Deutsches Eck in Koblenz
Wie dem geneigten Leser womöglich eher unbekannt sein dürfte, hat der Autor dieses Blogs durchaus einen akademischen Hintergrund. Ich erkläre das, weil es aus den Beiträgen kaum ersichtlich sein sollte, zumindest wird es nicht beabsichtigt. Dieser Blog war und ist immerhin eher als digitale Zerstreuung für alle Beteiligten gedacht.
Von dieser Norm soll mit diesem Beitrag etwas abgewichen werden, schließlich bin ich hier der Bestimmer.Zusammen mit dem Kollegen @danvers war ich von Dienstag bis Freitag auf der ACM WebSci 2011, der internationalen Konferenz für WebScience. Unter diesem Stichwort trafen sich zum lediglich dritten Mal Forscher aus nahezu allen Teilen der Welt (mit einer überwiegenden Mehrheit aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden sowie Deutschland) um sich interdisziplinär über Forschung zu Phänomenen des Internet auszutauschen. Interdisziplinär bedeutet, dass alle wissenschaftliche Bereiche von Informatik über Sozial- und Geisteswissenschaften bis hin zu Wirtschaftswissenschaft vertreten waren und das auch noch relativ gleichverteilt. Die Konferenz wurde vom Web Science Trust ins Leben gerufen, Web-Erfinder Tim Berners-Lee und die WWW Foundation sind ebenfalls im Boot. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung wurde die Konferenz maßgeblich durch die ACM (Association for Computing Machinery) SIGWeb (Special Interest Group Hypertext, Hypermedia and the Web) unterstützt. Das zeigt einerseits, dass der Veranstaltung durchaus einiges Gewicht beigemessen wird, ließ aber andererseits fürchten, dass womöglich eine eher technische Perspektive auf das Netz vorausgesetzt wird, was sich aber – wie gesagt – nicht bewahrheitete.
Relativ viele Beiträge beschäftigten sich mit Methoden der Datenerhebung, -sammlung und -interpretation im Netz. Schon der Eröffnungsvortrag von Jaime Teevan (Microsoft Research) zeigte, wie viele interessante Erkenntnisse man aus Datenmaterial insbesondere von Suchmaschinen gewinnen kann und wie man diese optimiert.
Da diese Daten aber den meisten Forschern nicht zugänglich sind, standen eher andere Plattformen im Zentrum des Interesses. Twitter beispielsweise ist offenbar ein überproportional häufig beforschter Dienst. So versucht man anhand von Tweets persönliche Empfehlungen zu geben, Muster für “interestingness” durch Inhaltsanalyse zu finden oder gar zur Überwachung der Verbreitung von Dengue-Fieber in Brasilien. Viele weitere Vorträge nebst kurzer Paper finden sich weiterhin auf der Programmübersicht.
Interessante soziale Themen
Neben den datenzentrierten Forschungsthemen findet sich aber auch viel Spannendes, so beispielsweise, wie man Rechenschaft und Verantwortlichkeit im Netz herstellen kann oder den Versuch der Klassifizierung von Funktionen für User-Generated Content in verschiedenen Communities.
Besonders interessant war für mich beispielsweise der Beitrag zu Partizipationsanreizen in Communities am Beispiel der WindowFarm Community, und das nicht nur, weil’s eine spannende Community zu sein scheint.
Während die Präsentationen nicht nur in persönlicher Relevanz sondern hin- und wieder auch in handwerklicher Qualität schwankten (wenngleich auf höherem Niveau als beispielsweise häufig in Seminaren anzutreffen ist), war die Postersession überaus fruchtbar, weil man direkt mit den Autoren in Kontakt treten konnte. Dazu blieb nach den teils nur 8-minütigen Vorträgen meist kaum Zeit.
Und auch wenn die Mensa der Uni Koblenz mit den wohl über 80 Beiträgen etwas unterdimensioniert war, hat man hier doch am leichtesten Kontakte knüpfen und Ideen austauschen können. Als Newbie, der noch nicht wirklich was Eigenes anzubieten hatte, lief das nicht immer ganz reibungslos, aber jeder fängt halt mal irgendwo an.
Auf dem Rhein
Zum knüpfen neuer Kontakte eignete sich außerdem das Dinner mit Bootsfahrt (oder anders herum) am Donnerstag Abend, obwohl die Geräuschkulisse unter und eine teils sehr steife Brise an Deck ein vernünftiges Gespräch bisweilen sehr erschwerten. Das Essen war allerdings ziemlich gut und die Rheinische Flusslandschaft tat ihr übriges, diesen Umstand vergessen zu machen.
Die ganze Bandbreite der Konferenz kulminierte letztlich in Barry Wellmans faszinierender und nicht minder unterhaltsamer Locknote am Freitag, nach der ich leider zügig den Bahnhof aufsuchen musste um meine Züge gen Heimat nicht zu verpassen. Rückblickend hätte man sich doch die Zeit lassen sollen, um beim finalen Lunch nochmal die vergangenen Tage Revue passieren zu lassen. Naja, so isses dann jetzt halt hier passiert.
Zwei Erkenntnisse scheinen nach der WebSci 2011 bei mir hängen geblieben zu sein:
- Qualitative Forschungsmethoden sind noch in der Unterzahl, viele stürzen sich auf die Analyse der weltweiten Datenmengen im Netz, was ja auch leicht nachvollziehbar ist. Nichtsdestotrotz sollte man allen Methoden gegenüber offen sein, beinahe alles kann kombiniert werden und insbesondere die vorgestellten Themen zeigten oft interdisziplinäre Kooperationen. Das führt uns zu
- Da das Netz immer auch ein technisches Phänomen bleibt muss man diesen Aspekt konsequent mitdenken. Die WebSci hat eindrucksvoll gezeigt, dass die Begegnung der unterschiedlichen Disziplinen in vielen Projekten ganz praktisch Synergien hervorruft. Um das Netz zu verstehen, kann man den Blick nicht nur auf die Technik richten, aber genau so wenig reicht es aus, nur losgelöst einen der anderen Teilaspekte zu fokussieren. Insofern waren auch die Diskussion um ein Curriculum für WebScience Ausdruck einer Suchbewegung für eine junge Forschungsrichtung, die auch mit der Lehre verknüpft werden will.
Auf mich etwas irritierend wirkt die Tatsache, dass es scheinbar keinen wirklichen inhaltlichen Unterschied zwischen “Web Science” und “Internet Studies” gibt und folglich beide Begriffe benutzt werden. “Web Studies” wäre wahrscheinlich auch eine Option und irgendwas muss man ja antworten, wenn einer nach dem Forschungsinteresse fragt.
Alle Session wurden nach meinem Wissen aufgezeichnet und man kann nur hoffen, dass möglichst viele Beiträge auch im Netz veröffentlicht werden. Bleibt die Frage, ob unsereiner zur nächsten WebSci 2012 in Chicago womöglich auch einen Beitrag leisten könnte. Wenn sich für die Zeit nach der Masterarbeit eine forschungsorientierte Tätigkeit ergeben würde, ist das zumindest nicht auszuschließen.
Einen interessanten (englischen) Blogbeitrag zur Konferenz gibt’s unter anderem hier: http://clarehooper.wordpress.com/2011/06/22/on-websci11-and-hypertext11/
Falls ich noch mehr finde, gibt’s Updates!