Wolfskinder – John Ajvide Lindqvist
Das absolut miserable Cover und der nichtssagende Klappentext (“Das Grauen lauert überall”, seriously?) hätten mich wohl nicht dazu bewegen können, diesem Roman eine Chance zu geben. Gott weiß, was sich die Marketing-Abteilung von Bastei Lübbe dabei gedacht hat.
Glücklicherweise hatte ich von Lindqvist das großartige So finster die Nacht gelesen. Und dank Krimiantiquariat schien mir das finanzielle Risiko von zwei Euro überschaubar.
In den Herbstferien begann ich das Buch zu lesen. Doch als es gerade spannend wurde, ließ ich (Holzkopf) meinen Rucksack, samt Buch in der S-Bahn liegen. So ein Mist! Die Geschichte war fürs erste zu Ende.
Ich nahm mir das nächste Buch auf meinem Nachttisch vor: Verwesung von Simon Beckett.
Nach einer Woche kam dann unverhofft die Meldung, dass mein Rucksack gefunden worden sei!
Und auch Das Buch war noch drin! Ende gut, alles gut. Aber sollte das auch für Wolfskinder gelten?
Der Schlagersänger Lennart findet beim Pilze sammeln einen Säugling im Wald. Statt zu Schreien singt das wundersame Kind glockenreine Töne.
Er beschließt das Baby bei sich zu Hause zu verstecken. Vielleicht kann ihm das Mädchen helfen sein bemitleidenswertes Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Zeitgleich wächst in Stockholm ein anderes Mädchen auf, das sich trotz geregelter Familienverhältnisse nicht so entwickelt wie seine Geschwister.
Beide Mädchen zeigen kaum Gefühlsregungen und finden keinen Draht zu Familie und Gleichaltrigen.
Als sich 14 Jahre später ihre Wege schneiden, starten sie gemeinsam auf einen blutigen Kreuzzug gegen die Welt der Erwachsenen.
Wow! Noch nie habe ich einen Genre-Roman gelesen, der so wenig vorhersehbar ist. Der belanglose Klappentext verrät im Grunde nichts über die Geschichte und da alle Hauptcharaktere totale Psychopathen sind, scheint jederzeit alles möglich zu sein.
Als Leser hegt man zwar permanent die Vermutung, dass sich etwas schreckliches anbahnt aber wie, was und wann das Unheil einbricht, lässt sich nicht bestimmen.
Nach einem holprigen Start mit einer (aus meiner Sicht) überflüssigen übernatürlichen Note, findet Lindqvist einen Rhythmus, der den Leser immer mehr einnimmt.
Dabei gelingt es ihm großartig, sich in die Köpfe psychisch Kranker hineinzuversetzen. Die Mädchen verlieren zunehmend den Bezug zur Realität, kapseln sich ab und trösten sich mit düsteren Gewaltfantasien.
Aber auch die übrigen Charaktere sind gescheiterte Existenzen. Vom aggressiven Schlagersänger Lennart bis zum pädophilen Musikmanager Max Hansen. Keiner der Hauptfiguren ist vom Leben verschont worden. So fügen sich sämtliche Figuren zu einem deprimierenden Mosaik der Trostlosigkeit zusammen, das Lindqvist dennoch stets unterhaltsam und mit geradezu sadistischer Lust zu verkaufen weiß.
Mobbing, Trolling und Amok – er treibt das Thema Teen-Angst mit viel Liebe zum Detail und seinen kranken Protagonistinnen ins Extreme. Dabei schlägt er durchaus ernste Töne an, so dass man streckenweise eher das Gefühl hat ein Sozialdrama zu lesen.
Doch wenn schließlich die Gewalt ausbricht, dann richtig. Das Blut tropft und spritzt nur so aus den Seiten, Schädel knacken und Knochen splittern.
Nichts für zartbesaitete.
Bei allem Horror verzichtet er aber auf genretypische Klischees, Cliffhanger und sonstige billige Effekte.
Vielmehr nimmt er sich diel Zeit die Geschichte aufzubauen, dreht die Spannungsschrauben an und kocht das Todeswasser gemächlich bis zum unvermeidlichen, bitteren Ende hoch.
Starker Tobak, starkes Buch.
Fazit – Schweden sucht den Superpsychopathen
Nicht ganz so stimmig wie So finster die Nacht aber alles in allem ein gelungenes Portrait von psychisch kranken Teeanagern, die keinen Halt in der realen Welt mehr finden und unaufhaltsam ins Verderben rasen.
Wieder einmal schafft es Lindqvist den übernatürlichen Unterton perfekt in unsere reale Welt einzubetten. So gut, dass er aus meiner Sicht überflüssig gewesen wäre.
Diesen Makel sollte man ihm aber verzeihen, denn Wolfskinder bietet blutigen Horror mit Substanz, Fantasy mit realistischem Fundament und eine einmalige Protagonistin, die Stephen Kings’ Carrie an Grausamkeit in nichts nachsteht.
Die perfekte Halloween-Lektüre.
Wertung 3,5/5
1. Geht gar nicht 2. Is OK 3. Gut 4. Richtig gut 5. awesomatik!
awesomatik Kuriosum
Eine umfangreiche und lesenswerte Rezension gibt es hier.
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Wolfskinder: Roman