber wir machen es so: Weil wir von der Literaturwerkstatt kommen, also vom Wort, ist es so, dass die Filme als Vorlage ein geschriebenes Gedicht haben.
Und das ist auch die Grundvoraussetzung für die Ausschreibungen – also dass die Leute wirklich Filme einsenden, die auf Gedichten basieren. Die Gedichte werden dann auch genannt im Programmheft.
Wir versuchen natürlich auch die beiden Künste zusammen zu bringen. Das ist auch das Grundprinzip der Literaturwerkstatt: Dass sie Poesie mit anderen Künsten verbindet, wie z.B. eben Film oder auch Performance. So wurden einmal zum Beispiel Gedichte mit Leuchtfarben geschrieben und ähnliche Sachen.
S.M.: Wie viele Filmeinsendungen bekommt ihr?
T.Z.: 2006 waren es um die 700 Einsendungen, 2008 dann gut 1.000, 2010 war der Höhepunkt bisher mit über 1.000 Einreichungen aus 72 verschiedenen Ländern. Die meisten Einreichungen kommen aus Deutschland, da wir hier natürlich sehr bekannt sind, gefolgt von England und den USA. Auch Kanada ist sehr stark vertreten. Dort sind sie auch mit der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Poesiefilm sehr weit. Es kommen interessanter Weise fast gar keine Filme aus Japan.
S.M.: Was meinst du woran das liegt?
T.Z. Es kann sein, dass japanische Filmemacher mit dem Begriff Poetry Film nicht so viel anfangen können. Oder vielleicht liegt es auch einfach an den Vertriebswegen. In den letzten Jahren kam dann auch immer mehr aus den arabischsprachigen Ländern. Da kamen sehr schöne Filme, zum Beispiel aus dem Libanon. In diesen Ländern sind ja schon alleine die Schrift und die Ornamentik, sehr poetisch.
S.M.: Seit wann bist du bei dem Festival mit dabei?
T.Z.: Ich bin dort seit 2006 Projektleiter. Damals hieß es noch Zebra Poetry Film Award. Vorher war ich am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM). Daher passte das auch ganz gut, da die meisten Filme ziemlich experimentell sind. Und seitdem mache ich das jetzt immer wieder alle zwei Jahre, wenn das Festival stattfindet.
S.M.: Wie kamst du dazu?
T.Z.: Es gab damals eine Ausschreibung und so bin ich mehr oder wenig zufällig zu dem Festival gekommen. Ich fand vor allem die Kombination zwischen Film und Poesie sehr spannend. Vorher hatte ich nicht wirklich von dem Festival gehört, da ich ja nicht in Berlin war, sondern noch in Karlsruhe beim ZKM. Ja, so kam ich dann zum ZEBRA (lacht).
S.M.: Ihr beschäftigt euch mit dem sehr spannenden Nischengenre des Poesiefilms, die Literaturwerkstatt besitzt das weltweit größte Archiv an Filmen aus dieser Gattung…
T.Z.: Genau, wir versuchen auch die Geschichte des Poesiefilms aufzuarbeiten und zu schauen, wo in der Vergangenheit, im frühen Film, Gedichte verfilmt wurden. Da geht es zurück bis ins Jahr 1905. Das war das früheste was wir bis jetzt gefunden haben.
S.M.:Welches Gedicht war das?
T.Z.: „Twas the Night before Christmas“ ist eine der ältesten Verfilmungen. Das wurde dann auch noch mal in einem „Langfilm“ verfilmt von Tim Burton, als „The Nightmare before Christmas“. Oder auch D.W. Griffith, der 1910 ein Gedicht verfilmt hat, „The Unchanging Sea“ von Charles Kingley. Das zieht sich ja bis heute weiter. In den 20ern, 30ern, und auch jetzt noch werden immer wieder Gedichte verfilmt.
S.M.: Was ist für dich persönlich ein Poesiefilm? Wie würdest du beschreiben, was ihn für dich ausmacht?
T.Z.:: Ein Poesiefilm sollte schon auf das Gedicht antworten. Das Gedicht aber natürlich auch beinhalten. Und dann durch Rhythmus und unter Umständen auch durch Musik, durch die Bilder und durch den Schnitt das Gedicht tragen. Und, ja, sogar noch verstärken.
S.M.: Erzähle uns doch ein paar Worte zu der aktuellen Ausschreibung. Die Ausschreibung geht noch bis zum 02. Mai 2012. Es könne Filme bis zu 15 Minuten Länge eingereicht werden, die auf Gedichten basieren.
T.Z.: Bei den Bewertungen der Filme wird immer auf beides geachtet: Sowohl auf den Film, also wie ist der Film ästhetisch aufgebaut, als auch auf den Text. Der Text spielt natürlich auch eine große Rolle. Es gibt zum Beispiel sehr gut gemachte Animationen, aber wenn es ein sehr plattes Gedicht ist, das sich zum Beispiel nur reimt, kann man dann auch sagen, es wäre schöner gewesen, wenn es ein besseres Gedicht gewesen wäre. Es spielt also beides eine große Rolle – es muss ausgewogen sein. Die Jury wird aus den Sparten Film, Lyrik, Medienkunst und Vertrieb bestehen.
S.M.: Als lyrische Grundlage habt ihr dieses Jahr das Gedicht [meine heimat] von Ulrike Almut Sandig gewählt, das man auf euer Seite auch anhören kann. Ihr ladet die Teilnehmer dazu ein, dieses Gedicht zu verfilmen. Wieso dieses Gedicht?
