Yung Hurn
Airline Show
München, Tollwood Festival, 27. Juni 2019
Die eigentliche Herausforderung ist ja nicht der Besuch selbst. Wenn man in gesetztem Alter ist und sich dazu entschließt, bei Yung Hurn vorbeizuschauen, dann kann man davon ausgehen, daß die übergroße Mehrheit des Publikums höchstens halb so alt ist wie man selbst. Sich davon abschrecken zu lassen wäre keine Alternative, gute Mucke bleibt gute Mucke, auch wenn die Haare schon grau sind und der Rücken schmerzt. Im Zweifelsfall kann man sich ja damit herausreden, dass man halt den eigenen Nachwuchs vorbeibringe und der Einfachheit halber gleich auf ein, zwei Bier dageblieben ist. Im Normalfall (die angenehme Variante) wird man ohnehin ignoriert, ein wenig peinlicher ist die zwar seltene, aber sehr freundliche Respektbekundung („Sie gehen also tatsächlich auf sooo ein Konzert?!“), naja, laß mal besser stecken… Nein, richtig schwierig wird es erst, wenn man darüber schreiben will, denn die Fettnäpfe sind so groß wie die Fallstricke lang. Zur Auswahl steht einerseits der verspannte Oberlehrermodus, der stets vergleichen und ins Verhältnis setzen will und deshalb häufig mit Sätzen beginnt wie: „Also, zu meiner Zeit …“ oder „Bei uns damals hatte/mußte/durfte/brauchte …“ Nicht weniger schlimm: Rezomäßig rankumpeln. Geht immer schief, selbst wenn’s superironisch gemeint ist (siehe Beispiel Sächsische Zeitung). Die Fremdschamquote ist in beiden Fällen ziemlich hoch.
Also dann der Mittelweg, denn einige Dinge gäbe es schon zu sagen. Dass auch die Organisation solch eines Gigs Stolpersteine bereithalten kann, beweist die Einlasskontrolle. Zwei Zugänge zunächst, an beiden jeweils eine Schlange von bis zu einem halben Kilometer Länge (die sich ganz am Ende wieder zum Kreis schließen müssten), Kontrolltempo: keines. Dass dann später noch weitere Tore geöffnet wurden, bekommt nur mit, wer hinten nicht bereits verdurstet und/oder weggedimmt ist, das Einlaßtempo ändert sich nur marginal, viel wichtiger ist, dass der nachlässige Schlangenbenutzer auf den vorgeschriebenen Abstand von genormten 123,5 Zentimetern zum passierten Verkaufstand hingewiesen wird, hier muß dringend verwarnt werden. Einmal drinnen im Zelt, weiß man, dass sich Ärger und Eile nicht gelohnt haben. Ein DJ knüppelt der wachsenden Menge mäßig abwechslungsreichen Techno um die Ohren, es füllt sich und es dauert. Lange – bis zum Hauptact jedenfalls. Denn mit dem Support gibt es ein Wahrnehmungsproblem: Man sieht sie nicht, man versteht sie nicht, man weiß nicht so recht, was sie wollen. Sie hatten wohl gerade nichts Besseres vor. Die Stimmung hält sich in Grenzen.
Das ändert sich zum Glück schlagartig, als Yung Hurn die Bühne entert – infernalisches Geschrei, im Handumdrehen wird aus der Menge ein wogendes Spaßbad aus schwitzenden Körpern, unbedingt textsicher und feierbereit, es kann losgehen. Und das tut es auch, spätestens ab dem dritten oder vierten Song drehen alle frei, „FDP“, „Bianco“, „Ok Cool“, "Cabrio" und „Y. Hurn Wieso?“ sind erwartungsgemäß einige der stärksten. Die Tracks kommen live trotz madiger Zeltakkustik erstaunlich klar und kantig rüber, werden nicht wie befürchtet einfach weggenuschelt. Überhaupt: Allerspätestens ab Ü40 erntet man ja wahlweise Schulterzucken, gehobene Augenbrauen oder verzweifelte Ratlosigkeit, spielt man im Freundeskreis eines der genannten Stücke an, die meisten scheitern, weil sie versuchen, den Inhalt einzig über den Wortlaut, den Text zu begreifen, ohne dem dadaistischen Aspekt, dem Spaß an der Vermengung von Musik, Lautsprache, Dialekt, Geräusch Raum zu geben. Jüngeren Menschen gelingt das offenkundig weitaus besser, unbekümmerter. Es klappt also gut an dem Abend, auch wenn’s scheiße heiß ist – oben lässig, unten entspannt, keine Wünsche offen. Draußen vorm Zelt stehen dann alle, ausgepumpt, dampfend, mit hochroten Köpfen, aber glücklich und für einen Moment zufrieden mit dem Leben.
