Die meisten Jobbewerber begehen einen schweren Fehler. Warum? Nun, viele Kandidaten betrachten das Vorstellungsgespräch ausschließlich aus der Bewerberbrille. Sind meine Einstellungsunterlagen tipptopp? Sitzt der Anzug bzw. das Kostüm perfekt? Trete ich souverän, wissend und authentisch auf?
(Fast) vollständig ausgeblendet wird die Sichtweise des Arbeitgebers. Auch dieser hat Interessen, unterliegt Randbedingungen und macht Fehler. Consulting-Life.de möchte es genau wissen und befragt daher den Executive Recruiter und Strategieberater Frank Rechsteiner. Worauf achtet ein Personaler? Wodurch halten Firmen ihre Top-Kräfte? Wie werden zukünftig Young Professionals rekrutiert?
Herr Rechsteiner: Starten wir konkret. Vorstellungsgespräch. Als Bewerber betrete ich den Raum. Worauf achtet ein Recruiter als erstes?
„Wie fühlen Sie sich, können Sie sich vorstellen hier zu arbeiten?“
„Was fällt Ihnen aktuell auf (positiv wie negativ)?“
Welche Stimmung nehmen Sie war?“
„Haben Sie sich gut vorbereitet, das heißt, haben Sie Fragen zum Unternehmen, Aufgabe den Projekten und zum Team erstellt?“
Es ist aus meiner Sicht nicht relevant, was der Recruiter über Sie denkt. Viel wichtiger sollte es Ihnen als Bewerber sein, wie Ihnen die Firma, die Atmosphäre und das Klima gefällt. Erst danach sollten Sie sich mit dem Recruiter beschäftigen.
Gehen wir ein paar Zahlen, Daten und Fakten durch. Was kostet einem wissensbasierten Unternehmen wie einer IT-Beratung die Einstellung eines neuen Mitarbeiters? Wie viele Bewerber wird das Unternehmen sichten müssen? Wie viele neue Mitarbeiter schaffen es über die Probezeit? Wie viele sind nach 3 Jahren noch da?
Meine Antworten wären an dieser Stelle sehr spekulativ und die Frage, die ich mir stelle – welchen Mehrwert bringt einem Recruiter diese Antwort. Der Benchmark mit anderen Firmen hilft an dieser Stelle nicht.
Sie müssen sich als Recuiter / Human Resources (HR) Manager die Frage stellen: mit welchen Maßnahmen kann ich Mitarbeiter gewinnen und dann auch im Unternehmen halten. Die Kosten spielen in einem Arbeitnehmermarkt – in dem wir uns aktuell befinden – nur eine sekundäre Rolle.
Ihr 2017 erschienenes Buch trägt den Titel Kulturbasiertes IT-Recruiting: Warum Headhunter für Ihr Unternehmen überflüssig sind. Was verstehen Sie unter kulturbasiertem Recruiting?
Ich habe in den vergangenen Jahren festgestellt, dass das Recruiting von IT-Führungskräften bestimmten Mustern folgt. Daher habe ich versucht, aufgrund von Praxiserfahrungen, Beobachtungen und Gesprächen gemeinsam mit Geschäftsführern, Managern und HR-Verantwortlichen aus der IT-Branche die beiden folgenden Fragen zu beantworten:
- „Welche Rahmenbedingungen müssen Unternehmen den Jobkandidaten bieten, damit diese gerne zu ihnen kommen und langfristig bleiben?“
- „Bei welchen Unternehmen funktioniert dies relativ problemlos, so dass sie es schaffen, auch ohne Headhunter geeignete IT-Spezialisten zu gewinnen?“
Aus den Antworten habe ich einen Sechs-Punkte-Plan entwickelt, den ich die ‚Hype-Strategie‘ nenne. Diese Strategie erfordert von den IT-Arbeitgebern ein radikales Umdenken, wollen sie erkennen, was Mitarbeiter heute tatsächlich möchten. Ich habe das Ziel, Unternehmen bei der Einführung eines kulturbasierten Recruitings zu unterstützen – und bestenfalls ganz ohne Headhunter auszukommen.
Motiviert wurde ich durch die leidvolle Erfahrung, dass im Employer Branding ständig die gleichen Phrasen von ‚kollegialer Arbeitsatmosphäre‘ und ’spannenden Kundenprojekten‘ zu hören sind, wo doch jeder weiß, dass der Kern eines Unternehmens seine Kultur ist – und zwar die gelebte Kultur, nicht das äußere Employer Branding.
Immer wieder hörte ich von Kandidaten schon wenige Wochen nach Eintritt ins neue Unternehmen: „Wenn ich gewusst hätte, wie es hier tatsächlich läuft, wäre ich erst gar nicht gekommen!“
Diesen Zustand wollte ich ändern und damit die ‚Black Box‘ für Mitarbeiter auflösen, wenn sie sich für ein neues Unternehmen entscheiden. Es muss doch im Laufe eines Bewerbungsprozesses transparent werden, worauf sich Kandidat und Unternehmen einlassen!
Mit dem kulturbasierten Recruiting lässt sich eine solche Transparenz schaffen und von Anfang an sicherstellen, dass beide Seiten optimal zusammenpassen. Ziel meines neuen Buches ist, Unternehmen den Weg dorthin zu weisen.
