„Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen, ich bin Martin“, war der Begrüßungssatz des neuen Klienten, der zu meinem 3-h-Coaching kam.
Sein Lächeln war bezaubernd, er sah sehr gut aus und versprühte eine jungenhafte Energie, obwohl ich ihn auf über vierzig schätzte.
„Meine Freundin will ein Kind mit mir, macht aber zur Bedingung, dass ich endlich erwachsen werde. Können Sie mir dabei helfen?“, fragte er mit großen Augen.
Mittlerweile gelte ich ja als einer der Spezialisten für unerwachsene Männer.
Die Gründe dafür sind meist:
- Entweder weil der Vater sich früh aus dem Staub machte.
- Weil die Eltern sich früh trennten.
- Weil der Vater zwar physisch anwesend aber uninteressiert an seinem Sohn war.
- Weil die Eltern mehr Wohngemeinschaft spielten als ein Paar zu sein und der Sohn zum Partnerersatz der Mutter wurde.
Erwachsen werden oder nur älter?
Vor acht Jahren schrieb ich einen Artikel für das Online-Magazin „Zeitzuleben“ mit dem Titel: „Älter wird man von allein – erwachsen nicht immer.“ Darin zitierte ich auf die Frage „Wann ist man erwachsen?“ Antworten, die ich in einem Forum gefunden hatte.
Erwachsen werden erkennt man daran:
- All Ihre Pflanzen leben und Sie rauchen keine davon.
- Sie stehen um sechs Uhr auf anstatt ins Bett zu gehen.
- Sie hören regelmäßig den Wetterbericht.
- Sie wissen nicht, wann McDonald’s zumacht.
- Sie füttern Ihre Katze mit richtigem Katzenfutter.
- Eine Flasche Wein für 4 EUR ist kein „ziemlich gutes Zeug“ mehr.
- Neunzig Prozent Ihrer Zeit, die Sie vor dem Computer verbringen, ist für Ihren Beruf.
Nun aber ernsthafter, woran erkennt man Menschen, die sich weigern, erwachsen zu werden?
Sechs Merkmale von Menschen, die nicht erwachsen werden wollen:
- Unabhängigkeit geht ihnen über alles.
Sie wollen unter allen Umständen ihre Freiheit und fühlen sich schon durch die normalen Dinge des Alltags in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Das heißt, sie haben Probleme mit Terminen und Fristen. Kommen häufig zu spät und verstehen gar nicht, warum andere das stören kann. Mit einem nonchalanten „Aber jetzt bin ich doch da!“ versuchen sie, ihr Versäumnis zu bagatellisieren. - Sie sind immer auf der Suche.
Nach dem tolleren Job, der attraktiveren Partnerin, der besseren Stadt – dem einfacheren Leben.
Sie können sich aber schlecht entscheiden, weil sie den Verzicht auf andere Optionen nicht mögen. „Warum kann ich nicht alles haben? Und zwar sofort?“ ist ihr Kummer. - Beruflich finden sie nicht ihren Platz.
Denn Disziplin, Routine oder Pflichten versuchen sie möglichst zu meiden. Deshalb werden sie von anderen auch nicht ernstgenommen oder respektiert. In deren Augen sind sie unverbesserliche Träumer. Deswegen sind sie anfällig für Ideen, die schnell das große Geld versprechen. Der Laptop-Lifestyle zieht sie magisch an. Am Strand sitzen, ein bißchen auf dem Laptop tippen und das Geld fließt herein. Sie gründen gern Startups, schrecken aber nach einer Weile vor der damit verbundenen regelmäßigen Arbeit zurück. - Sie sind oft beziehungsuntauglich.
Zwar können sie sehr charmant sein und finden bei vielen Frauen Anklang. Aber meist nur für kurze Zeit. Denn sie wollen sich nicht binden oder anpassen. Sie fliehen die mit einer Bindung einhergehende Abhängigkeit, realisieren aber nicht, daß sie extrem abhängig sind, nämlich von ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit. - Sie sind auf der Suche nach dem immer größeren Kick.