Airline Show
München, Tollwood Festival, 27. Juni 2019
Die eigentliche Herausforderung ist ja nicht der Besuch selbst. Wenn man in gesetztem Alter ist und sich dazu entschließt, bei Yung Hurn vorbeizuschauen, dann kann man davon ausgehen, daß die übergroße Mehrheit des Publikums höchstens halb so alt ist wie man selbst. Sich davon abschrecken zu lassen wäre keine Alternative, gute Mucke bleibt gute Mucke, auch wenn die Haare schon grau sind und der Rücken schmerzt. Im Zweifelsfall kann man sich ja damit herausreden, dass man halt den eigenen Nachwuchs vorbeibringe und der Einfachheit halber gleich auf ein, zwei Bier dageblieben ist. Im Normalfall (die angenehme Variante) wird man ohnehin ignoriert, ein wenig peinlicher ist die zwar seltene, aber sehr freundliche Respektbekundung („Sie gehen also tatsächlich auf sooo ein Konzert?!“), naja, laß mal besser stecken… Nein, richtig schwierig wird es erst, wenn man darüber schreiben will, denn die Fettnäpfe sind so groß wie die Fallstricke lang. Zur Auswahl steht einerseits der verspannte Oberlehrermodus, der stets vergleichen und ins Verhältnis setzen will und deshalb häufig mit Sätzen beginnt wie: „Also, zu meiner Zeit …“ oder „Bei uns damals hatte/mußte/durfte/brauchte …“ Nicht weniger schlimm: Rezomäßig rankumpeln. Geht immer schief, selbst wenn’s superironisch gemeint ist (siehe Beispiel Sächsische Zeitung). Die Fremdschamquote ist in beiden Fällen ziemlich hoch.
Also dann der Mittelweg, denn einige Dinge gäbe es schon zu sagen. Dass auch die Organisation solch eines Gigs Stolpersteine bereithalten kann, beweist die Einlasskontrolle. Zwei Zugänge zunächst, an beiden jeweils eine Schlange von bis zu einem halben Kilometer Länge (die sich ganz am Ende wieder zum Kreis schließen müssten), Kontrolltempo: keines. Dass dann später noch weitere Tore geöffnet wurden, bekommt nur mit, wer hinten nicht bereits verdurstet und/oder weggedimmt ist, das Einlaßtempo ändert sich nur marginal, viel wichtiger ist, dass der nachlässige Schlangenbenutzer auf den vorgeschriebenen Abstand von genormten 123,5 Zentimetern zum passierten Verkaufstand hingewiesen wird, hier muß dringend verwarnt werden. Einmal drinnen im Zelt, weiß man, dass sich Ärger und Eile nicht gelohnt haben. Ein DJ knüppelt der wachsenden Menge mäßig abwechslungsreichen Techno um die Ohren, es füllt sich und es dauert. Lange – bis zum Hauptact jedenfalls. Denn mit dem Support gibt es ein Wahrnehmungsproblem: Man sieht sie nicht, man versteht sie nicht, man weiß nicht so recht, was sie wollen. Sie hatten wohl gerade nichts Besseres vor. Die Stimmung hält sich in Grenzen.
Das ändert sich zum Glück schlagartig, als Yung Hurn die Bühne entert – infernalisches Geschrei, im Handumdrehen wird aus der Menge ein wogendes Spaßbad aus schwitzenden Körpern, unbedingt textsicher und feierbereit, es kann losgehen. Und das tut es auch, spätestens ab dem dritten oder vierten Song drehen alle frei, „FDP“, „Bianco“, „Ok Cool“, "Cabrio" und „Y. Hurn Wieso?“ sind erwartungsgemäß einige der stärksten. Die Tracks kommen live trotz madiger Zeltakkustik erstaunlich klar und kantig rüber, werden nicht wie befürchtet einfach weggenuschelt. Überhaupt: Allerspätestens ab Ü40 erntet man ja wahlweise Schulterzucken, gehobene Augenbrauen oder verzweifelte Ratlosigkeit, spielt man im Freundeskreis eines der genannten Stücke an, die meisten scheitern, weil sie versuchen, den Inhalt einzig über den Wortlaut, den Text zu begreifen, ohne dem dadaistischen Aspekt, dem Spaß an der Vermengung von Musik, Lautsprache, Dialekt, Geräusch Raum zu geben. Jüngeren Menschen gelingt das offenkundig weitaus besser, unbekümmerter. Es klappt also gut an dem Abend, auch wenn’s scheiße heiß ist – oben lässig, unten entspannt, keine Wünsche offen. Draußen vorm Zelt stehen dann alle, ausgepumpt, dampfend, mit hochroten Köpfen, aber glücklich und für einen Moment zufrieden mit dem Leben.