Work Life Balance – ein ausgedientes Model?

Work Life Balance – ein ausgedientes Model?

 

Erlauben Sie mir eine Frage zu Beginn: Leben Sie schon oder arbeiten Sie noch?

Wozu diese Frage? Betrachten Sie einmal diesen so beliebten und gerne zitierten Satz: “Wir müssen mehr auf unsere “Work-Life-Balance” achten.” Ich denke, dass uns im Grunde klar ist, was dieser Satz aussagen will, was uns die Befürworter des Modells sagen wollen, welche Ziele Sie verfolgen:

Möglicherweise etwas wie:

  • Arbeit ist nicht alles, es gibt auch noch ein Leben neben der Arbeit
  • Finde eine Balance zwischen der Arbeit und den Dir wichtigen Lebensbereichen
  • Wir werden glücklicher, ausgeglichener und leben gesünder, wenn wir diese Balance erreichen

Ihnen fallen sicherlich noch einige Aspekte ein. Ich möchte das Model der Work-Life-Balance gerne einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Das Prinzip der “Wortwörtlichkeit”

Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass bei den von uns benutzten Worten, Sätzen und Sprichwörtern die sogenannte “Wortwörtlichkeit” gilt, d.h. Worte und Sätze, die wir aussprechen erhalten sofort eine innere Repräsentation, verbunden  mit Bildern und Gefühlen. Diese werden dann irgendwann zu unserer erlebten und damit auch gelebten Wahrheit (sozusagen, im Inneren und im Äußeren). Daher kann es schon alleine sehr sinnvoll sein, immer mal wieder achtsam auf die von uns gewählten Worte zu achten.

Ein kleiner Exkurs: Was glauben Sie, wie sich die folgenden beiden Sätze auf Ihre inneren Bilder, Gefühle und damit auf das aktuelle Erleben auswirken?

  • Ich hänge voll in den Seilen. Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll und fühle mich innerlich zerrissen.
  • Ich nehme mir gerade die nötige Zeit über meine Zukunft nachzudenken. Ich bemerke, dass ich gute Ideen habe, die ich aber noch sortiere. Ich vertraue darauf, dass ich die, für den Moment richtigen Entscheidungen treffe.

Je nachdem, zu welcher Variante Sie sich mehr hingezogen fühlen, könnte das ein Hinweis auf Ihr eigenen inneres Erleben sein. Ein Hinweis darüber wie Sie sich und Ihre Situation gerade sehen und erleben. Wenn wir nun aber einen bestimmten Satz immer wieder nutzen, z.B. wenn wir mit Freunden reden, dann wird sich dieses Erleben immer weiter festigen, da wir in uns die Bilder und Gefühle zu diesem Satz immer wieder wachrufen. Auf der einen Seite ist es verständlich, dass wir möglicherweise den ersten Satz nutzen, denn er entspricht unserem “eigentlichen” Erleben. Auf der anderen Seite nutzen wir nicht, die in der Sprache liegende Chance unserem inneren Erleben positive Impulse zu vermitteln.

Wenn Sie nun sagen, dass der zweite Satz doch nur ein Verdrehen der Situation darstellt, dann gebe ich Ihnen auch recht. Aber die Auswirkung ist dennoch eine andere, insbesondere wenn Sie das Ziel verfolgen, mehr Freiheit für Ihre Lebensentscheidungen erfühlen zu wollen. Was hilft Ihnen eher gute Entscheidungen zu treffen?

Wenn wir diesen Aspekt konsequent weiter verfolgen, dann werden Sie auch bemerken, dass die Art und Weise wie sie über andere Menschen sprechen, Auswirkungen auf Ihre inneren Bilder und Gefühle hat und zwar immer wieder aufs Neue. Sie reden also nicht einfach gut oder schlecht über einen anderen Menschen, sie erleben das auch. Sie haben also nicht nur einen Einfluss darauf, wie sich sich fühlen, durch die Art, wie sie über sich und Ihre eigene Situation sprechen, sondern auch indem Sie Ihre Worte achtsam wählen, wenn Sie z.B. über andere Menschen sprechen.

Nun aber wieder zurück zum Ausgangsthema …

Arbeit oder Leben

Was bedeutet diese “Wortwörtlichkeit” für das so gerne zitierte Modell der “Work-Life-Balance”? Welche Auswirkungen hat dieser Satz auf unser eigenes Erleben und auf das einer ganzen Generation?

Wenn wir das Prinzip der Wortwörtlichkeit auch hier einsetzen, dann sprechen wir davon, dass wir entweder Arbeiten oder Leben – es ist entweider “work” oder “life”. Wir können nicht einfach arbeiten und gleichzeitig leben, denn das geschieht in zwei unterschiedlichen Lebensbereichen. Wir teilen unsere Zeit auf in Arbeit, häufig verbunden mit den Begriffen wie: muss, unangenehm, Verpflichtung, Geld verdienen, usw. Erst wenn wir die Arbeit abgeschlossen haben, beginnen wir zu leben und verbinden diese Zeit mit Freude, Lust, Glück, Freiheit, usw. Jetzt können Sie sagen, dass es sich doch nur um eine Überschrift handelt, nur um Worte die ein Modell beschreiben.