Daher sind sie fasziniert von Extremsportarten, Drogen und allen Abenteuern, die besondere Erlebnisse versprechen. Das können auch extreme Gruppen, Sekten oder ähnliches sein. Damit versuchen sie oft, ihre dunkle Seite, die gar nicht freundlich und zugewandt ist, zu kaschieren. - Im Kontakt wirken sie arrogant und leichtfertig.
Persönliche, tiefergehende Gespräche sind mit ihnen kaum möglich, weil sie schnell das Interesse verlieren, sich nicht auskennen und auch sich selbst nicht kennen.
Die anfängliche Faszination mit ihnen weicht dem Gefühl, es mit einem altklugen Kind zu tun zu haben.
Warum will jemand nicht erwachsen werden?
Fragt man Kinder und Heranwachsende, ob sie erwachsen werden wollen, ist die Antwort fast immer „Ja klar!“ Denn sie verbinden damit die Vorstellung von Freiheit und Unabhängigkeit. Jeden Tag zu MacDonalds essen gehen und soviel Cola trinken dürfen, wie man mag. Spät ins Bett gehen können oder auch gar nicht. Das Erwachsenenalter scheint ihnen als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Dass dem nicht so ist, könnten Jugendliche an ihren Eltern sehen, aber oft betrachten sie die als angepasste Spießer und schwören sich, niemals so zu werden wie sie. Doch spätestens in der Ausbildung oder im Studium erfahren sie, dass erwachsen werden auch mit Einschränkungen verbunden ist. Aber die meisten gewöhnen sich mit der Zeit daran – und werden so erwachsen.
Männer, die nicht erwachsen werden wollen, gewöhnen sich nicht daran. Sie finden die Begrenzungen des sozialen Lebens unerträglich. Sie halten sie für eine Zumutung und sind dauerhaft gekränkt, dass auch für sie in der Ausbildung, dem Studium, der ersten Anstellung keine Extrawurst serviert wird.
Und dann gehen sie in den Streik.
- Sie verweigern sich, indem sie bei der geringsten Anstrengung die Ausbildungsstätte oder den Studiengang wechseln. Und das mehrmals.
- Sie zögern das Erwachsenwerden hinaus, indem sie bei Klausuren durchfallen, weil sie das nötige Lernpensum nicht ernst nehmen. Oder entwickeln Prüfungsängste, die ihnen helfen, immer wieder von vorne anfangen zu können.
- Und sie träumen. Träumen von einem anderen Land, einem anderen Gesellschaftssystem, einer anderen Welt.
Zurück zu meinem Klienten Martin.
„Sie sagten, Ihre Partnerin macht es zur Bedingung für ein Kind, dass Sie erwachsen werden“, knüpfte ich an den Beginn des Coachings an und frage ihn: „Wollen Sie denn ein Kind?“
„Eigentlich nicht“, war seine ehrliche Antwort. „Aber um uns herum bekommen gerade viele Paare Kinder. Und außerdem ist an der Kinderfrage bisher schon jede Beziehung von mir gescheitert. Und ich will meine Freundin nicht verlieren.“
„Also, Sie wollen sich eher dem Druck beugen als dass es Ihr Wunsch wäre?“, präzisierte ich seine Aussage.
„Könnte man so sagen.“
Ich ahnte, dass wir an einer wichtigen Stelle angelangt waren und wollte wissen:
„Was glauben Sie denn, was sich zu Ihren Ungunsten ändern würde, wenn Sie Vater werden würden?“
Der Klient musste nicht lange überlegen und seine Antwort verriet, in welchem Dilemma er sich befand.
„Ist das Kind mal auf der Welt, ist klar, wer das Kind ist und wer der Erwachsene. Dann muss ich ja Verantwortung dafür übernehmen,“ antwortete er.
„Das Kind nimmt Ihnen also Ihre Position weg“, folgerte ich.
„So habe ich das noch nie gesehen“, staunte mein Gegenüber.
Nicht erwachsen werden führt oft zu einer Krise in der Lebensmitte.
Natürlich kann man auch mit fünfzig noch mal einen ganz anderen Beruf ergreifen. Und ein Kind zeugen geht auch noch mit über sechzig. Doch für einige wesentliche Erfahrungen im Leben gibt es Zeitfenster.
