Zahlen lügen nicht. Aber Menschen.

Gehe ich ein paar Jahre zurück bis etwa ins Pleistozän und stoppe an dem Tag, an dem mir angeboten wurde, im Wirtschaftsministerium oder auch in einem Forschungsinstitut Zahlen für Politiker so zu mani aufzubereiten, dass damit das Volk mani informiert werden kann, erinnere ich mich wieder an den Grund für meine Absage (die man, ehrlich gesagt, durchaus auch als empörte Zurückweisung werten konnte). Ich hatte mich gerade mit den Kosten der Wiedervereinigung beschäftigt und dadurch interessante Einblicke ins Tun und Lassen von verbeamteten Ameisen erhalten. Und ich hatte viel gelernt über ministeriale Hierarchien und über die… – jetzt schreibe ich es nun doch offen: Manipulation von Daten und Fakten. Das gebräuchlichere, aber unehrlichere Wort lautet Interpretation.

Wollen mündige Bürger Informationen wirklich vorinterpretiert bekommen? Die Behörden glauben das, mehr noch, sie sind davon überzeugt. „Der Bürger“ kommt der Obrigkeit (die wirklich mit diesem Selbstverständlich ausgestattet ist!) schlicht als zu dumm vor, um aus Zahlen Schlüsse zu ziehen. Der Bürger soll wählen, ansonsten aber bitte die Klappe halten und Steuern zahlen. Also rechnet man ihm etwas vor und wiegt ihn damit in den Schlaf oder lässt ihn durch die Medien BILDen. Und so entstehen Titelgeschichten, die Menschen und Wahlkämpfe beeinflussen. Ein Beispiel gefällig?

Jedes sechste Kind in der Bundesrepublik Deutschland, so verkündete die OECD im September 2009 lebe in Armut. Das sei deutlich mehr, als der OECD-Durchschnitt. Damit müsste sich Deutschland fast schon an Länder wie Polen, Mexiko oder der Türkei messen. Peinlich für die christlichsozialen Regenten und Grund, umgehend in Aktionismus zu verfallen. Milliarden wurden vermutlich aus den Schlaglöchern auf unseren Straßen zusammengekratzt und Frau von der Leyen, siebenfache Vorzeigemutter mit Haushaltshilfe und Kindermädchen und Familienministerin plusterte sich mächtig auf und legte umgehend ein Ei, in dem sich mehr Kindergeld und andere Goodies befanden.

Ich will nicht diskutieren, ob diese Maßnahme richtig und hinreichend war, nicht, ob Armut selbst- oder fremdverschuldet ist, und erst recht nicht, warum und woher sie entsteht. Sie ist da, wir sehen sie tagtäglich, wenn wir nicht gerade mit geschlossenen Augen durchs Leben wanken. Armut, vor allem, wenn sie Kinder betrifft, ist schrecklich und hat nachhaltige Folgen. Und das sollte uns mehr berühren und bewegen als nur einmal aufseufzen und zur Tagesordnung übergehen lassen. Nein, mir geht es um etwas anderes – und damit schließt sich mein Kreis, den ich oben zu zeichnen begonnen habe:

Die verkündeten Zahlen waren falsch. Und mehr als genug Experten wussten das. Wussten es auch die Politiker? Das wäre ein Skandal! Kinderarmut ist gegeben, nicht aber rangiert Deutschland am unteren Ende der Skala, sondern am oberen. Und die Zahlen steigen nicht etwa, sondern sie fallen kontinuierlich. Wer diese Statistiken erstellt hat? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW). Dieser Datenmüll war nicht der erste, sondern findet hinter dem Haus an der Berliner Mohrenstraße Platz auf einem Berg, der schon länger dort liegt und wieder einmal angewachsen ist. Man könne nichts dafür, die Datenbasis gebe keine besseren Zahlen her, redet man sich beim DIW heraus. Mag sein. Aber die Statistik bietet eine Reihe von Formeln, um Unsicherheiten aus Daten herauszufiltern – und dann wäre da ja auch noch die Möglichkeit gegeben, offen zu erklären, wie die Zahlen entstehen, wie sie aufbereitet, gewichtet und letztlich präsentiert werden. Interpretieren und einschätzen, da bin ich ganz sicher, kann das so transparent Dargebotene auch der Bauarbeiter oder die Bäckereiverkäuferin. Blöd sind die nämlich nicht. Sie werden nur ganz gern für blöd verkauft.

P.S.: Ich hatte mich für die „andere Seite“ entschieden, für den Journalismus. Und das ist, um es wowereitisch auszudrücken, gut so.


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