Oriental-Israel
Elegant. Klassisch. Schwarz. Ein wenig zu Alternativ? Macht nichts. Mein halber Irokesenschnitt wird ohnehin auffallen.
Vielleicht ist der Ausschnitt etwas zu groß? Nein, nein die Länge kompensiert die obige Freizügigkeit. Billig wird man mir sicher nicht nachrufen! Esoterisch vielleicht mit dem orange- rosanen indischen Muster. Damit kann ich leben. Und der Rücken? Die dünnen Träger kreuzen sich doch sehr hübsch…Wenn nur mein Rücken nicht so komisch aussehen würde. Der Schal kommt also mit, den kann ich mir dann umhängen. Ob Grün jetzt passt oder nicht. Selbst wenn ich mir Morgen eingestehen werde, dass dieses Kleid vielleicht ein unglaublicher Fehlkauf war, diese schlichten schwarzen Halbschuhe kann man in jedem Fall noch mal tragen.
Wenn ich nur wüsste, was die anderen Mädchen tragen…?
Aber vier Frauen im Laden können sich auch wirklich nicht irren, oder? Und nur eine war eine Verkäuferin. Die Anderen haben mir auch so zugesichert, dass dieses Kleid sich für eine Marrokanische Hochzeit eignet. Hoffentlich ist der Ausschnitt nicht zu groß!
Unsicher drehe und wende ich diesen Körper mit Kleid.
Je mehr man sich den Kopf zerbricht, desto unsicherer wird man ja auch!
Sich mit sich selber zu unterhalten, ist nicht immer vom Vorteil. Die Komplexfrau in mir hat zu ruhiger Stunde einfach zu oft die besseren Argumente!
Jemand ist an der Tür! Endlich wird er mich aus isolierten Diskussionen befreien!
18.43h. Schnell. Zeit für Alternativen bleibt sowieso nicht mehr. Aviel wird sich umziehen, und dann müssen wir auch schon los.
„Motek, du sollst doch nicht besser, als die Braut aussehen!“
3,..2…1…uuuund K.O. in der 127 Runde! Frau Komplex scheint völlig am Boden zerstört zu sein!
„Meine schönste Frau der Welt!!!“
Es ist kaum zu glauben, da liegt Komplex und kehrt so schnell wohl nicht wieder ins Gefecht zurück!
Die Menge jubelt! Frau Selbstbewusstsein strahlt! Woher nahm sie nur diese Kraft, zum endgültigen Schlag?
Feminismus beiseite! Die Kraft kam von Mann.
Jede Frau sollte einen persönlichen „Komplex K.O.er“ haben!
Männer, wir Frauen sind doch wirklich einfach zu kaufen!
Aus endlosen vorm Spiegel-Ringkampf-Runden gegen unser Schatten-Ich, könnten mit ein paar HonigSahneSonnenLiebes-Wörtern so schnell Ergebnisse herbeigeführt werden!
Ganz einfach lockt ihr Frau vom Spiegel weg und ihr gepushter Ego erspart euch sogar jegliche Klagen während des Abends.
„Sieht das wirklich ok aus? Kann ich so gehen?“
„Mit was könntest du nicht „ok“ aussehen?“
Würde er diese angewandte Studium-Psychologie nun mit einer Karriere bei Peek&Cloppenburg verbinden, könnte ihn keine noch so hässliche Kleiderkollektion am Durchbruchverkauf stoppen!
Zufrieden entferne ich diesen Körper mit Kleid vom Spiegel.
Zu meinem Erstaunen, kramt Aviel ein ungebügeltes schwarzes Hemd und eine dunkle Jeans hervor: „Meine Mutter wird sich für mich mal wieder zu Tode schämen, aber wenn ich dazu Anzugschuhe trage, ist das schon ok!“
Jeans? Und ich mache mich hier verrückt!
Schon sitzen wir im Auto.
„Du wirst jetzt meine Familie kennen lernen, Leila, nicht die ganze, die kenne ich ja selbst nicht mal alle! aber ein paar Onkel und Tanten!“
Drei Mal fahren wir um den Block. Kein Parkplatz. In einem Stadtteil, das eigentlich kaum bewohnt ist!