Also Lebensabschnitte, wo etwas an der Reihe ist, was man nur schwer verschieben kann. Männer, die nicht erwachsen werden wollen, versäumen diese Zeitfenster:
- Im Beruf merken sie, dass gleichaltrige Kollegen karrieremäßig an ihnen vorbeiziehen.
- Privat können sie sich nicht für eine feste Partnerschaft entscheiden, warten auf noch was „Besseres“.
- Persönlich wählen sie keinen Lebensmittelpunkt, um sich dort niederzulassen und sich vielleicht mit einer Eigentumswohnung oder dem Bau eines Hauses zu verwurzeln.
Versäumen also, sich aus den verschiedenen Lebensoptionen diejenige heraussuchen, die ihnen am meisten liegt. Und damit Stück für Stück ihre Unabhängigkeit aufgeben. Aber auch etwas Wertvolles dafür bekommen.
Für den nicht-erwachsenen Mann sind das alles schreckliche Vorstellungen.
„Ich muss immer grinsen, wenn Kollegen um 16.30 Uhr nach Hause eilen, weil sie das Kind von der Kita abholen müssen. Die am Wochenende erzählen, dass sie mit der Familie einen Freizeitpark besucht haben. Dass sie am Samstag den Rasen gemäht und die Rosen geschnitten haben“, berichtete der Klient.
„Das klingt so, als würden Sie Ihre Kollegen verachten, wenn die von ihrem Alltag erzählen“, forschte ich nach. „Das stimmt vermutlich auch, ich verachte sie für ihr angepasstes Spießerleben“, gab er zu.
„Vielleicht steckt aber hinter Ihrer Verachtung auch eine Portion Neid“, gab ich zu bedenken.
„Neid worauf?“, fragte er verwundert.
„Auf ein stinknormales Leben, das für den Betreffenden Sinn macht“, gab ich zur Antwort.
„Denn das gab es ja in Ihrer Familie nicht. Da war ja immer Theater und Drama, und Leben wurde nur gespielt. Und Sie fühlen sich doch am Wochenende meistens ziemlich einsam und verloren, warum Sie sich ja auch regelmäßig betrinken.“
Der Klient zuckte bei meinen Worten etwas zusammen. Ich hatte einen wunden Punkt getroffen, den er nicht gern zugab aber im Vorbereitungsbogen ausführlich beschrieben hatte.
Um erwachsen zu werden, muss man sich ablösen von den Eltern.
Zur Zeugung eines Kindes braucht es Mann und Frau, oder zumindest Ei und Samen von beiden. Über die Frage, ob für eine gute Kindheit es auch Mann und Frau braucht, gibt es unterschiedliche Ansichten. Schwule und lesbische Paare haben Kinder und beteuern, dass es ihrem Kind an nichts fehle.
Viele Alleinerziehende, meist sind es Frauen, hätten für ihr Kind gern eine männliche Bezugsperson gehabt, aber es hat sich nicht ergeben. Wie immer gibt es viele Theorien darüber, aber entscheidend ist immer das subjektive Erleben. Deshalb wollte ich wissen, wie mein Klient seine Eltern erlebt hatte.
„Meine Eltern waren grundverschieden, eigentlich passten sie nicht zueinander. Meine Mutter war Theaterschauspielerin und auch im richtigen Leben spielte sie Rollen. Meistens die einer großen Diva, obwohl wir nur in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung lebten. Mein Vater war Buchhalter in einem kleinen Betrieb.“
„Und wie war das so mit Ihrer Mutter“, fragte ich.
„Mit meiner Mutter war es immer toll. Wir spielten auch zu Hause oft Theater. Sie hatte einen Fundus von Kostümen und wir verkleideten uns oft und spielten Rollen nach. Zum Beispiel die Sissy-Filme. Sie war die Kaiserin und ich spielte den Erzherzog Franz Josef. In solchen Momenten war ich glücklich“, berichtete der Klient lebhaft.
„Dann war Ihre Kindheit ja eine einzige Bühne“, fiel mir dazu ein.
„Ja, aber nicht sehr lange. Als ich zehn war, verliebte sich meine Mutter in einen Kollegen vom Theater und verließ uns an einem Wochenende im November. Ich habe sie nie wiedergesehen.“
„Das muss ja eine Katastrophe für Sie und Ihren Vater gewesen sein“, sagte ich.
