Wurzelspitzenresektion, schmerzfrei.

Von Knitterfee

Wer mich schon ein bisschen länger kennt, kennt auch meine Zahngeschichte.
Nun sitz ich hier, heute Mittag hatte ich eine Wurzelspitzenresektion, und ja, ich bekenne mich, ich bin eine Googlerin. Ich google alles. Was mich erwartet, was mich nicht erwartet und so weiter.
Wäre ich Angestellte, hätte man mich für heute und morgen krankgeschrieben. Und ja, ehrlich, heute in einem Großraumbüro zu sitzen oder im Kundenkontakt zu sein, wäre vermutlich keine gute Idee. Nun ist das aber nicht der Fall, und ich bin hellwach. Was also soll ich tun, ausser arbeiten? Normalerweise bin ich nach so Zahngeschichten ziemlich erledigt, allein weil der Stress schon ziemlich hoch ist. Aber um Euch mal ein genaueres Bild zu malen, wie das bei mir so abläuft, meine Phasen der Angst, des Schmerzes und vor allem: wo ich eine superstarke Piratenprinzessin bin, die für Ihre Rechte kämpft.

2 Tage vor einer Behandlung, sofern sie denn geplant ist, werde ich nervös und google. Ich google viel. Und weil Menschen immer nur  über negative Erlebnisse schreiben, und nur bei Komplikationen in Foren besorgte Fragen stellen, finde ich natürlich jede Menge negatives Zeug. Es geht ja keiner hin und schreibt “hey Leute, ich hatte ein richtig gutes Erlebnis bei meiner Wurzelbehandlung / Wurzelspitzenresektion / you name it.”

1 Tag vor der Behandlung gibt meine Nervosität auf. Natürlich bleibt eine gewisse Grundangespanntheit, aber die habe ich ja immer. Die Nacht vor dem Termin kann ich gut schlafen.

Nun kommen wir zu etwas spezifischeren Details meiner ersten WSR – denn vor einer normalen Wurzelbehandlung wird man üblicherweise nicht darauf hingewiesen, dass man frühstücken soll.
Ich zwang mir also heute morgen um viertel nach 10 – welch unerträgliche Zeit für Nahrungsaufnahme – mein Frühstück rein. 2 hartgekochte Eier, ein kleiner Berg Mini Wienerwürstchen, und Joghurt mit Paleo-Granola und ein paar Blaubeeren und Weintrauben.

Mein Termin war um 11:45 Uhr, natürlich wartete ich fast eine geschlagene Stunde, aber hey.
Wurde auf mein Behandlungsplätzchen gebracht, der Herr Chirurg kam rein, lockerflockig wie auch schon das letzte Mal. Ich möchte solchen Menschen immer in die Fresse hauen – das ist nichts persönliches. Ich mag meinen Zahnarzt lieber, der ist ruhig und behutsam und muss nicht einen auf voll cool und entspannt machen, nämlich weil ers einfach ist.
Sämtliches OP-Zubehör liegt übrigens auf einem stählernen Rollwägelchen, aber abgedeckt, ich kann nichts sehen. Ich hasse das. Vermutlich will man Patienten keine Angst machen damit, aber in meiner ganzen Zahnarzt-Angst-Karriere war ich immer wieder eher fasziniert als schockiert. Zum Beispiel, als ich einmal einen vollständig intakten, aber sehr sehr schmerzenden Nerv entfernen ließ. Über einen Zentimeter lang, das Ding. Überlege, ob ich davon ein Foto gemacht habe.
Zurück zu meiner ersten WSR:

Fuck Yeah, Betäubungsspritze. Bei unserem ersten Date letzte Woche hatte ich den Herrn Chirurg darauf hingewiesen, dass ich MEHR Betäubung brauche und sie lange wirken muss. Die lange Wirkungszeit hatte man sich offenbar gemerkt, ich lag dann nochmal ne knappe halbe Stunde und musste aufs Klo. Auf dem Rückweg sah man mich und fragte, ob ich abhauen wolle. Alter, ich bin um kurz nach 11 zu Hause los, jetzt ists fast 13 Uhr, ich musste mal! Kaffee und so!

Jaja, wir testen die Betäubung bevor wir anfangen. Teststelle 1: Check. Teststelle 2: Check. Teststelle 3: QUIEK! “Echt jetz?”

Ja Mann, echt jetzt. ECHT JETZT!

Fuck Yeah, mehr Betäubung. Hab ich doch gesagt, aber auf mich hört ja keiner, ich hab schließlich nicht Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie studiert (oder irgendwas anderes, wo wir schonmal dabei sind.)

Betäubung: Check.
Nun bekomme ich ein grünes OP-Tuch aufs Gesicht gelegt. Tolle Wurst. Kann nichts sehen! Vermutlich ist auch das eine Technik, um Patienten nicht zu verschrecken, wenn da mit fiesen Geräten auf sie zugerüttelt wird.
Okay. Raffel-Raffel-Raffel. Hört sich an als würde jemand mit ner kleinen Säge an mir rumsägen. Bisschen unangenehm, aber noch lustig. Dann zwei Geräte die fiese Geräusche machen. Werde aber jedes Mal vorgewarnt.
Ich durchlaufe meine typischen Stressphasen: Die ersten 3 “Zugriffe” geht mein Stresslevel extrem hoch, bis ich verstanden habe, dass die Betäubung sitzt, und alles, was jetzt noch kommt, maximal unangenehm wird. Ab dem Punkt entspanne ich mich völlig, und liege einfach nur da wie eine schwere Puppe, die ab und an mal atmet.

