Wulff's Rücktritt: EU(RO)-Kritik kostet ihn sein Amt

Von Eckhardschulze

An und für sich war zu erwarten, dass die Bundeskanzlerin, Angela Merkel (CDU), eine weitere heftige Kritik seitens des Bundespräsidenten nicht dulden wird. Jetzt wurden die Staatsanwälte von der Leine gelassen, die zuvor eigentlich viel gewichtigere Gründe gehabt hätten, wenn es tatsächlich um “Rechtsstaatlichkeit” gehen würde.

Zur Erinnerung: Weder bei der “Kundus-Affäre” (Stichwort: Oberst Klein, 140 Tote, darunter viele Kinder und Jugendliche), noch bei dem “geistigen Massendiebstahls” des Plagiators zu Guttenberg, mochte die Staatsanwaltschaft nicht so richtig ermitteln oder gar anklagen, auch unter Missachtung des Grundsatzes der “Gleichheit vor dem Gesetz”.

Aber es geht, für die breite Öffentlichkeit kaum erkennbar, in Wirklichkeit um die massive Kritik, die der Bundespräsident in Richtung Merkel/Sarkozy bereits mehrfach verlauten ließ; es geht um die EU(RO)-Rettungspolitik, die sich einseitig auf die Rettung der Privatbanken und Millionäre und Milliardäre in Europa und darüber hinaus konzentriert, zu Lasten der Bürger in Europa.

Bereits am 24. August 2011 äußerte der Bundespräsident in einer Rede vor Wirtschaftsnobelpreisträgern seine Kritik an der Politik der Bundeskanzlerin. Hier einige Auszüge aus seiner Rede:

Als die Krise ausbrach, bestand auf globaler Ebene schnell Einigkeit. Beschlossen wurden Konjunkturpakete in einem bislang nie dagewesenen Ausmaß. Dem Finanzsektor und den Banken eilte man zu Hilfe – mit Steuergeld, Staatsgarantien und massiven monetären Transfusionen durch die Notenbanken. Es galt, mit allen Mitteln den Kollaps zu verhindern und den Kreislauf des Patienten Weltwirtschaft zu stabilisieren. Dies geschah mit dem Vorsatz, den Patienten dann auch baldmöglichst zu therapieren. Doch immer noch ist der Bankensektor labil, sind die Staatschulden in den größten Volkswirtschaften auf Rekordniveau und die fundamentalen Probleme für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit so präsent wie zuvor. Es wurde mehr Zeit gewonnen, als Zeit genutzt.

(Fettschrift = Hervorhebung durch den Verfasser dieses Artikels)

Nach der harschen Kritik an der Regierungspolitik, wandte er sich auch den Banken zu:

Auf dem Deutschen Bankentag Ende März dieses Jahres hatte ich den Finanzsektor gewarnt: Wir haben weder die Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Wir sehen tatsächlich weiter eine Entwicklung, die an ein Domino-Spiel erinnert: Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?

Er mahnt an, endlich die “Ursachen der Krise” zu beseitigen, also die “toxischen und unethischen Spekulationen”, aber auch die “Geldschöpfung aus dem Nichts”. Nur nebenbei sei angemerkt, dass die Deutsche Bank ihren Kunden Spekulationsgeschäfte gegen Nahrungsmittel, auch angesichts der vielen Menschen, die vor Hunger jedes Jahr sterben. Jüngst wurde sogar bekannt, dass ganz intelligente Zocker gegen den Eintritt der “Sterblichkeitsprognose” ausgewählter Gruppen spekulieren dürfen. Das illustriert ein wenig, wie reformbedürftig die Wirtschaft insgesamt ist.

Und weiter führte er aus:

Über viele Jahre wurden in vielen Ländern Probleme immer wieder über höhere staatliche Ausgaben, höhere Schulden und billigeres Geld vor sich hergeschoben. Dabei wurde im großen Stil konsumiert und spekuliert, anstatt in gute Bildung und Ausbildung, in zukunftsweisende Forschung und Innovationen zu investieren, in das, was eine produktive und wettbewerbsfähige Wirtschaft ausmacht. Nun klaffen in den öffentlichen Kassen Löcher, wertvolles Saatgut wurde verzehrt, statt fruchtbaren Boden zu bestellen. Politik mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft ist an ihr Ende gekommen. Was vermeintlich immer gut ging – neue Schulden zu machen -, geht eben nicht ewig gut. Es muss ein Ende haben, sich an der jungen Generation zu versündigen. Wir brauchen stattdessen ein Bündnis mit der jungen Generation.

Mit der “Spekulation” im staatlichen Bereich sprach er an, dass die Taugenichtse der UNION und der FDP die Landesbanken aufgefordert hatten, sich an den Spekulationen zu beteiligen; das erstreckte sich dann auch auf die Kommunen mit dem Ergebnis, dass viele Milliarden schlicht verzockt wurden.