Das heißt: ‚kulturbasiertes Recruiting‘ setzt im Kern eines Unternehmens und somit in seiner gelebten Kultur an. Nur wenn Unternehmen sich Ihrer Werte und somit Ihrer gelebten Kultur bewusst sind – können Sie auf dieser Basis ein authentisches und unverwechselbares Recruiting und auch Employer Branding aufbauen.
Sie selbst geben mit Ihrem Unternehmen Hype Group Workshops und Impulsvorträge zum Thema Recruiting und unterstützen Firmen bei der Personalfindung. Inwieweit machen Sie sich mit dem eigenen Buch überflüssig?
Nein, da mache ich mir absolut keine Sorgen!
Mein Buch soll ein Bewusstsein schaffen, wie die IT-Arbeitgeber ihre Recruiting-Herausforderungen auch ohne Headhunter lösen können. Im Kern geht es um die Schaffung und Umsetzung einer wertbasierten Arbeitgebermarke, die den Bedürfnissen und Erfordernissen der IT-Spezialisten Rechnung trägt. Nur damit lassen sich in Zeiten dramatisch steigenden Fachkräftemangels qualifizierte Mitarbeiter anziehen und langfristig binden.
Im Bestfall sollten IT-Unternehmen bis zu 90 Prozent ihrer Personalanforderungen über die eigene HR-Abteilung lösen. Nur in Einzelfällen ist ein Headhunter das Mittel der Wahl.
2018 hatten wir bisher einen Arbeitnehmermarkt. Viele Young Professionals können sich ihren Arbeitgeber aussuchen. Dreht sich diese Situation demnächst, oder haben die Bewerber fortan immer die besseren Verhandlungskarten?
Ich bin der Meinung, dass wir heute wie auch in den kommenden Jahren einen Arbeitnehmermarkt haben werden. Ich gehe sogar davon aus, dass sich diese Situation in den kommenden Jahren noch verstärken wird.
Das heißt im Klartext, dass sich Young Professional sich Ihren Arbeitgeber heute und auch morgen aussuchen können.
Eine Aufgabe ist das Recruiting, die zweite das Halten und Qualifizieren des Mitarbeiters. Obstkorb und Fitnessstudio – reicht das in digitalen Zeiten wie heute noch aus?
Sicherlich nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Arbeitgeber das Rennen um neue Mitarbeiter gewinnen wird, der…
- Rahmenbedingungen für Mitarbeiter schaffen kann und will, die die Förderung der Expertise darstellt.
- 100 Prozent flexibel in Themen wie Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeiten agiert.
- 100 Prozent authentisch als Arbeitgebermarke wahrgenommen wird.
Lassen sich uns erneut in die Perspektive des Bewerbers schlüpfen. Angenommen der Recruiter stellt eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Wie verhalte ich mich richtig?
Ich würde klar und ehrlich sagen: „Ich habe diese Frage nicht verstanden, können Sie diese bitte nochmal anders formulieren?“.
Ehrlichkeit wert am längsten und daran würde ich mich auch in einem Bewerbungsgespräch halten. Mir ist an dieser Stelle sehr wichtig, dass Sie authentisch bleiben.
Verabschiedung. Bisher ist das Job Interview optimal verlaufen. Welchen Fehler sollte ich jetzt nicht begehen?
Da bleibe ich mir treu – seien Sie bitte authentisch. Wenn Sie noch Fragen haben, dann stellen Sie diese. Wenn Sie was auf dem Herzen haben, dann sagen Sie das. Wichtig ist hier, nicht Sie bewerben sich beim Unternehmen – sondern auch das Unternehmen hat ein großes Interesse Sie zu gewinnen, sonst wären Sie nicht in diesem Gespräch. Bitte treffen Sie sich auf Augenhöhe und verhalten Sie sich auch so.
Letzte Frage. Sie beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema Future Recruiting. In wenigen Sätzen: was kommt hier auf Bewerber und Recruiter zu?
Recruiting wie wir es heute kennen und dieses auch in den kommenden Jahren erfolgreich durchgeführt haben, wird in den kommenden Jahren nicht mehr funktionieren. Details hierzu erfahren Sie in meinem neuen Buch, dass am 23. März 2019 erscheint
Vielen Dank für Ihre Zeit und Impulse. Eine gute Woche, Christopher Schulz
Das Interview führte Christopher Schulz mit Frank Rechsteiner per E-Mail, 21. Oktober 2018
Zur Person Frank Rechsteiner
Frank Rechsteiner ist Inhaber der Hype Group, die auf Executive Recruiting und Strategieberatung für IT-Unternehmen spezialisiert ist. Zuvor hatte er langjährige Führungspositionen bei internationalen IT-Anbietern inne. Mit regelmäßigen Umfragen und Studien ermittelt er Trends im IT-Arbeits- und IT-Bewerbermarkt. Er schreibt als Autor für den Springer Gabler Verlag, zuletzt 2017 das Fachbuch Kulturbasiertes IT-Recruiting, und publiziert laufend Beiträge in den Wirtschafts-, IT-Fach- und sozialen Medien.