„Ja, war es wohl“, antwortete er ziemlich emotionslos.
„Peter Pan“ als Blaupause für nicht erwachsen werden wollen.
In dem bekannten Jugendroman von James M. Barrie: „Peter Pan – der Junge der nicht erwachsen werden wollte“, erleidet der Junge ein schweres Trauma. Seine Mutter verlässt ihn im Park und vergißt ihn. Daraufhin schließt er sich anderen „verlorenen Jungs“ an, die ohne ihre Eltern eine Heimat im „Nimmerland“ finden. Bezeichnenderweise nannte Michael Jackson, auch ein moderner Peter Pan, seine Ranch genauso.
Den traumatischen Verlust der Mutter versucht Peter Pan zu bewältigen, indem er sich schwört, nie wieder abhängig zu werden. Er will nur noch die totale Unabhängigkeit, Freiheit und Abenteuerlust. Doch der Preis dafür ist eine zunehmende Bindungslosigkeit und Austauschbarkeit von Menschen.
Das zeigt sich, als er sich in seine jugendliche Freundin Wendy verliebt. Peter Pan verweigert diesen Entwicklungsschritt ins Erwachsenwerden und entscheidet sich dafür, nicht weiter zu wachsen, sondern „für immer ein Junge zu bleiben“.
Beim Peter-Pan-Syndrom weigert sich ein Mann, erwachsen zu werden, und will am liebsten für immer Kind bleiben
Erste Anzeichen zeigen sich meist im Alter von 20 bis 25 Jahren, wenn der junge Mann erstmals Verantwortung übernehmen soll. Das liegt aber nicht an mangelnder Intelligenz, sondern betrifft allein die Gefühlsebene. Die Emotionen bleiben auf dem Niveau eines Kindes. Zum Beispiel, indem er sich aus der realen Welt oft gänzlich zurückzieht. Sein Leben findet dann oft in einem Dreieck zwischen Bett, Kühlschrank und PC statt.
Über das Syndrom schrieb 1983 der amerikanische Psychoanalytiker Dan Kiley sein Buch „Das Peter-Pan-Syndrom“. Darin führt er sechs Symptome auf, die die betroffenen Männer aufweisen:
- Verantwortungslosigkeit
- Angst
- Einsamkeit
- Sexueller Rollenkonflikt
- Narzissmus
- Chauvinismus
Auch bei meinem Klienten Martin zeigten sich diese Merkmale. Genauer gesagt, seine Freundin zeigte ihm diese immer wieder auf.
„Woran macht Ihre Freundin denn fest, dass Sie nicht erwachsen sind?“, wollte ich wissen.
„Sie sagt zum Beispiel, dass ich zwar Hilfe von anderen gern annehme, aber mich selten revanchiere. Dass ich trotzig und maulig werde, wenn etwas nicht nach meinem Kopf geht. Dass ich keine Freunde habe aber am schlimmsten findet sie, dass wenn was schiefgeht, ich die Schuld immer auf andere oder die Umstände schiebe.“
„Und, finden Sie das auch?“, fragte ich.
„Ja Gott, keiner ist perfekt, oder?“, war seine lapidare Antwort.
Auf der Suche nach dem Teil, der erwachsen ist.
Ein Grundsatz in vielen Coaching-Ansätzen ist die Annahme, dass der Klient die erforderlichen Ressourcen, um sein Problem zu lösen, schon in sich trägt. Allein, es mangelt ihm oft nur der Zugang dazu.
Der Klient präsentierte mir bisher in der Sitzung vor allem die Seite von sich, die nicht erwachsen werden wollte. Das hatte sicher auch biographische Gründe, denn seine Eltern führten ja auch eher ein eingeschränktes, wenig erwachsenes Leben.
Im Modell des Inneren Teams geht man davon aus, dass unsere Psyche kein einheitliches „Ding“ ist, sondern aus Teilen besteht, die polar angeordnet sind.
Wer beispielsweise das Leben eines „Geizhals“ führt, hat in sich auch einen Teil, der gerne Geld ausgibt und das Leben genießen möchte. Wer vor allem das „Chaos“ lebt, hat auch eine verdrängte ordnungsliebende Seite in sich. Doch meist dominiert eine Seite und das Leben dieses Menschen sieht dann dementsprechend aus.