Letztendlich entscheiden wir uns für einen Fußgängerweg! Wir sind nicht die Ersten.
Man könnte meinen die ganze Stadt ist hierher unterwegs. Andersherum gesehen; zwei marrokanische Familien könnten sicherlich eine eigene Stadt bilden.
Heute werden über 400Gäste erwartet.
Schon am Eingang werde ich mit „Familie“ bekannt gemacht. Und als wir endlich am Festsaal ankommen, habe ich längst vergessen, wer mir bereits vorgestellt wurde!
Angesichts meiner weiblichen Gegenüber, muss ich feststellen, dass ich sogar etwas konservativ und overdressed bin.
Ich sehe Kleider, ich sehe kurze Kleider, ich sehe noch kürzere Kleider, ich sehe Gürtelkleider!
Auch bei Ausschnitten, Absätzen, grellen Farben, Glitzer und Glamour wird nicht gespart!
Zum extremen, und noch geschmackloseren Konträr latschen mir einige Mädchen mit FlipFlops und Jeans vor der Nase herum.
Erleichtert atme ich auf. Außerdem entledige ich mich nun meines grünen Tuches, um wenigstens an meinem Rücken ein bisschen mit der Freizügigkeit mitzuhalten.
Man will sich ja an die Kultur anpassen.
Am Eingang werden wir von den Brautpaareltern begrüßt und treten ein, in ein Paradies von Salaten, Pita, Humus, Gemüse, Suppen, Fleisch, Hühnchen, Fisch, Chinapfannen, Sushi und kleinen Törtchen.
Langsam essen wir uns durch die Runde. Kurz bevor ich endlich die Süßspeisen erreiche, wird mein Gaumenschmauß jäh von einer dramatischen Musik unterbrochen;
Der Auftakt für das Brautpaar.
Familie, Gäste, Fotografen versammeln sich um den roten Teppich, der ca 20 Meter vom Eingang bis zu einem erhobenen, grell, weißglitzer leuchtenden Altar führt!
Der Musik nach zu urteilen, fühle ich mich wie in einem Indianer Jones Film; dramatisch, spannend ertönen Trommelwirbel und Blasinstrumente und lassen die Menge unruhig warten.
Endlich erscheinen die Eltern und hintendrein das Brautpaar! Ein Blitzlichtgewitter und Gejubel ergießt sich über die strahlend weiß verschleierte Braut und ihren in hellblau mit passender Kippa gekleideten Mann.
Winkend schreiten sie zum Alter, wo auch schon die Brautzeugen und ein Rabbi warten.
Alles ist still. Der Rabbi beginnt mit einem jüdischen Gesang. Eine symbolische Urkunde über den Besitz des Bräutigams wird an die Mutter der Braut gereicht, zur finanziellen Absicherung. Nun wird ein Schwur geleistet, auf dass der Mann sich ewig dem heiligen Jerusalem erinnern wird und ihm Treue hält. Versiegelt wird der Schwur, in dem er ein Glas mit der linken Hand zerschlägt. Misslingt dies, was normalerweise nicht der Fall ist, so darf er die Braut nicht heiraten!
Das Glas zerspringt, gefolgt von einem Jubelsturm!
Die Ehe ist besiegelt.
Die 400köpfige, nun vereinigte Familie bewegt sich Richtung Festsaal.
Abwechselnde Phasen von Essen, Tanzen, Essen, Tanzen und noch mehr Essen folgen. Natürlich gibt es keine Marrokanisch-Israelische Hochzeit ohne Mitrachit!
Die orientalische Seite Israelischer Musik. Kitschige und stumpfe Texte über Liebe, die jeder mitgrölen kann, untermalt von Pop-oriental Rhythmen.
Nach 2 Stunden in JüdischMarroko, entzieht mich Aviel dem Kulturschock; nicht meinetwegen, sondern weil er es selbst nicht lange erträgt.
Diesmal ohne noch einmal jeden einzelnen Tschüß zu sagen, befreien wir den Fußgängerweg vom Auto und fliehen zu einer DubStepParty, in Haifas alternativ Szene. Und alles ohne Glitzer und Mitzrachit.
Leila Matzke