Wonne aus der Tonne: Stille Nacht, Horror Nacht
Liebe Freunde des gepflegten Schmuddel-Kinos, willkommen zurück bei Wonne aus der Tonne. Jetzt da das schöne Wetter und der Sommer endlich nahen, können wir doch nochmal einen kleinen Abstecher (Wortspiel durchaus intendiert) Richtung Winter machen. Heute richten wir unseren Blick auf einen ganz besonderen Slasher, der es schaffte ganze 30 Jahre auf dem Index der jugendgefährdenden Medien in Deutschland zu verbringen – bevor er als kleine Weihnachtsüberraschung letzten Winter vollauf rehabilitiert wurde. Freuet euch, ihr lieben Kinder auf …
Stille Nacht, Horror Nacht
OT: Silent Night, Deadly Night, USA, 1984, Regie: Charles E. Sellier Jr., Drehbuch: Paul Caimi, Michael Hickey, Mit: Robert Brian Wilson, Lilyan Chauvin, Gilmer McCormick u.a.
Der 5-jährige Billy Chapman (später: Robert Brian Wilson) ist mit seiner Familie auf Weihnachtsbesuch im Altenheim beim katatonischen Opa. Als Billy kurz mit Opa allein gelassen wird, erwacht der Alte kurzfristig um dem Jungen eine Heidenangst vor dem Weihnachtsmann zu machen. Dieser würde nämlich nur brave Kinder beschenken, die schlimmen dafür arg bestrafen. Auf der Rückfahrt passiert dann das Unvorstellbare: Die Familie wird von einem Anhalter im Weihnachtsmann-Kostüm überfallen, die Eltern ermordet, die Mutter vorher noch vergewaltigt. Billy und sein Bruder Ricky können sich in Sicherheit bringen, müssen jedoch alles mitansehen. In weiterer Folge werden die Buben in ein katholisches Waisenhaus überwiesen, wo die fiese Oberschwester (Lilyan Chauvin)mit ihren drakonischen Maßnahmen für eine weitere Traumatisierung des ohnehin schon psychisch labilen Billy sorgt. Als Billy viele Jahre später, gerade im Erwachsenenalter, eine Stelle in einem Spielzeugladen bekommt, scheint sich für ihn alles zum Guten zu wenden. Doch dann naht Weihnachten und Billy soll den Weihnachtsmann im Laden spielen. Dass der Chef Billy überredet das Kostüm überzuziehen wird nicht nur er in Bälde bereuen …
Stille Nacht, Horror Nacht hat es wirklich nicht leicht gehabt. Der Film zählt zu den skandalösesten Streifen der 80er Jahre und rief sämtlich Zensurbehörden auf den Plan – und das diesmal sogar nicht nur in Deutschland. In den USA wurde eine richtiggehende Hexenjagd befeuert von empörten Eltern gemacht. Und dies einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass der Killer hier als Santa Claus verkleidet rumläuft. TriStar Pictures, die den Film damals an die Kinos verliehen, zog im Zuge der Kontroverse sogar den Stecker für alle Werbemaßnahmen und auch die Kinobetreiber wollten bald mit diesem Schmutzfilm nichts mehr zu tun haben. Nur eine Woche nach Filmstart verschwand Stille Nacht, Horror Nacht wieder aus den Lichtspielhäusern. Dabei hatte er an seinem ersten Wochenende nicht einmal schlecht eingespielt an den Kinokassen.
Dass der Film, wie eingangs bereits erwähnt ganze 30 Jahre auf dem Index der jugendgefährdenden Medien in Deutschland verbrachte, ist tatsächlich höchst bemerkenswert. So ein Schicksal können nicht allzu viele Filme für sich beanspruchen. Caligula von Tinto Brass fiele mir da zum Beispiel ein. Solch eine Reputation macht einen Film für das entsprechende Klientel natürlich umso schmackhafter. Doch ist der Streifen wirklich derart grausam?
Selbstverständlich nicht. Der Film entpuppt sich, wie so oft bei heutiger Ansicht, als braver Slasher mit ein paar Gewaltspitzen, die jedoch nie wirklich ausarten. Trotzdem wird hier manch kruder Einfall zelebriert. Besonders in Erinnerung wird freilich die Pfählung einer kaum bekleideten jungen Dame auf einem an der Wand hängenden Hirschgeweih bleiben. Ansonsten liefert der Film eher bekannte Slasher-Kost. Was den Streifen tatsächlich besonders macht, ist die Perspektive, die er einnimmt. Zwei Drittel des Films werden wir mit der Hintergrundgeschichte und der Psychologisierung von Billy Chapman gefüttert, bevor dieser endgültig überschnappt. Das macht ihn zu einem ungewöhnlich nahbaren und bemitleidenswerten Killer, der – bevor er zur Tat schreitet – die Sympathie des Publikums voll auf seiner Seite hat. Der grimmige Unterton des Streifens ist beachtlich und verleiht ihm dann doch mehr Härte als den meisten anderen Genre-Vertretern. Dabei darf auch immer wieder schwarzer Humor durchblicken, was dem ganzen Treiben eine zusätzliche Ebene gönnt. Das Label Anolis Entertainment hat nach der Streichung vom Index eine neue Bewertung der FSK (ab 18) für die Unrated-Fassung erwirken können und ihn nun – gewohnt liebevoll – in drei schicken Mediabooks auf den Markt geworfen. Und somit dem geneigten Zuseher erstmals vollkommen ungekürzt in HD im deutschsprachen Raum zugänglich gemacht. Der Run war so groß, dass die Auflage so gut wie ausverkauft ist. Bleibt zu hoffen, dass da noch was nachkommt.
In diesem Sinne: Fröhlichen Sommer und bleibt seltsam!
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Autor
Benedict ThillSchon als Kind sah er sich am liebsten heimlich Horrorfilme an und hat seitdem einen Schaden weg. Wenn er nicht gerade Schundfilme schaut, schreibt er Theaterstücke für Kinder und Jugendliche, die dann auch regelmäßig aufgeführt werden. Kein Scherz.