T.Z.: Wir haben eine Plattform, die nennt sich Lyrikline.org.Und da haben wir uns mit dem Projektleiter von Lyrikline, der auch hier im Haus sitzt, zusammen gesetzt und haben nach zeitgenössischen Gedichten gesucht.
S.M.: Die Autorin dieses Textes ist noch recht jung, sie ist 1979 geboren, der Text also sehr zeitgenössisch. Wieso wählt ihr junge Lyrik, und nicht die „Klassiker“ für euer Festival?
T.Z.: Weil gerade die zeitgenössische Poesie gar nicht so sehr bekannt ist. Die meisten verbinden Poesie mit Namen wie vielleicht Brecht, und danach ist eben Schluss. Man weiß gar nicht so genau wer danach noch war….
Lyrik existiert ja weiterhin. Es gibt viele gute Lyriker und Lyrikerinnen in Deutschland und eben Berlin. Ulrike kommt aus Leipzig.
Wir wollen ein Gespräch zwischen den Filmemachern und den Lyrikern anregen – und vor allem wollen wir, dass man wegkommt von dem Gedanken, Lyrik höre irgendwann 1930, 1940 auf.
Die zeitgenössische Lyrik kennen nur sehr wenige. Beim SlamPoetry wiederum ist der Bekanntheitsgrad sehr hoch. Es war uns wichtig zu zeigen, dass es viele junge Dichter gibt, die ganz anders herangehen an so ein Thema.
Dann war es auch noch eine ganz pragmatische Entscheidung, [meine heimat] zu nehmen. Wir haben in dem Pool von Gedichten auf Lyrikline geschaut, welche Gedichte besonders oft übersetzt wurden. Das war nicht direkt ein Kriterium, hat uns dann aber doch noch mal bei der Entscheidung geholfen, und es schien sinnvoll, ein Gedicht auszuwählen, das zum Beispiel auch ins Arabische übersetzt wurde.
S.M.: Spielte das Thema des Gedichtes, Heimat, auch eine Rolle?
T.Z. Wir sind nicht vom Thema her gekommen sondern eher von der Auswahl der Dichter und Dichterinnen her. Wir haben dann in großer Runde entschieden, dass das nun das Gedicht ist, das von allen übrig bleibt. Es wäre schwierig gewesen, wenn wir gesagt hätten, wir machen jetzt das Thema Heimat. Wir sind eher wirklich vom Gedicht her ausgegangen, von der Stimme, vom Klang, der Übersetzung, all den Komponenten die da zusammenkommen. Uns war zudem wichtig, die Bandbreite von Lyrikline zu demonstrieren.
S.M.: Was würdest du sagen, was im Moment in der zeitgenössischen Lyrik in Deutschland das Haupt-“Thema“ ist, vielleicht auch im Gegensatz zu anderen Ländern, wo Texte eher politisch oder gesellschaftskritisch sind?
T.Z.: Die Konzentration auf das Schreiben selber. Also eine poetologische Selbstreflexion.
Wichtig ist aber auch die Frage, welche Verantwortung die Lyrik gegenüber der Politik hat. Also was kann Poesie bewirken. Ähnlich wie in den Ländern, wo Lyrik ganz, ganz wichtig ist, wie z.B. Syrien.
S.M.: Was können die Teilnehmer vom Festival erwarten?
T.Z.: Es gibt mehrere Schienen: Einmal die Plattform, wenn man eingeladen wird und neue Leute trifft. Wir versuchen es auch zu ermöglichen, damit die Filmemacher und Dichter tatsächlich zum Festival kommen können.
Auf dem Festival findet also eine Vernetzung statt und wir bringen Leute aus verschiedenen Ländern dort zusammen. Es sind auch schon neue Filme dadurch entstanden.
Nach dem Festival reisen wird dann durch verschiedene Länder und zeigen die besten Filme. Oftmals auf Literaturfestivals, z.B. in Australien, Indien, Mexiko, Argentinien, Russland, in ganz Europa…Es geht quasi einmal um den Erdball.
Auch schauen wir, dass wir über das Internet den Kontakt halten, die Sachen weiter verbreiten und die Leute weiterhin vernetzen.
S.M.: Gab es schon Erfolgs-Stories?
T.Z.: Es gibt im Nachhinein durchaus Einkäufe der Filme, von arte wurde jetzt zum Beispiel ein Film eingekauft. Manche Filme tauchten zum Beispiel auch auf 3sat auf. Auch hat das finnische Fernsehen eine Reportage gemacht.
Nach dem Festival geht es ja weiter. Es gibt Unmengen von Videoplattformen, wie Vimeo oder Youtube, und auf diesen Plattformen schauen sich die Leute dann noch mal die Filme an. Es gibt Fälle, wo jemand vier Millionen Klicks hatte.
Das ist schon immens. Das Ganze ist also eine große Chance für Filmemacher und vor allem auch für Dichter, ihre Gedichte und ihre Stimme nach außen zu tragen.
Ich kann den Teilnehmern auch immer nur empfehlen, sich Gedichte auszusuchen. die sie persönlich ansprechen, und nicht einfach nach der Popularität zu gehen. Celan zum Beispiel oder auch Hesse, das sind schwierige Sachen. Themen, die einen direkt betreffen und die man verstehen kann, kann man natürlich viel besser umsetzen.
S.M. Vielen Dank für deine Zeit und das spannende Interview! Wir freuen uns schon sehr auf das Festival im Oktober.
© Thomas Zandegiacomo Del Bel