Wolverine (Hugh Jackman), Magneto (Michael Fassbender), Professor X (James McAvoy) und Quicksilver (Evan Peters) – v.l.n.r. – brechen in Regisseur Bryan Singers “X-Men: Zukunft ist Vergangenheit” in das Pentagon ein und wieder aus.
In zahlreichen Zeitreisefilmen wird uns immer wieder überdeutlich zu vermitteln versucht, dass es niemals, unter keinen Umständen erlaubt ist, in die Vergangenheit einzugreifen. Die Konsequenzen wären unvorhersehbar. Die Zukunft könnte sich zu einer gänzlich anderen Welt entwickelt. Ob bewusst oder nicht, hält das die meisten Zeitreisenden nicht davon ab, diese lose bis gar nicht geltende Regel immer wieder zu brechen. Marty McFly hat es gleich dreimal getan, beim Terminator weiß man schon gar nicht mehr, welche Zeitlinie nun eigentlich die Ursprüngliche ist, über Doctor Who darf man eigentlich in diesem Zusammenhang überhaupt kein Wort verlieren, so sehr wurschelt der Time Lord in der Zeitgeschichte herum. Nun sind auch die X-Men an der Reihe, ihre erste filmische Zeitreise anzutreten. Dabei verlässt sich das Franchise einmal mehr auf Hugh Jackmans Wolverine, der nicht tot zu kriegende Most Valuable Player der Marvel-Mutantengruppierung. Er wird von Shadowcat Kitty Pryde (Ellen Page) in der Zeit zurück geschickt. Sein Geist gelangt dabei in seinen Körper der 1970er Jahre.
Damit fällt Kitty Prydes Rolle leider etwas kleiner aus, als es die ursprüngliche Geschichte vorgibt. Ein eindeutiges Zeichen dafür, auf welchem Mutanten hier die Hoffnungen liegen. Wolverine soll die Kinokassen erneut klingeln lassen. Schade, dass hier nicht Ellen Page die Verantwortung tragen durfte. Denn eigentlich ist es die erwachsene Kitty Pryde, die in dem 1981er Comic Days of Future Past (The Uncanny X-Men #141 und #142) von Chris Claremont und John Byrne ihren Geist in ihr jüngeres Ich transferiert, um eine dystopische Zukunft zu verhindern, in der Mutanten in Internierungslagern gefangen gehalten werden. Um das zu verhindern, muss ein einziger Moment in der Geschichte vereitelt werden, der die Massenhysterie und die Angst und den Zorn auf die Mutanten zum überkochen bringt.
Es gilt Mystique (Jennifer Lawrence) in den 1970er Jahren davon abzuhalten, ein für die Zukunft verheerendes Attentat zu verüben.
Dieses Ereignis ist im Comic ein Attentat auf Senator Robert Kelly, dass Regisseur Bryan Singer bereits im ersten X-Men Film von 2000 verarbeitet hat. Singer, der nach dem hoch gelobten X-Men 2 das Franchise verlies um mit Superman Returns einen lieber vergessenen Film zu drehen, ist jetzt wieder auf dem Regiestuhl anzutreffen und weiß nur zu gut, seine angefangene Welt fortzuführen. Er opfert Kitty Pryde, gibt Ellen Page eine Nebenrolle, setzt dafür Wolverine ein, der nun in die Geschichte eingreifen soll um ein Attentat der Chamäleon-Mutantin Mystique (Jennifer Lawrence) auf den Wissenschaftler Bolivar Trask (Peter Dinklage) zu verhindern. Durch dessen Tod wurde in der Vergangenheit ein von ihm entwickeltes Programm initiiert, bei dem gigantische Roboter – Sentinels – Jagd auf Mutanten machten, aber auch auf potentielle Mutanten und Menschen, die in zukünftigen Blutlinien Mutanten hervorbringen könnten. Das führt zu eben jener dystopischen Zukunft, in der alle Hoffnung verloren scheint, auch wenn die starken Kräfte von Professor Charles Xavier (Patrick Stewart) und seinem Freund Erik Lensherr / Magneto (Ian McKellen) zusammen wirken. Wolverine muss nun also zurück reisen, die Hilfe von Professor X (jetzt von James McAvoy verkörpert) und Magneto (Michael Fassbender) suchen – die sich in dieser Zeit überhaupt nicht leiden können – um gemeinsam Mystique aufzuhalten.
Dabei werden nicht nur zwei Welten zusammen gebracht. Bryan Singer verknüpft vielmehr das gesammelte Wissen des bisherigen X-Men Universums in einem Film, gibt Rückblenden und Anekdoten zum Besten, immer so verpackt, dass der Laie es verstehen, der Fan begeistert sein kann. So brummt Wolverine der Kopf, wenn er von Erinnerungen an die Einpflanzung seines Adamantium-Skeletts geplagt wird, weil er den noch jungen Major William Stryker zu Gesicht bekommt, den Bryan Singer in seinem X2 (damals Brian Cox, hier Josh Helman) noch als Schänder des Wolverines vorgeführt hat. Neben Zeitsträngen und Filmhandlungen weiß der Regisseur auch mit der Form umzugehen. Weder driftet er ins totale Bombast-Spektakel ab, noch liefert er ein Kammerspiel. Dennoch balanciert er hervorragend mit diesen beiden Ebenen. Schon allein durch die Angriffe der gigantischen Sentinels, die sich zu allem Überfluss auch noch auf die jeweiligen Mutantenkräfte ihrer Gegner einstellen und diese dann kontern können, muss klar sein, dass das Spektakel vorprogrammiert ist. Gut choreographiert zieht uns der Film bereits mit seiner Einleitung in die enorme Action-Geschwindigkeit hinein, die der Film zu bieten hat. Ebenso stark kommen aber auch die charakterlich geprägten Momente daher, in denen vor allem das im Fokus stehende Hauptensemble ihre jeweiligen Qualitäten ausspielen darf.
