ZDF: Wunderbare Werbe-Welt

Rolf Rateiczik, den führenden Flaschensammler der Saalemetropole. Das ZDF ist in der Stadt, angeführt von Thomas Gottschalk, neben dem früheren Führer und Reichskanzler Adolf Hitler der zweitliebste Fernsehmoderator der Deutschen. Gottschalk, der mit "Wetten, dass..." genau aller zwei Jahre Station an der Saale macht, hat Prominente mitgebracht. Das schwedische Duo Roxette, die ehemalige Boyband Take That und einen volltrunkenen Udo Lindenberg, dazu aber auch noch eine sogenannte "Stadtwette", für die Halles Einwohner auf leeren Flaschen eine Melodie des einst aus der Saalestadt nach London geflohenen Komponisten Händel blasen sollen.
Mit 20.000 Fans rechnen die Stadtverwaltung und örtliche Medien vorher, 3.000 sind dann wirklich da. Es schneit und während es dem ZDF wie stets gelingt, mehr Schleichwerbung für allerlei Produkte der Unterhaltungsindustrie in der Sendung unterzubringen als private Sender in ihre Werbepausen pressen könnten, steht vor allem die erlebnishungrige Jugend der altgewordenen Salzstadt bei Thüringer Bratwurst und Bier vor der "19-Quadratmeter-Leinwand" (dpa) und staunt, wie Männer mit Salamistückchen golfen oder Bierflaschen vor aller Augen mit dem Ohr öffnen.
Fernseh-Grundversorgung, für die kein Gebührencent zuwenig ausgegeben wird, lernt sich das Gemeinwesen doch genau in diesen Momenten kennen. Ja, jedes Land hat die Fragen zu beantworten, die es sich selbst stellt. Deshalb harren die Menschen in Kairo auf dem zentralen Platz der Stadt noch aus, obwohl Europa den durchgeführten Militärputsch zum Sturz Mubaraks einstimmig begrüßt hat. Deshalb stehen in Halle alle Münder auf dem zentralen Platz offen, als Gottschalk seinen Abschied noch vor den Neuwahlen in Ägypten ankündigt. Wieder ein Zeitalter zu Ende, zum dritten Mal nach Honecker und Kohl geht einer, der immer da war, so lange jedermann denken konnte. Und zum dritten Mal geht er nicht freiwillig. Er will auch nicht wieder kandidieren, verspricht er, eventuelle Konten in der Schweiz werden deshalb, im Unterschied zu denen Mubaraks, nicht "eingefroren" (dpa).
Jetzt aber erstmal eine unfallfreie Sendung machen! Fernsehen ohne Krankenwagen, eine Herausforderung. Doch die Stadtverwaltung hat vorgesorgt. Der Straßenbahnverkehr ist eingestellt, die Stadtmitte ausnahmsweise beleuchtet. Alles, was Beamtenbeine hat, ist im Einsatz, um den Wettgewinn zu gewährleisten, von dem - so die Überzeugung der Rathausspitze - das Ansehen der Stadt im In- und Ausland abhängt. Tage vorher schon hatte das ZDF über die "Bild"-Zeitung durchsickern lassen, mit welcher Herausforderung zu rechnen sein würde. Zeitungen bildeten die als Blasinstrumente mitzubringenden Flaschenmodelle ab, städtische Angestellte und Mitarbeiter städtischer Firmen hingen in einer Alarmkette, um sofort einzuspringen, wenn es die Wettsituation erfordert.
Sie erfordert es nicht. Die Tonregie schiebt die Regler für die fünf Vorbläser auf der Bühne einfach etwas hoch, so dass vom musikalischen Volkssturm auf dem Platz nur ein diffuses Klingeln und Tröten zu hören ist. Händels "Halleluja" ist damit selbst für Thomas Gottschalk eindeutig identifizierbar. Lächelnde Gratisfreude in der Messehalle. Glückliche Umarmungen vor der Bühne auf dem Markt. Halle hat es wiedermal der ganzen Welt gezeigt. Das macht Hoffnung auf Investoren. Die meisten Flaschen, die nun als Instrumente ausgedient haben, zerklirren auf dem schneeregennassen Pflaster, das seinerzeit aus Vietnam importiert worden war, weil es in Deutschland keine Steine mehr gibt. Den Rest sammelt dann Rolf Rateiczik ein.


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