Diesem Modell folgend wollte ich herausfinden, wo der „erwachsene“ Teil bei meinem Klienten war und warum er sich so wenig zeigte. Das geht natürlich nicht in einem normalen Gespräch, sondern ich mache das meist in Form eines Interviews mit dem abgespaltenen Teil.
Ich bat den Klienten, auf einem separaten Stuhl Platz zu nehmen, achtsam zu werden und eine Situation in seinem Leben zu suchen, in der er sich mal erwachsen gefühlt und auch so gehandelt hatte. Martin musste nicht lange überlegen:
„Vor zwei Jahren war ich Zeuge eines schrecklichen Autounfalls auf der Autobahn. Direkt vor mir brach ein Wagen aus, weil ein Reifen geplatzt war. Das Auto zog nach rechts, krachte gegen die Leitplanke. Ich hielt nach hundert Metern, lief zu dem Auto und sah, dass eine Familie drin saß, die ziemlich verletzt schien. Sofort rief ich mit meinem Handy einen Krankenwagen und sicherte das Auto mit dem Warndreieck aus meinem Wagen …“
„Da handelten Sie ja wie ein vernünftiger Erwachsener“, unterbrach ich ihn.
„Aber natürlich, das weiß doch jeder, was in einer solchen Situation zu tun ist“, antwortete der erwachsene Teil des Klienten.
„Aber sonst spielen Sie, der erwachsene Teil, doch im Leben von Martin keine große Rolle. Sie sind da wenig sichtbar. Im Vordergrund ist da meistens ein unerwachsener Jüngling. Warum eigentlich?“ wollte ich wissen.
Wenn man mit dem System der inneren Familie arbeitet, dann wird klar, dass der erwachsene Teil von Martin ein „verbannter“ Teil war, der keine große Rolle im Leben des Klienten spielen durfte. Warum das so war, wollte ich herausfinden und führte dazu das Interview mit dem erwachsenen Teil weiter.
„Warum dürfen Sie keine große Rolle im Leben von Martin spielen?“ fragte ich.
„
„Und was hat er gegen Sie?“
Der Klient, der sich ja in der Rolle seines erwachsenen Teils befand, stockte. Dann verzog er verächtlich den Mund und stieß hervor: „Ich erinnere ihn an seinen schwachen Vater, den Buchhalter! Deshalb will er mit mir nichts zu tun haben.“
Die menschliche Psyche als eine Ansammlung von Teilen oder Unterpersönlichkeiten zu verstehen hat eine lange Tradition in der humanistischen Psychotherapie. Methoden wie Transaktionsanalyse, Voice-Dialogue, Familienkonferenz, Inneres Team sind Beispiele dafür. Davor war natürlich Freud mit seinem Modell von Es, Ich und Über-Ich.
Die Vorstellung, dass verschiedene „Teile“ in unserer Persönlichkeit beheimatet sind, mag manchem zuerst befremdlich vorkommen („Ich bin doch nicht schizophren!“) macht aber viel Sinn. Richard Schwartz, der Begründer des „Systems der inneren Familie“ schreibt dazu:
„Die Psyche eines jeden Menschen besteht demnach aus Teilen. Diese
können mehr oder weniger psychisch integriert sein. Am einen Ende der Skala haben wir die ausgeglichene Persönlichkeit, in der die verschiedenen Teile sich gegenseitig respektieren, in angemessenem Ausmaß Verantwortung übernehmen und wenn nötig die Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse aufschieben können. Am anderen Ende der Skala finden sich psychische Strukturen, in denen Teile der Psyche entweder so extrem gegeneinander abgegrenzt sind, dass sie nicht einmal von einander wissen, oder so untrennbar symbiotisch miteinander verstrickt sind, dass die Fähigkeit zu situationsadäquatem, differenziertem Verhalten stark beeinträchtigt ist.“ (…)
„Ein Teil ist nicht nur ein vorübergehender emotionaler Zustand oder ein gewohnheitsmäßiges Gedankenmuster. Vielmehr ist es ein einzelnes und autonomes Denksystem, das seinen eigenen Emotionsbereich, Ausdrucksstil, seine eigenen Fähigkeiten, Wünsche und seine eigene Weltsicht hat. In anderen Worten, es ist, als enthielte jeder von uns eine Gesellschaft von Leuten, von denen jeder ein anderes Alter und andere Interessen, Talente und Temperamente hat.“
Um erwachsen zu werden müssen verbannte Teile integriert werden.
