“yes or no?” – persönliches Liveblog zum schottischen Unabhängigkeitsreferendum

Von Bertrams

Heute haben über 4 Millionen Schotten die Wahl, sich für die Unabhängigkeit von Großbritannien zu entscheiden. Die Meinungsumfragen sehen das Lager der Unionisten, die im vereinigten Königreich verbleiben wollen, knapp vorn. Ich selbst bin ein Gegner der zunehmenden Atomisierung von Staaten, doch die schottische Unabhängigkeitsbewegung hat meine ganz private Sympathie. In diesem Blogbeitrag verfolge ich die Entwicklung bis zum Endergebnis und mache mir meine ganz persönlichen Gedanken.

16:20 Uhr: Deshalb bin ich so zwiegespalten. Im Baskenland und in Katalonien wird jetzt nach einer ähnlichen Abstimmung gerufen. Die spanische Zentralregierung will sie keinesfalls dulden. Man kann, wenn man will, eine gewaltsame Zersplitterung des spanischen Staates befürchten, oder den Rückfall in die brutale Diktatur. Viele Staaten haben keine Erfahrung mit Föderalismus, und in vielen Staaten will die Bevölkerung so etwas auch nicht. Sie glaubt oft, dass totale Unabhängigkeit das Allheilmittel ist. Der Irrglaube, dann gäbe es weniger wirtschaftliche Probleme, ist weit verbreitet. Meistens ist es ja doch die schwierige Wirtschaftslage, die solche Bestrebungen fördert. In Schottland sind es eher soziale Errungenschaften, aber für die Politiker in Europa und für die Medien handelt es sich einfach um eine nationalistische Bewegung. Wenn Schottland unabhängig werden sollte, ist das eine Initialzündung auch für die rechten und nationalistischen Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa.

16 Uhr: Ich verfolge schon seit einigen Stunden die Presseberichte z. B in der TAZ. Natürlich kann man noch nicht viel sagen, die Wahllokale schließen erst um 23 Uhr deutscher Zeit, aber die Stimmung kann man schon einmal einfangen. Fast alle wahlberechtigten haben sich für die Abstimmung registrieren lassen, weit über 90 % werden wohl am Referendum teilnehmen. Aus allen Presseorganen wird laut und deutlich verkündet, dass eine Mehrheit in Großbritannien bleiben will. Sagen sie das so oft, damit einige Unabhängigkeitsbefürworter abgeschreckt werden? Überall reden sie von den wirtschaftlich katastrophalen Folgen für Schottland, England und Europa, wenn die Schotten sich tatsächlich für einen eigenständigen Staat aussprechen sollten. Aus der Sicht der Zentralregierungen Spaniens, Belgiens, Italiens und manch anderer Staaten ist das sogar verständlich, sie kämpfen mit eigenen Unabhängigkeitsbestrebungen. Von Staaten wie Russland oder der Ukraine reden wir dabei erst gar nicht. Ein Problem für Europa scheint die Tatsache zu sein, dass hier ein demokratischer Sozialstaat entsteht, der sofort Mitglied der EU und der NATO sein möchte, aber die Atomwaffen des vereinigten Königreichs loswerden will. In den Wirtschaftszentralen scheint man Angst vor einer mutigen, demokratischen Bewegung zu haben, und sowohl Medien als auch Politiker ziehen sie in den Schmutz. Unter Anderem deswegen sind sie für mich recht sympatisch, aber auch wegen der Ziele, die sie haben: Kostenlose Bildung und Gesundheit, während in Großbritannien deren Privatisierung mehr und mehr betrieben wird, ein offeneres Herz für Europa, eine sozialdemokratischere Politik.