So ähnlich muss es bei Shakespeares Truppe im Globe Theatre gewesen sein: Eine Bühne, die ins Publikum hineinragt und somit mehrere Schauseiten hat; eine gleichmäßige Beleuchtung (damals: das Tageslicht), bei der die Gesichter der Zuschauer sichtbar bleiben; im Hintergrund ein Vorhang, aus dem wieder und wieder die Schauspieler stürmen, um die zunächst leere Bühne nach und nach mit Requisiten zuzumüllen; eine Besetzung, die auf das primäre Geschlecht der dargestellten Figuren keine Rücksicht nimmt; fliegende Rollenwechsel – und jede Menge Gewalt, körperlich dargestellt oder erzählt. Gut, die Luft war wahrscheinlich besser damals im elisabethanischen Freilichttheater als im „Keller der Kleinen Künste“, einem niedrigen kühlen Raum, der sonst zu Ausstellungszwecken genutzt wird und in dem jetzt Dominik Frank seine jüngste Inszenierung zeigte. Das Dutzend Schaulustiger bei der Wiederaufnahme-Premiere behielt die Mäntel an, suchte sich einen der unterschiedlich designten Stühle aus, die die Spielfläche umrundeten, und machte sich bereit für – nein, nicht für Shakespeares „Titus Andronicus“ , sondern für Heiner Müllers Shakespearepalimpsest „Anatomie Titus Fall of Rome“, das den blutigen und listenreichen Kampf zwischen dem expandierenden römischen Reich und den unterworfenen Goten schildert (im Programmheft und durch ein kurzes Sarrazin-Zitat völlig überflüssig und notdürftig in einen Zusammenhang mit der heutigen Integrationsdebatte gestellt; wenn das Theater dazu Stellung beziehen will, dann soll es ein neues Stück generieren, das der Komplexität der Sache gerecht wird, anstatt alte Texte durch derart simple Bezüge zum Heute adeln zu wollen).
Der umständliche, metapherngeschwängerte Text ist wahrlich harte Kost und im mündlichen Vortrag ebenso schwer zu verstehen wie die meisten deutschen Shakespeareübersetzungen. Hier muss man eine Menge Konzentrationsfähigkeit und -willigkeit mitbringen, um zu folgen. Für das Theater eignet sich Müllers schwere, romantische Sprache wenig – oder stellt zumindest extreme Anforderungen an die Durchdringung und Gestaltung durch die Sprecher. Das gelingt den drei Schauspielern nur gelegentlich; oft besteht die Gefahr, in langen Monologen wegzugleiten. Dazu trägt die zurückhaltende, manchmal leiernde Textgestaltung von Raffaela Phannavong ebenso bei wie das übertriebene und undifferenziert überartikulierte Chargieren des Regisseurs Dominik Frank, der bei der Wiederaufnahme selbst einsprang. Was im Übrigen die Zuordnung der Rollen zu den Schauspielern noch schwieriger machte, als es bei der ursprünglich rein weiblichen Besetzung – analog zu Shakespeares Männertheater – gewesen sein muss.
Trotzdem ist es eine spannende Inszenierung, deren Besuch sich lohnt. Und das liegt an den eindringlichen, klugen und drastischen Bildern, die Dominik Frank mit den Körpern seiner Schauspieler gefunden hat. Im runden Bühnenraum vor dem roten Samtvorhang, der neben der Globeassoziation vor allem an eine Zirkusarena erinnert und in dem immer wieder clownesk überschminkte Gestalten auftauchen, ist die Hölle los. Telefonbücher, Getränkekästen, Salatköpfe, ein Koffer, Mehl – um ebenso einfache wie vielseitige Requisiten tanzen die drei Spieler den Reigen der Gewalt. Wundervoll die Vergewaltigungsszene, bei der das Opfer wie ein Dressurpferd durch die Manege gescheucht wird; großartig das blutrünstige Schlachten der Salat- bzw. Gotenköpfe. Hier wird nicht simpel nacherzählt, sondern die Essenz des Geschehens körperlich sichtbar gemacht. Manchmal wünscht man sich bei dem Herumgetolle mehr choreographischen Schliff, dafür ist der Einsatz aber umso größer. Großes Lob an die Dritte im Bunde, Marie Golüke: Sie fühlt sich in diesem Stil sichtlich wohl und findet in ihren Männerrollen eine Ruhe und Lockerheit, die den zur Überhitzung neigenden Abend immer wieder erdet und auch Platz für Komik lässt – gerade bei ihren schnellen Stimmungs- und Rollenwechseln. Nur dort, wo es nötig ist, drückt sie plötzlich auf die emotionale Tube. Wobei auch die Musik hilft: Max Knur und Thomas Obermaier sitzen an ihren Macbooks und spielen teils live produzierte, teils vorgefertigte Klänge ein, die oft – wie bei atmosphärisch gedachter Filmmusik – gar nicht auffallen, bis sie vorbei sind. Von dieser subtilen Verbindung zwischen Musik und Schauspiel könnte mancher Regisseur, der eine willkürliche Auswahl aus seinem Plattenschrank benutzt, um Löcher zwischen Szenen zu überbrücken, etwas lernen.
Weitere Aufführungen am 30. und 31. März.