Ich bat den Klienten, wieder auf seinem ursprünglichen Stuhl Platz zu nehmen. Er war ziemlich bleich und schaute mich ratlos an, als verstünde er nicht genau, was in den letzten Minuten passiert war. Deswegen versuchte ich, das Erlebte einzuordnen:
„Der erwachsene Teil von Ihnen auf dem anderen Stuhl sprach darüber, dass Sie ihn nicht leiden können, weil er Ihrem schwachen Vater, dem Buchhalter, ähnlich sei“, griff ich den Faden wieder auf.
Der Klient sagte nichts aber ich sah, dass es in ihm arbeitete. Und jetzt geschah etwas Erstaunliches.
„Das da eben auf dem anderen Stuhl, das war nicht ich“, sagte der Klient.
„Ich weiß“, antwortete ich“, das war der Teil, den Sie immer wieder verleugnen in Ihrem Leben. Und den Sie aber dringend brauchen, um erwachsen zu werden.“
„Aber ich wollte nie so werden wie mein Vater!“, reagierte Martin heftig.
Meine Mutter hat ihn mir immer als warnendes Beispiel vorgehalten. Werde bloß nicht so wie dein Vater, sagte sie dann verächtlich. So ein langweiliger Erwachsener.“
Jetzt waren wir am Kern, dem Lebensthema des Klienten, einem Dilemma. Hätte er die Nähe zum Vater gesucht, wäre die Mutter enttäuscht gewesen. So blieb er innerlich an der Seite der Mutter um den Preis, dass ihm die männliche, erwachsene Seite des Vaters fehlte.
„Dann wird es wohl Zeit, dass Sie sich von beiden Eltern innerlich lösen und Ihr eigenes Erwachsensein entdecken“, schlug ich vor.
„Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll“, antwortete Martin etwas mutlos. „Aber das ist wohl der einzige Weg, um aus dieser Sackgasse rauszukommen.“
Dieser Fallbericht ist ein Beispiel dafür, dass Veränderung oft Zeit braucht. Im Fall von Martin vier Jahre, in denen er eine Psychoanalyse machte. In unserem 3-h-Coaching hatten wir nur aufdecken können, was hinter seinem Peter-Pan-Syndroms steckte: Ein ungelöster Loyalitätskonflikt mit den Eltern und als vermeintliche Lösung eine zu starke Identifizierung mit seiner Mutter.
Hören Sie dazu den Podcast. 0.75x1x1.25x1.5x2x0:00...
- „Wozu erwachsen werden“, sagte der Mann im Coaching.
Weitere Fallgeschichten aus meiner Coachingpraxis finden Sie hier:
- Ich bin immer in der Opferrolle.“
- „Ich muss immer der Beste sein.“
- „Soll ich ihn wirklich heiraten?“
- „Wenn die Schwiegermutter die Ehe zu zerstören droht, muss Mann handeln.“
- „Wie Werte helfen, Prioritäten im Beruf- und Privatleben zu ordnen.“
- „Was mache ich mit den ganzen Idioten in meiner Firma?“
- „Ich hasse meine Mutter und soll sie jetzt pflegen?“
- „Ich sei passiv-aggressiv, meint meine Chefin.“
- „Ich fühle mich nirgends zugehörig.“
- „Meine Zwangsstörung macht mich fertig!“
- „Warum sabotieren wir uns selbst?“
- „Im Aufschieben bin ich Weltmeister!“
- „Mit 45 bin ich immer noch der Juniorchef.“
- „Ich bin einfach zu nett!“
- „Karriere Top, Privatleben Flop!“
- „Ich kann keine Entscheidungen treffen.“
- „Ich habe alles erreicht!“
- „Delegieren kann ich nicht.“
PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.
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Dann lesen Sie hier …
Kennen Sie auch nicht erwachsene Männer?
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