Im Grunde war das Modell  der Work-Life-Balance schon sehr wichtig. Denn damit verbunden war die Frage: “Welche Bereiche in meinem Leben existieren neben der Arbeit? Geben wir auch anderen Lebensbereichen ausreichend Raum?”. Es ist aber die Frage, welche Auswirkung die Überschrift wirklich hat, die dem eigentlichen (das unterstelle ich einmal) Ziel der Lebensbalance nicht zuträglich ist. Denn, wir erhalten einen Anstoß aufzubrechen, das Ungleichgewicht (wenn es denn eines gibt) zu verlassen und laufen plötzlich – ohne, dass wir es wollen – in ein anderes Ungleichgewicht.

Lebensbalance

Wenn wir also nicht entweder arbeiten oder leben wollen, welche Alternativen bleiben uns? Eine Möglichkeit wäre sicherlich, jeden Tag – mit seinen vollen 24 Stunden als Ihr Leben zu betrachten. Dieses Leben gilt es auszufüllen, in einer Art und Weise, die wir als lebenswert und bereichernd betrachten. Wir wollen motiviert sein und Spaß haben an dem haben was wir tun. Energie aufbauen anstelle nur zu geben. Möglicherweise wollen wir auch dieses Tun an einer größeren Aufgabe ausrichten, einem Lebensziel, einer Vision. Möglicherweise auch einfach nur einem Ziel für diese Woche oder dem Tag. Sinnvoll sind diese Orientierungen aber nur, wenn Sie uns helfen den Tag in eine für uns in diesem Moment “richtige” Balance zu bekommen. Manchmal würde uns hier ein Kompass mehr nützen als eine Uhr.

Möglicherweise hilft es auch, sich davon zu verabschieden, dass wir jemals alles unter bekommen, was wir gerne tun wollen, dass es immer wieder eine Frage der Priorisieren sein wird, die uns dabei hilft zu entscheiden, was uns heute wichtig ist.

Wir durchleben an einem jeden Tag Abschnitte, Aufgaben, Rollen. Nutzen Sie den Begriff, der Ihnen am meisten liegt. Jede dieser Rollen kann zu unserem Leben und damit zur Lebensqualität beitragen. Brauchen wir dann noch eine künstliche Trennung wie im Modell der Work-Life-Balance vorgeschlagen? Die Aufgabe liegt darin, dass wir eine Balance der Rollen erreichen.

Die Aufgabe liegt auch nicht darin, dass wir alles unter bekommen, was wir gerne wollen. Das wäre ein guter Nährboden für eine dauerhafte Unzufriedenheit.

  • Wie orientieren Sie sich täglich neu? Was hilft Ihnen dabei?
  • Was unterscheidet einen glücklichen Tag von einem, den Sie als nicht so glücklich wahrnehmen?
  • Wie betrachten Sie den heutigen Tag im Vergleich zum letzten Wochenende? Was hat sich verändert? Was gefällt Ihnen heute besonders gut?

Mein Vorschlag geht daher mehr in die Richtung, die Arbeit als Teil unseres Lebens zu betrachten. Sicherlich hat diese Zeit eine besondere Rolle, da die meisten unter uns dort Ihre finanzielle Basis für alle weiteren Lebensrollen schaffen. Wenn wir die Zeit der Arbeit jedoch nur auf diese eine Aufgabe reduzieren, landen wir tatsächlich in dem benannten Modell und trennen Arbeit und Leben.

Welche Schritte dazu notwendig wären, auch die Arbeit als bereichernd zu betrachten – wenn Sie das nicht schon tun, kann sehr unterschiedlich sein und soll auch nicht Thema dieses Artikels werden. Vielmehr möchte ich dazu anregen, das Modell der Work-Life-Balance zu hinterfragen. Möglicherweise sogar, alternative Sichtweisen in den Vordergrund zu rücken.

Achtsamer Umgang mit Worten

Meine Einladung zum Abschluss ist auch der achtsame Umgang mit gerne und schnell übernommenen Begriffen und Einstellungen. Wir nutzen sie wie selbstverständlich und sind uns meist über ihre Auswirkung auf unser Leben nicht mehr wirklich bewusst. Bleiben Sie wach dem gegenüber was Sie für sich nutzen und was Sie übernehmen.

Ich wünsche Ihnen auch weiterhin eine achtsame Zeit, Ihr Olaf Karwisch

Zitate

  • „Zeitmanagement ist Unsinn. Sie können die Zeit nicht managen – nur Ihr Verhalten.“- Michael Kastner (*1946), dt. Psychologe u. Hochschullehrer
  • “Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren haben verdoppeln wir unsere Anstrengungen” – Mark Twain
  • “Don’t prioritize your schedule, schedule your priorities” – unbekannter Autor
  • “Ans Ziel kommt nur, wer eines hat.”  – Martin Luther
  • Nehmen Sie einen Kompass anstelle einer Uhr – unbekannter Autor

Referenz / Anregungen

  • Prinzip der “Wortwörtlichkeit” – Gunther Schmidt (Milton Erickson Institut / Heidelberg)
  • Managen von Prioritäten – Lothar J. Seiwert

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