Wonne aus der Tonne: Antlitz des Todes
Ihr Lieben, am allerschönsten ist es doch bei Filmen, wenn man völlig erwartungslos hineingeht und dann auf ganzer Linie überrascht wird. So geschah es meiner Frau und mir, als wir neulich mal wieder nach langer Pause auf Giallo-Spuren wandelten. Dabei hat alles nicht gerade vielversprechend begonnen …
Antlitz des Todes
OT: El Ojo del huracán, Italien, Spanien, 1971, Regie: José Maria Forqué, Drehbuch: Rafael Azcona, José Maria Forqué, Mit: Analia Gadé, Jean Sorel, Tony Kendall u.a.
Die Ehe von Ruth (Analia Gadé) und Miguel (Tony Kendall) ist am Ende. Miguel will noch kämpfen, doch für Ruth ist es endgültig und sie vergnügt sich mit ihrem neuen Lover Paul (Jean Sorel). Ausführlichst. Sie laufen gemeinsam über den Strand, sie knutschen. Er hängt von einem Baum kopfüber, sie knutschen. Sie stecken sich gegenseitig Früchte in den Mund, sie knutschen. So geht das ungefähr eine halbe Stunde. Doch dann plötzlich: Ruth fährt mit ihrem Wagen eine kurvige Bergstraße entlang, als plötzlich die Bremsen versagen. Die Sache geht aber noch mal gut aus. Kurz danach beim gemeinsamen Tauchausflug mit Loverboy Paul geht plötzlich die Sauerstoffflasche aus. Auch das geht nochmal gut. Aber kann es sein, dass jemand einen Anschlag auf ihr Leben plant? Steckt gar ihr Noch-Ehemann dahinter?
El Ojo del huracán – der Originaltitel deutet es bereits an – ist eine spanisch-italienische Co-Produktion aus dem Jahre 1971. Der Film steht ganz in der Tradition früher sogenannter Psycho-Gialli, wie Der schöne Körper der Deborah oder Paranoia. Mit diesen Filmen gemein hat der vorliegende Vertreter nicht nur einen ähnlich gelagerten Themenkreis sowie eine mediterrane Kulisse, sondern auch noch den männlichen Hauptdarsteller: Jean Sorel.
Der Film beginnt – man kann es nicht anders sagen – saulangweilig! Es ist zwar alles schön anzusehen: Schöne Menschen, schöne Landschaften, schöne Musik. Aber es passiert NICHTS. Außer endloser Knutscherei. Als dann aber nach einer halben Stunde der Krimi-Plot Fahrt aufnimmt, wird man ganz unvermittelt in einem immer spannenderem Netz aus Intrige und Mord verwoben. Das letzte Drittel wird dann gar zum echten Thrill, bis der Schluss einen etwas verblüfft und eventuell auch ein wenig ratlos zurücklässt. Die Motivation einer gewissen Figur wird dabei eben nicht aufgelöst, was schon mal zu ein wenig Stirnrunzeln führen kann.
Bis dahin hat die Geschichte genretypisch jedoch schon einige Haken geschlagen. Auffällig schön sind die Bilder dieses sanften Krimis. Ausstattung und Landschaften sind wirklich herrlich anzusehen. Gut gespielt ist das ganze obenauf. Umso erstaunlicher also, dass der Film bei uns kaum bekannt ist, und wenn, dann doch nicht unbedingt den besten Ruf genießt. Für mich völlig unverständlich, denn hat man mal den lahmen Start überstanden, wird man mit wirklich edler und feiner Krimikost gefüttert.
Das tolle Nischenlabel X-Rated hat den Giallo mit einer eigenen Synchronisation ausgestattet, die wirklich mehr als gelungen ist. Merkt man ihr doch zu keinem Zeitpunkt an, dass sie nicht in den frühen 70ern entstanden ist. Das Bild wurde ebenfalls gewohnt aufwändig restauriert. Und so erstrahlt nun also eine übersehene Genre-Perle in vollem Glanz und wartet darauf, als Klassiker entdeckt zu werden. Von mir gibt’s dazu wärmste Empfehlungen. Für alle, die ihre Gialli stilvoll, handwerklich exzellent und toll gespielt mögen. Für die Gorehounds und Adrenalinjunkies ist dies freilich nix!
Wir springen wild durch die Zeiten. Beim nächsten Mal sind wir filmisch wieder beinahe in der Gegenwart angekommen. Und da gibt’s dann auch wieder Action en masse. Dran- und seltsam bleiben!
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Autor
Benedict ThillSchon als Kind sah er sich am liebsten heimlich Horrorfilme an und hat seitdem einen Schaden weg. Wenn er nicht gerade Schundfilme schaut, schreibt er Theaterstücke für Kinder und Jugendliche, die dann auch regelmäßig aufgeführt werden. Kein Scherz.