Auch deshalb musste man die HRE erhalten bzw. mit mehr als 100 Milliarden Euro stützen, ansonsten hätte es bereits in den zurückliegenden Monaten einen Finanz-GAU über die Kommunen, Versicherungen und Privatbanken gegeben. Die HRE musste sogar noch toxische Geschäfte von Privatbanken übernehmen.

Danach sprach er die berechtigte Empörung der Bürger an, als er sagte:

Ich verstehe die Empörung vieler Menschen. Es sind ihre Zukunftschancen, die hier auf dem Spiel stehen. Der Internationale Währungsfonds warnt sogar vor einer „verlorenen Generation“.

Er setzte seine Rede mit der Kritik an den anhaltenden Spekulationen fort und mahnte eine “faire Lastentragung” an:

Wichtig ist, dass die Lasten fair verteilt werden. Ich verstehe, dass viele nicht nachvollziehen wollen, dass Bankmanager teils exorbitant verdienen, dass aber zugleich Banken mit Milliarden gestützt werden. Und Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren weiterhin darauf, von der Politik und damit letztlich von den Steuerzahlern aufgefangen zu werden – weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für den gesamten Wirtschaftskreislauf.

Danach kritisierte er die “Parallelwelt” der Eliten in aller Schärfe und forderte “faire Lösungen”:

Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich auch nicht in eine eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden. Daran habe ich am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, erinnert. Dass es nicht fair zugeht und Lasten einseitig verteilt werden, dieses Gefühl haben immer mehr Bürgerinnen und Bürger.

Und dann weist er in aller Deutlichkeit darauf hin, dass die EU bzw. die Taugenichtse der UNION und der FDP die Schieflagen in Griechenland und darüber hinaus kennen mussten:

In Europa haben über Jahre einzelne Mitgliedstaaten falsche statistische Zahlen geliefert, Staatsausgaben ausufern lassen, niedrige Zinsen für konsumtive Ausgaben genutzt oder sich durch Steuergestaltung Vorteile verschafft. Fast alle haben zugeschaut.

Dann wandte er sich der Weigerung der Regierungsparteien zu, endlich die Finanzmärkte zu regulieren und den kriminellen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, auch um die Demokratie zu verteidigen:

Statt klare Leitplanken zu setzen, lassen sich Regierungen immer mehr von den globalen Finanzmärkten treiben. Immer öfter treffen sie eilig weitreichende Entscheidungen kurz vor Börsenöffnung, anstatt den Gang der Dinge längerfristig zu bestimmen. Dies trifft unsere Demokratien in ihrem Kern. Ich weiß aus meiner Zeit als Regierungschef eines Bundeslandes, wie schwer das Handeln gegenüber dem Reden ist, aber ich weiß aus dieser Erfahrung auch, dass kraftvolles Handeln zur Konsolidierung des Haushaltes und politische Akzeptanz dafür möglich sind. Ich empfehle auf europäischer Ebene im Übrigen auch Lettland mit seinem mutigen Spar- und Reformkurs als ein Beispiel, wie es gehen kann.

Seine Empfehlungen zur Lösung der Krise waren an Deutlichkeit nicht zu übertreffen:

Zuerst: Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie muss sich davon lösen, hektisch auf jeden Kursrutsch an den Börsen zu reagieren. Sie darf sich nicht abhängig fühlen und sich am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien. Politik hat Gemeinwohl zu formulieren, auch mit Mut und Kraft im Konflikt mit Einzelinteressen. Sie hat Strukturen zu ordnen und gegebenenfalls den Rahmen anzupassen, damit knappe Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden und Wirtschaft und Gesellschaft gedeihen. Politik hat langfristig orientiert zu sein und, wenn nötig, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. In freiheitlichen Demokratien müssen die Entscheidungen in den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt die Legitimation.

Vorgenanntes war geradezu ein Nackenschlag für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der nicht müde wurde, mit den “scheuen Rehen des Finanzmarktes” und der behaupteten “Alternativlosigkeit”, das Unwort des Jahres der Bundeskanzlerin, die Politik gegen die Interessen der Mehrheit des Volkes zu kaschieren.

Und mit dem letzten Satz hatte er die Einhaltung des GRUNDGESETZES und der Rechtsfortschreibung des BVerfG im “Lissabon-Urteil” angemahnt! Alleine der Hinweis muss die Antidemokraten in den Alt-Parteien alarmiert haben, weil nicht nur von Ministerpräsident Seehofer, die Notwendigkeit der “neuen Verfassung” bzw. einer legitimierenden “Volksabstimmung” angesprochen hatte. Auch das BVerfG hatte im Lissabon-Urteil auf die Notwendigkeit einer neuen Verfassung für Deutschland, legitimiert durch den Souverän, nämlich die Bürger, judiziert, sofern es um weitere “Kompetenzverlagerungen” auf die EU kommen sollte (Stichwort: Haushaltsrecht oder Teile davon).

