In meiner Kindheit gab es kein Helloween. Aber weil es wohl ein recht lukratives Geschäft ist, gibt es den Brauch jetzt auch in Europa. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Helloween bei uns etabliert und wir schnitzen genauso Kürbisse, wie die Mütter in den USA. Viel verdienen kann man mit der Zahnfee nicht. Trotzdem hat sich auch dieser Brauch irgendwie eingeschlichen. Wahrscheinlich war es diesmal Hollywood, das uns gezeigt hat, was ein Kind mit einem ausgefallenen Milchzahn machen muss. Seitdem darf ich immer wieder mal Nachts durch die Kinderzimmer schleichen und Zähne gegen Bargeld tauschen. Ein schlechter Tausch.
Zahnlose Kinder
Die Älteste der Drei ist für ihr Alter sehr klein. Sie ist mittlerweile 8 Jahre alt und besucht die zweite Klasse. Mein Sohn ist 6 Jahre alt und wechselt im Herbst in die Schule. Vor ein paar Monaten hat es bei der Ältesten begonnen. Der erste Wackelzahn und weil es nicht anders geht, natürlich an Panik grenzende Aufregung. Vorsichtig wurde gewackelt und gewackelt und eines Tages, als die Kleine von der Schule abgeholt wurde, wurde sie von ihrer Lehrerin begleitet. Mit ernster Mine hat mich die Lehrerin infomiert, dass meine Tochter während der Turnstunde zuerst ihren Zahn ausgerissen hat und anschließend in Ohnmacht gefallen ist. Kinder sind unterschiedlich und Jungs sind anders als Mädchen. Als der erste Zahn meines Sohnes gewackelt hat, wurde er kurzerhand entfernt. Die ganze Aktion, die bei meiner Tochter fast eine Woche voller Tränen und Angst gedauert hat, war nach 30 Minuten über die Bühne. Mittlerweile ist Zahnausfall bei uns Routine.
Zahnen
Die Erinnerung an die kleinen Zähnchen, die ich jetzt in der Nacht unter den Kissen hervorhole, ist noch ziemlich lebendig. Wie sie meine Kinder gequält haben. Sabbernd haben sie an Beissringen gekaut. Im Gefrierschrank gelagert und dann dankbar in den Mund gesteckt. Wer einer jungen Familie eine Freude machen will, der kann einen Beissring schenken. Auf www.zwergehuus.ch kann man so einen Beissring sogar mit dem Namen versehen lassen. Zur Geburt ist ein guter Zeitpunkt, weil spätestens nach 8 Monaten ist der erste Zahn durch das Zahnfleisch gewachsen. Das heißt aber nicht, dass man 8 Monate Ruhe hat. Die Zähne quälen die Kleinen über Wochen, wenn sie sich langsam ihren Weg ins Freie bohren. Jetzt haben die Quälgeister ihren Job erledigt und machen Platz für die nächste Generation.
Mäusezähnchen invers
Mein Mann hat für unsere Kinder immer wieder Kosenamen. Die Älteste war eine ganze Weile lang sein Mäusezähnchen. Die beiden oberen Schneidezähne waren mit großem Abstand die ersten Zähne und sehr lange hatte sie nur vier Zähne. Zwei oben und zwei unten. Jetzt ist es genau umgekehrt. Die vier Kosenamensgeber unserer kleinen Maus haben sich verabschiedet. An ihre Stelle ist eine Lücke und ein leichter Sprachfehler getreten. Als Zahnfee habe ich momentan alle Hände voll zu tun, denn die 8 Schneidezähne, die als erstes ausfallen, sind jetzt an der Reihe. Bis zum 12 Lebensjahr werden nach und nach die Milchzähne ausfallen und die zweiten bleibenden Zähne werden wachsen.
Neuer Lebensabschnitt
Vom Beissring bis zum ersten bleibenden Zahn vergehen 6 Jahre. Eine lange Zeit. Allerdings scheint sie mir jetzt im Nachhinein viel zu kurz. Aus dem süßen kleinen Baby, das an meiner Brust gesaugt hat wurde ein Kleinkind, das sich zuerst auf allen Vieren und später auf wackeligen Beinen durch die Wohnung bewegt hat. Heute ist mein Sohn kurz vor der Einschulung und die Älteste ist ein kleines Schulkind. Macht sie ihre Hausaufgaben, dann ist sie ernst und konzentriert. Sie liest, sie versteht, sie fragt und entdeckt die Welt. Eine Welt, die heute nicht mehr so für sie ist, wie noch vor ein paar Jahren. Spielen ist immer noch ein großer Lebensbereich, aber der Ernst des Lebens nimmt immer mehr Raum ein. Es wird nicht lange dauern und sie wird ein pubertierender Teenager mit Problemen, die niemand versteht und Hautproblemen.
Abschied von der Kindheit
Nur 20 Milchzähne hat ein Mensch. Mit etwa 6 Jahren geht der Zahnwechsel los und 4 zusätzliche Backenzähne wachsen. Danach fallen zuerst die Schneidezähne aus und wachsen nach. Schließlich werden auch die Backenzähne nach und nach ersetzt. Mit 12 Jahren sind dann alle Zähne ersetzt und nur noch die Weisheitszähne werden wachsen. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende und der Zahnwechsel läutet den Weg zum Erwachsenwerden ein. Die kleinen Zähnchen haben 6 Jahre lang Brei gelöffelt, an Keksen geknabbert und Trinkflaschen zerkaut. Mit jedem Zahn lässt das Kind ein Stück seiner Kindheit hinter sich. Die Zähne, die jetzt nachwachsen werde ich nicht mehr nachputzen. Die Kinder sind groß genug ihre Zähne selbst gründlich zu reinigen.
Selbstständigkeit
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehe ich mir die kleinen Zähnchen an, die ich aus den Kinderbetten hole. Das weinende Auge hat allerdings nichts mit dem Euro zu tun, den ich unter das Kopfkissen lege. Es macht mich ein wenig sentimental, dass meine Kinder langsam älter werden. Nicht nur die Zähne verändern sich. Sie wachsen und entwickeln sich. Körper und Geist reifen und immer mehr hat man es mit ernsthaften und nachdenklichen Gesprächspartnern zu tun. Die kleinen Probleme unserer Welt machen auch vor meinen Kindern nicht mehr halt und das unbeschwerte Kindsein endet spätestens in der ersten Prüfungssituation in der Schule.
Grund zur Freude
Aber zum Glück habe ich zwei Augen und eines der Augen hat auch allen Grund zu lachen. Nicht nur, dass ich offensichtlich bei der Zahnpflege alles richtig gemacht habe und die Zähne, zumindest bisher, keinerlei Schäden haben. Nein, ich habe meine Kinder auch erfolgreich bis hierher gebracht. An einen Punkt, ab dem sie, zumindest teilweise, auch ohne mich weitergehen können. Zwar gibt es, garnicht so selten, noch Situationen, in denen sie mich dringend brauchen. Trotzdem sind sie selbstständiger als je zuvor und das ist erst der Anfang. Eines Tages werden sie mitten im Leben stehen, ihren Weg gehen und, wenn alles glatt geht, mich sehr stolz machen. Bis dahin spiele ich weiterhin die Zahnfee und bin auch sonst für sie da, wenn sie mich brauchen.