Dann die Ansage: Wir füllen jetzt noch dieses Knochenmaterial-Gedöns ein und nähen zu und dann is fertich.
“FOM FERPIF?” Ja, schon fertig.

Nach dem zunähen werde ich langsam wieder aufgerichtet und werde gefragt, ob ich eine Ibuprofen möchte gegen die Schmerzen. “Jetzt schon?!” – Ich müsse nicht, aber ich könnte, auch wenn ich noch keine Schmerzen habe. Joa, nehm ich. Schmerzen find ich doof.
Das ist übrigens auch so eine Sache, wenn man gern Krankheiten und Symptome googlet: Die Leute, die stolz sind, weil sie trotz Schmerzen durchgehalten haben. Wie doof seid Ihr eigentlich? Wisst Ihr nicht, dass unser Körper ein Schmerzgedächtnis hat? Wir leben in einer Welt, die uns ermöglicht, solche Behandlungen vollständig schmerzfrei zu erhalten, warum in aller Welt sollte jemand auf die Idee kommen, sich nicht Betäubung nachspritzen zu lassen, wenn nötig?
Ich lasse mir, sofern man mir denn zuhört, sogar aus psychischen Gründen mehr Betäubung spritzen. Ist mir egal, dass ich den ganzen Tag mein Gesicht kaum bewegen kann danach? JA! Aber ich kann mich nur entspannen, wenn ich WEISS, dass die Betäubung sitzt.
Nochmal Röntgen. Immer dieses Röntgen.

Ich krieg irgendwann echt noch nen Gehirntumor von dem Scheiß Röntgen.
Und dann werde ich mit Vorschriften (Tupfer wechseln, heute nich Zähne putzen, morgen vorsichtig nur die Zähne nicht das Zahnfleisch, 14 Tage nicht Nase putzen sondern nur hochziehen, in 10 Tagen Fäden ziehen, die nächsten 7 Tage, mindestens aber 4, nur flüssige Nahrung oder sehr weiche zu mir nehmen, yadda yadda yadda) und einem Rezept für Nasenspray und Ibuprofen600 (Yay, meine Lieblingsdroge) nach Hause geschickt.

Nun sitz ich hier, es ist kurz nach halb 6. Ja, ich hab schon 2 Ibuprofen genommen seitdem, aber hey, es ist für eine kurze Zeit, und ich darf das Mein Antibiotikum muss ich noch weitere 8 Tage nehmen. Aber: Ich habe bisher (!) keine Schmerzen, bis auf einen leichten Wundschmerz, aber der ist wirklich zu verkraften. Die Schwellung hält sich in Grenzen, gefühlt ist es kaum mehr als in den letzten Tagen Wochen Monaten, in denen die Entzündung in meinem Kiefer wütete.
Die Betäubung hat mittlerweile komplett nachgelassen, das Kiefergelenk tut oben und unten ein bisschen weh, ansonsten fühl ich mich echt gut! Und ja, das Foto da oben ist von heute. Wegen dem Tupfer ist lächeln etwas unkomfortabel. Sorry.

Ich habe Hunger, und werde mir wohl gleich mal die Suppe, die ich vorsorglich aufgetaut habe, warm machen.
Was ich mir wünschen würde: Mehr positive oder neutrale Berichte über solche Behandlungen! Nein, es ist kein Spaziergang, nein, ich weiß nicht ob da noch Schmerzen kommen. Aber bis zu diesem Punkt geht’s mir gut. Basta.
Wir sollten mal alle aufhören, immer das Schlimmste zu erwarten, und vor allem: anderen immer einzuimpfen, das schlimmste zu erwarten. Genauso wenig sollte man aber auch sagen “ach, das wird alles gut”. Jeder hat vor einem solchen Eingriff bammel, und zu sagen “ach, das wird alles gut”, gibt demjenigen nur das Gefühl, dass er mit seiner Angst nicht ernstgenommen wird.
Was stattdessen? Das, was man idealerweise IMMER macht, wenn es um Gefühle geht:

Validieren/Validation.

“Ich kann verstehen, dass Du Angst hast, ich glaube, ich hätte in Deiner Situation auch Angst.”
“Ich finde es völlig normal, dass Du besorgt bist.”

Ängste weder kleinreden noch schüren.

“Das ist aber auch blöd, wenn man so gar nicht weiß, was auf einen zukommt.”
“Bei mir war das damals nicht so schlimm wie ich erwartet hatte, aber es war auch nicht unbedingt eine spaßige Angelegenheit. Aber es war ohne Schmerzen auszuhalten, und das ist ja nun das wichtigste, oder?”
Lügen ist hier erlaubt! Es hilft nicht, zu sagen, wie schrecklich die eigene Erfahrung in einer ähnlichen Situation war, oder wie völlig unkompliziert alles war.

Positiv (Ver)Stärken.

“Betäubt wird ja auf jeden Fall. Und wenn Du mehr brauchst, sagst Du das einfach, das kannst Du ja.”
“Und natürlich kannst Du nachfragen, wenn Du was nicht verstehst.”
“Ich glaube auch, dass das gar nicht so lange dauert.”