Gentrification ist Mainstream – nicht nur als dominanter Stadtenwicklungstrend, sondern auch in den Medien. Das ZDF hat sich ausführlich dem Thema gewidmet. Im „interaktiven, crossmedialen und jugendlichem“ Sendeformat ZDF log in wurde gestern ausführlich über Gentrification, Mietsteigerungen und die Notwendigkeit von Wohnungspolitik diskutiert. Als Gesprächspartner geladen war einen illustere Runde mit Christoph Twickel (Autor von „Gentrifidinbgsbums„), dem CDU-Bundestgasabgeordneten Jan-Marco Luczak und Ira von Cölln vom Bundesverband freier Immobilien und Wohnungsunternehmen (BFW).
Schon in der Ankündigung wurden sehr unterschiedliche Positionen deutlich.
Christoph Twickel:
Leider hat es die Immobilienwirtschaft in den vergangenen zehn bis 15 Jahren erfolgreich geschafft, unsere Städte in Portfolios lukrativer Immobilienanlagen zu verwandeln. (…) ich kann nur hoffen, dass es den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern gelingt, genug Druck zu machen, damit die Qualitäten der Metropolen – die Verdichtung von unterschiedlichen Lebensweisen – nicht zugunsten einer noch massiveren Segregation verschwindet
Jan-Marco Lucsak (CDU):
Steigen die Preise, müsse man eben an den Stadtrand ziehen. (…) “Darf der Staat Eigentumsrechte beschneiden?” Angebot und Nachfrage sollte eigentlich der Markt regeln.
Ich habe die Sendung selbst verpasst, aber das ZDF-Voting „Steigende Mieten – Sollte der Staat gegensteueren?“ spricht für einen deutlichen Punktsieg für die Anti-Gentrification-Positionen von Christoph.
Ob Zufall oder einer Abstimmung der Redaktionen geschuldet, wurde in der Rubrik Politik bei ZDFheute.de fast zeitgleich ein Interview mit mir veröffentlicht: “Soziale Spaltungen drücken sich auch räumlich aus“ (Soziologe Holm über Verdrängungsprozesse in Städten)
„Soziale Spaltungen drücken sich auch räumlich aus“
In Berlin und anderen deutschen Großstädten steigen die Mieten, schon Normalverdiener werden verstärkt aus den Innenstädten verdrängt – ein internationaler Trend. Wie lässt sich gegensteuern? Der Stadtsoziologe Andrej Holm über Gentrifizierung.
heute.de: Herr Holm, in Berlin wird gewählt, zentral im Wahlkampf sind Maßnahmen gegen steigende Mieten. Ist das nur Wahlkampf oder tut sich da politisch wirklich etwas?
Andrej Holm: Es ist einerseits ein Fortschritt, dass das Thema nun überhaupt auf der Agenda steht. Da werden zumindest vorhandene Stimmungen aufgegriffen, die Gentrifizierung ist ja längst Alltagsgespräch. Andererseits bleibt nebulös, was die Parteien konkret gegen Mietsteigerungen tun wollen.
heute.de: Na ja, es gibt etwa die Ideen, Mietobergrenzen festzulegen oder Luxussanierungen zu verhindern.
Holm: Es wird aber wenig bringen, einzelne Hebel isoliert anzusetzen. Steuerrechtliche Rahmenbedingungen, städtebauliche und mietrechtliche Regelungen, Finanzierungsprogramme und Restriktionen bei verschiedenen Genehmigungsverfahren müssen ineinander greifen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Was fehlt, ist eine klare Vision, wie man Gentrifizierungsprozessen begegnen will. Erst wenn man die hat, kann man die einzelnen Instrumente aufeinander abstimmen.
heute.de: Worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Gentrifizierung reden?
Holm: Der Kern ist die Orientierung an Profiten und Renditen im Wohnungssektor. Platt ausgedrückt: die kapitalistische Organisation der Wohnungsversorgung. Die führt in vielen Städten dazu, dass Mieterhöhungsmöglichkeiten von privaten Eigentümern auch ausgenutzt werden – was Verdrängungsprozesse auslöst.
heute.de: In der öffentlichen Diskussion könnte man den Eindruck gewinnen, Gentrifizierung sei vor allem ein Prozess, in dem verschiedene Lebensstile aufeinander prallen. Ein Mann, der Kinderwagen in Berliner Hausfluren angezündet haben soll, hat einem Ermittler zufolge dieser Tage als Motiv „Hass auf Schwaben in Prenzlauer Berg“ angegeben – auf die zugezogenen vermeintlichen Gentrifizierer also.
Holm: Das hat damit zu tun, dass Gentrifizierung in der Regel sehr verkürzt dargestellt wird: als Prozess, in dem erst Künstler kommen und ein Gebiet aufwerten, dann ziehen die Immobilien- und Mietpreise an, weil Leute nachziehen, die sie bezahlen können, und die alteingesessenen Bewohner werden so verdrängt. Die Frage, welche Schuld Yuppies, Familien oder Schwaben tragen – wer auch immer da als Feindbild aufgebaut wird -, lenkt aber nur von den strukturellen Ursachen ab.
heute.de: Die da wären?
Holm: In der Wissenschaft fragen wir uns, was sind die ökonomischen und politischen Voraussetzungen für diese Verdrängungsprozesse? Und wenn wir uns dann weltweit die Beispiele anschauen, sehen wir am Anfang nicht etwa neue Galerien. Sondern es braucht vor allem den Investor, der Immobilien kauft und Geld damit verdienen will, und politische Programme, die ihm Spielräume lassen. Heute lösen internationale Finanzinvestoren, ob in London, New York, Hamburg oder Berlin, zunehmend traditionelle Wohnungsbauunternehmen ab. Und Großstädte konkurrieren heute weltweit miteinander, sei es um den Zuzug von Unternehmen oder um Großevents – sie wollen attraktiv sein für Besserverdienende. Beides begünstigt Gentrifizierung.
heute.de: Ist Gentrifizierung demnach ein relativ neues Phänomen oder ist nur die breite Debatte neu?
Holm: In den Siebzigern und Achtzigern war Gentrifizierung als damals neue Stadtentwicklung auf einzelne Nachbarschaften beschränkt, man sprach von „Inseln der Aufwertung in einem Meer von Verfall“. Heute bestimmt sie einen großen Teil der Innenstädte. Der Unterschied zwischen damals und heute ist also quantitativ. Was auch bedeutet, dass die gesellschaftliche Relevanz gestiegen ist.
heute.de: Befürchten Sie für Deutschland eine Annäherung der Mieten an den Pariser oder Londoner Wohnungsmarkt, also mit der Tendenz zur Unbezahlbarkeit?
Holm: Wenn wir den Trend der letzten Jahre in fast allen deutschen Großstädten fortschreiben, steuern wir genau darauf zu. Und das wirft grundsätzliche gesellschaftliche Fragen nach sozialen Spaltungen auf, die sich auch räumlich ausdrücken. Die ökonomisch Benachteiligten werden an den Stadtrand gedrängt. Noch aber haben wir zumindest in Berlin eine relativ gemischte Struktur, wir haben noch einen vergleichsweise preiswerten Wohnungsmarkt, und das heißt: Wir haben noch soziales Potenzial, das es zu verteidigen gilt.
Das Gespräch führte Klaus Raab.