Er wagte es sogar, die “Vetternwirtschaft” der UNION und der FDP anzusprechen:

In Europa ist die Liste der strukturellen Probleme einzelner Mitgliedstaaten all zu bekannt – und alle Staaten haben ihre unterschiedlichen Aufgaben: Bildungswesen reformieren, Berufsausbildung verbessern, bürokratische Hürden abbauen, öffentliche Verwaltung modernisieren, Steuerwesen vereinfachen und Steuerhinterziehung bekämpfen.

Und kein Mitgliedstaat, das müsste eigentlich selbstverständlich sein, darf Vetternwirtschaft und Klientelpolitik dulden.

Erkennbar weigern sich UNION und FDP seit Jahren, die Schließung der “Steueroasen” mit Nachdruck zu betreiben und die “Steuerhinterziehung” wirksam zu bekämpfen.

Bemerkenswert sind auch seine Äußerungen zum Versagen der Politik, auch bezogen auf Fairness:

Das Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich auch nicht in eine eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden. Daran habe ich am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, erinnert. Dass es nicht fair zugeht und Lasten einseitig verteilt werden, dieses Gefühl haben immer mehr Bürgerinnen und Bürger.

Und dann hob er erneut die Bedeutung der Jugend hervor:

Wer heute die Folgen geplatzter Spekulationsblasen, sogar jahrzehntelanger Misswirtschaft allein mit Geld und Garantien zu mildern versucht, verschiebt die Lasten zur jungen Generation und erschwert ihr die Zukunft. All diejenigen, die das propagieren, machen sich im Kern „einen schlanken Fuß“ und handeln nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut“.

Die Kritik an der EZB bzw. der Merkozy-Finanzpolitik dürfte die Bundeskanzlerin aufgeschreckt haben:

Mich stimmt nachdenklich, wenn erst im allerletzten Moment Regierungen Bereitschaft zeigen, Besitzstände und Privilegien aufzugeben und Reformen einzuleiten. Erst recht, wenn die obersten Währungshüter dafür auch noch weit über ihr Mandat hinausgehen und massiv Staatsanleihen – derzeit im Volumen von über 110 Milliarden Euro – aufkaufen. Dies kann auf Dauer nicht gut gehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden. Auch die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren. Ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich. Artikel 123 des
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt umgehen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im Übrigen auch noch teuerer als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes Risiko.

Mit dem letzten Satz übernahm er eine (richtige) Position, die in der Parteienlandschaft nur von der Partei Die Linke vertreten wird, die auf den Irrsinn der hohen Zinsen hinweist, die Griechenland und andere Staaten der Südschiene zu zahlen haben, bzw. letztlich im Wesentlichen die Bürger in Deutschland und Frankreich.

Und da behauptet die JOURNAILLE, Wulff hätte keine bemerkenswerte Rede, wie andere Bundespräsidenten zuvor, gehalten! Genau das Gegenteil ist richtig.

Das Dilemma ist, dass er durch seine “finanziellen Eskapaden” angreifbar geworden ist.

Nachdem er bei seiner letzten Italien-Reise die oben skizzierte Kritik an der Regierungspolitik der UNION und der FDP in Grundzügen wiederholt bzw. angesprochen hatte, lässt ihn jetzt anscheinend die Bundeskanzlerin endgültig fallen. Die (weisungsgebundenen) Staatsanwälte haben nun freie Hand erhalten.

Die Bundeskanzlerin befürchtet wohl, dass mit Wulff der weitere Abbau der Demokratie und der Souveränität nicht möglich sein wird; er würde sich wahrscheinlich weigern, die Begleitgesetze zu den ESM-Regelungen ohne genaue Prüfung zu unterschreiben.

Wulff wendete sich mit seiner Rede (indirekt) auch gegen den EU-Einheitsstaat und den Versuch, die Bürger über die despotische EU völlig rechtlos zu stellen.

Auch er dürfte der Auffassung sein, dass die EU zunächst gründlich “demokratisiert” werden muss, ehe weitere Kompetenzen übertragen werden können. Aber davon ist Europa weit entfernt.

Jetzt ist Wulff offensichtlich am Ende; Merkel & Co. haben nach Bundespräsident Köhler, der auch nicht alles so einfach unterschreiben wollte, einen weiteren Widerständler beiseite geräumt.

Bei aller berechtigten Kritik an Christan Wulff, ein Verteidiger der Demokratie wurde noch schnell beseitigt, ehe es in die letzte Runde (?) der Durchsetzung des diktatorischen EU-Einheitsstaates bis Juni 2012 geht.