✰ Yasmina Khadra – Die Landkarte der Finsternis

Von Claudiamarina

Wie kann man weiterleben, wenn die große Liebe tot ist?

Kurt Krausmann fällt nach dem Tod seiner geliebten Frau in ein tiefes Loch. Er vernachlässigt seine Frankfurter Arztpraxis und gibt sich nur noch seiner Trauer hin. Warum? Warum hat sich seine Frau das Leben genommen, wo er sie doch so sehr geliebt hat?

Erst ein Freund kann ihn aus diesem Loch holen. Hans überredet ihn zu einem Segeltörn Richtung Komoren – und die Reise scheint Kurt tatsächlich neuen Aufwind zu geben. Bis die beiden am Horn von Afrika von Piraten überfallen und als Geiseln genommen werden. Die Reise entwickelt sich immer mehr zum Alptraum, je tiefer die beiden in ein Land verschleppt werden, in dem auf den ersten Blick nur Gewalt, Elend und Hass regieren. In dem alles schlecht zu sein scheint, die Menschen barbarische Wilde ohne Kultur und Anstand, ohne Herz und Mitgefühl. Doch ist das wirklich so? Oder verbirgt sich dahinter nicht doch eine reiche Kultur, faszinierende Menschen – eventuell sogar Schönheit?

Mir fällt es schwer, mit Kurt Krausmann mitzufühlen. Ihm widerfährt zwar so viel Schreckliches – angefangen mit dem Tod seiner Frau – und ich kann seine Trauer darüber auch nachvollziehen, aber dann begreife ich ihn nicht mehr. Seine Entscheidungen sind mir fremd. Sie sind so irrational und von falschen Vorstellungen geprägt, dass ich darüber nur den Kopf schütteln kann. Wieso segelt er nur mit einem Freund und einem weiteren Angestellten durch ein Gebiet, in dem es bekannt ist, dass Piraten ihr Unwesen treiben? Aus humanitären Gründen – aber ist das wirklich gerechtfertigt? Sind die nicht nur vorgeschoben um dieser Reise einen besseren Anstrich zu geben? Er begibt sich freiwillig in Gefahr, naiv  in dem Glauben, dass ihm schon nichts passieren wird. Und falls doch was passieren sollte, na dann wird die Regierung schon einspringen.

Tut sie aber nicht, denn es läuft ganz anders ab, als er sich das vorgestellt hat. Niemand fordert Lösegeld. Kurt und sein Freund werden zu einer Ware, die man handeln kann, um sich Vorteile zu verschaffen. Zu Vieh, das von einem Versteck ins nächste verfrachtet wird. Wie soll es da noch gelingen, die eigene Menschenwürde aufrecht zu erhalten?

Selber schuld, könnte man in diesem Moment sagen. Wärt ihr mal besser zu Hause geblieben. Jetzt seht zu, wie ihr die Situation meistert. Leider äußerst dumm. Denn Kurt legt sich mit den Entführern an, beleidigt sie sogar. Für ihn sind sie Barbaren ohne jede Kultur, minderwertige Menschen, gewaltverherrlichende Tiere. Was er ihnen auch immer wieder sagt. Das er dafür nicht mit Dank überschüttet wird, dürfte klar sein.

Mich machen diese Szenen einfach wütend. Kurt sieht sich als den besseren Menschen – schließlich ist er gekommen, um zu helfen. Dass er sich dabei aufführt wie ein Kolonialherr aus dem frühen 20. Jahrhundert kommt ihm nicht in den Sinn. Dass seine Entführung und das Verhalten der Entführer nur eine Reaktion auf sein eigenes Verhalten sind, versteht er nicht. Was sich hinter der Entführung verbirgt, interessiert ihn nicht. Schwarz und weiß – dazwischen gibt es nichts für ihn.

Hier wäre für Yasmina Khadra die Chance gewesen, dieses Bild wieder gerade zu rücken. Kurt eine wirkliche Wandlung durchmachen zu lassen. Leider passiert das in meinen Augen nicht. Der Autor schafft es zwar, die Entführer in ein positiveres Licht zu rücken, ihnen mehr Tiefe und Charakter zu geben – aber um ehrlich sein: Die Entführer waren mir von Anfang an sympathischer als die beiden Deutschen. Kurt bleibt bis zum Ende Kolonialherr. Und mir zutiefst unsympathisch.

Die Geschichte hat nichts Positives für mich, die wenigen schönen Augenblicke sind zu schnell vorbei, als das sie im Gedächtnis bleiben würden. Afrika bleibt der unbekannte Kontinent – wild und gefährlich. Die Schönheit – vergraben im Wüstensand.


Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Erscheinen bei Ullstein
Februar 2013
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe
Originaltitel: LÈquation Africaine
ISBN: 978-3-550-08000-5