Wulffs ganz persönliche Schuldenkrise
Ein bisschen seltsam ist das schon. Eigentlich sind sich alle einig, auch an diesem Abend bei Günther Jauch, dass der Bundespräsident meist nicht viel mehr ist als der Grüßaugust der Republik. Das Staatsoberhaupt solle «Sinn stiften und Werte vermitteln», fasst Grünen-Fraktionschefin Renate Künast den Aufgabenkatalog zusammen. Der Bundespräsident hat also ähnlich viel konkrete politische Macht in Deutschland wie der Papst, der Bundestrainer und Thomas Gottschalk.
Eigentlich sind sich alle einig, dass dies auf Christian Wulff in besonderem Maße zutrifft. Nach dem Ärger durch Horst Köhlers übereilten Rücktritt wollte die Kanzlerin bloß einen Bundespräsidenten, der nicht aufmuckt – statt einen, der womöglich sogar Zeichen setzt. Einen «pflegeleichten» Kandidaten, nennt Günther Jauch den ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen ganz treffend.
Eigentlich sind sich alle einig, dass Wulff auch unter diesen bescheidenen Maßstäben als erster Mann im Staate bisher eine zumindest unscheinbare Figur abgibt. Selbst ZDF-Journalist Wolfgang Herles, der Wulff in der Kredit-Sache an diesem Abend mehrmals verteidigt, bezeichnet die Bilanz seiner bisherigen Amtszeit als «lausig».
Soll Christian Wulff doch zurücktreten, könnte man da meinen, wäre doch halb so wild. Zumal er, egal ob im Amt oder a.D., in jedem Fall bis zum Lebensende weiter seine vollen Bezüge als Ehrensold bekommen würde. Kein Mensch müsste sich aufregen, und Günther Jauch hätte wie ursprünglich geplant die Steilvorlage des Tatorts nutzen und über islamistischen Terror in Deutschland sprechen können.
Aber so einfach geht das natürlich nicht. Wie verwerflich es wirklich ist, einen günstigen Kredit über 500.000 Euro anzunehmen und dem niedersächsischen Landtag dann auf Nachfrage nicht die ganze Wahrheit zu sagen, darüber lässt sich im Gasometer trefflich streiten.
Der Geist von Joachim Gauck
Für die eine Extremposition steht dabei Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Man solle die Kirche im Dorf lassen, fordert er – und mahnt zugleich zur Vorsicht mit Vorverurteilungen, bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen. Das wäre eine ganz vernünftige Position, wenn Altmaier nicht selbst sofort mit einem (Vor-)Urteil in die Debatte eingestiegen wäre: Juristisch sei Wulff «nichts vorzuwerfen».
Der Gegenpol dazu ist Hildegard Hamm-Brücher, die 1994 selbst für das Amt der Bundespräsidentin kandidiert hatte. Die 90-Jährige befürchtet angesichts der Wulff-Affäre einen Schaden für die Demokratie und sieht gar Parallelen zum Ende der Weimarer Republik.
Die ehemalige FDP-Grand-Dame übertreibt damit zwar, hat aber trotzdem die weitaus besseren Karten. Sie verweist auf die Vorbildfunktion, die man von Politikern – und erst recht von einem Staatsoberhaupt – verlangen müsse. Und sie bringt schon sehr früh Joachim Gauck ins Spiel, der bei der Bundespräsidentenwahl knapp gegen Wulff unterlegen war, und dessen moralische Integrität nun im Angesicht von Wulffs ganz persönlicher Schuldenkrise noch ein bisschen heller strahlt.
Verteidigung wie bei Guttenberg
Altmaier hingegen steht früh auf verlorenem Posten: «Ich habe nicht vor, mich über Einzelheiten zu streiten», meint er allen Ernstes – und erntet Stöhnen aus dem Publikum. Nicht nur dort fühlt man sich angesichts der verzweifelten Verteidigungsversuche an die fatale Nibelungentreue der Union in der Causa Guttenberg erinnert. Immerhin muss man dem CDU-Mann zugute halten: Viele andere aus seiner Fraktion haben sich davor gedrückt, an diesem Abend für Wulff Stellung zu beziehen, wie Günther Jauch verrät.
Altmaiers einziges Ass im Ärmel ist der zutreffende Vorwurf: Auch in anderen Parteien gibt es Spitzenpolitiker, die nichts gegen die eine oder andere Gefälligkeit haben. Der CDU-Mann verweist etwa auf Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder – und kurz ist man froh, dass bei der Auflistung von dessen zweifelhaften Verstrickungen der Name «Putin» nicht einmal fällt, sonst wäre sicherlich auch noch die mutmaßliche Wahlfälschung in Russland diskutiert worden. Auch Künast lässt sich auf eine derart billige Diskussionskultur ein, als sie Wulff und Köhler in einen Topf wirft, um die Frage stellen zu können, ob die CDU überhaupt noch Bundespräsident kann, später auch noch Guttenberg mit dreingibt, um dann vollends an der Moral in der Union zu zweifeln.
Jauch lässt es menscheln
Und Günther Jauch? Der will mal wieder menscheln. Wer von uns hat schon so reiche, großzügige und uneigennützige Freunde, fragt er die Runde. Sind Männer mit schwierigen Biographien wie Schröder und Wulff besonders empfänglich für die Einflüsterungen väterlicher Freunde wie Egon Geerkens? Rettet die Besinnlichkeit der Weihnachtstage vielleicht Wulff das Amt?
Immerhin sorgt seine Redaktion für zwei Glanzpunkte. Ein altes Statement von Wulff zur Flugaffäre von Johannes Rau zeigt, wie hoch Wulff selbst den moralischen Maßstab für den Bundespräsidenten anlegt. Ein anderes Zitat aus dem August diesen Jahres, in dem es um Kredit und Vertrauen geht, führt den Bundespräsidenten gleich völlig vor.
Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung, wünscht sich derweil, passend zum Titel der Sendung, einen Telefonjoker ins Kanzleramt, um die Frage zu beantworten, ob Christian Wulff noch der richtige Bundespräsident ist. Das Publikum kann auf derlei Entscheidungshilfe bereits verzichten. Als Günther Jauch die Zuschauer im Saal abstimmen lässt, sagen 70 Prozent: Dieser Bundespräsident ist nicht mehr glaubwürdig.
Bestes Zitat: «Ich bin keine Feministin. Aber die Männer machen das schlecht.» (Hildegard Hamm-Brücher über die Amtszeiten von Horst Köhler und Christian Wulff)
Lesen Sie hier unseren Kommentar zur Kreditaffäre des Bundespräsidenten.
Die komplette Sendung von Günther Jauch gibt es hier in der ARD-Mediathek.
Quelle:
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«Günther Jauch» – Wulffs ganz persönliche Schuldenkrise