James McAvoy gibt den gebrochenen Helden, Michael Fassbender den verbitterten Schurken, obgleich Singer natürlich über die Ambivalenz Bescheid weiß, die seit Urzeiten in den X-Men Geschichten mitschwingt. Es geht um Rassismus gegen eine andere Art von Spezies. Während Professor X mit Verständnis und Hoffnung auf Akzeptanz hin arbeitet, entfesselt Magneto immer wieder seinen Zorn auf diese Ungerechtigkeit. Derweil hat nun auch das X-Men Universum erkannt, wie wertvoll eine Jennifer Lawrence sein kann, stellt sie hier in den Mittelpunkt zwischen Xavier und Magneto, die beide mit ihren ganz eigenen Methoden die junge, unerfahrene Mutantin aufhalten wollen. Lawrence verschafft Mystique eine Stärke über ihren unglaublich biegsamen Körper hinaus. Verleiht der Mutantin eine emotionale Ebene, die ihr Attentat-Bedürfnis durchaus verständlich macht. Und auch Peter Dinklages Bolivar Trask kommt nicht unbedingt Eindimensional daher. Seine Angst auf Mutanten, wegen der er das Sentinel-Programm vorantreiben möchte, ist durchaus nachvollziehbar, wenn man mit der Zerstörungswut eines Magneto konfrontiert wird. Da ist sie also immer zugegen, diese Ambivalenz, die jeder Figur ihr nachvollziehbares Handlungsbedürfnis verschafft.
Bolivar Trask (Peter Dinklage) ist Erfinder der Sentinels und Ziel des Attentats.
Nebst Wolverine und Beast (Nicholas Hoult), die diese Grundgruppierung ergänzen, glänzt Neuzugang Evan Peters als Quicksilver. Singer genießt eine Episode lang dessen wunderbare Fähigkeit des Humors – rein inszenatorisch gesprochen – und ebenso dessen wunderbaren Kräfte der Schnelligkeit – rein mutantisch gesehen. Ihm muss sich gar Michael Fassbenders Magneto geschlagen geben. In einer Ausbruchaktion aus dem Pentagon, muss dieser sich auf einen kleinen Spurt mit Quicksilver einlassen, was reichlich Übelkeit bei dem sonst so ernst und zornig wirkenden Supermutanten hervorruft. Im Pentagon selbst übernimmt Quicksilver kurz die Initiative, wird in Zeitlupe gefilmt, während er in seiner Supergeschwindigkeit einige Wachen ausschaltet, während Wolverine, Magneto und Professor X starr vor Langsamkeit nur zusehen können. Allein dieses kleine Intermezzo zeigt, was für ein großes Potenzial noch in diesem Quicksilver steckt (in Marvels The Avengers-Fortsetzung wird derweil Aaron Taylor-Johnson diese Rolle übernehmen).
Der Zuschauer kann sich also an allerlei Dingen erfreuen. Dazu gehört dann natürlich auch das Setting. Der Neustart der Reihe unter dem Titel Erste Entscheidung (First Class) entführte uns bereits in die 60er Jahre, nun bekommen wir die volle Ladung der 70er Jahre zu sehen und hören. X-Men: Zukunft ist Vergangenheit fängt das Flair und die Atmosphäre, aber auch zeitgeschichtliche Hintergründe wunderbar in Bild und Ton ein. Und wenn die Zeitreise dann vorüber ist, dürfen einige Alt-X-Men noch einen kurzen Lauf durch das Spotlight absolvieren. Dass lässt die Zahl der in diesem Film anwesenden Mutanten enorm in die Höhe schnellen. Umso verwunderter ist man, dass man niemals mit der Omnipräsenz der X-Men überfordert ist. Der Film handhabt die unterschiedlichen Figuren äußerst präzise und gut getimed, so dass die Handlung niemals von Mutanten überfrachtet erscheint.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit findet eine gesunde Mischung zwischen Comic und Film, zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, zwischen alten X-Men und neuen X-Men, zwischen Action und Dialogen, zwischen Bummbumm und Handlung, zwischen Vergangenheit und Zukunft – und das Beste daran ist, dass es immer Spaß macht bei diesem Hin- und Her zuzusehen.
X-MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT
REGIE: Bryan Singer / DREHBUCH: Simon Kinberg / FSK: ab 12 / LÄNGE: 132 Minuten
DARSTELLER: Hugh Jackman, James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Patrick Stewart, Ian McKellen, Ellen Page, Peter Dinklage, Shawn Ashmore
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Deutscher Kinostart am 22. Mai 2014
Bilder © Twentieth Century Fox of Germany GmbH