Wolfgang Tiefensee: Lernt die SPD von der NPD?
In Stresow in Sachsen-Anhalt haben 25 Prozent der Wähler die NPD gewählt, in Koblentz in Mecklenburg-Vorpommern 33 Prozent. Als Grund geben sie an: Protest. Können Sie das verstehen?
Wolfgang Tiefensee: Ich habe kein Verständnis dafür, wenn jemand die NPD wählt. Aber ich erfahre bei meinen Gesprächen zunehmend Kritik an der Politik, an Politikern, an Entscheidungen. Ich nehme eine wachsende Entfremdung, eine Vergrößerung der Distanz zwischen Bürger und Politiker wahr. Die sucht sich ein Ventil, entweder in Lethargie oder in Protest. Mit der NPD sucht man sich dann eine Partei, die den größtmöglichen Weckruf erzeugen kann. Für mich ist das Anlass, darüber nachzudenken, wie wir die Kluft zwischen Politik und Bürgern verringern können.
Was ist schief gelaufen, dass es dazu erst kommen konnte?
Tiefensee: Die Analyse muss sich auf die Politiker richten. Ich will aber auch der Bürgerschaft nicht ersparen, einmal darüber nachzudenken, was schief läuft. Bei den Politikern ist es so, dass wir die Menschen nicht genügend an den Entscheidungen teilnehmen lassen. Wir haben eine abgehobene Sprache. Uns gelingt es nicht, komplizierte Sachverhalte so zu erklären, dass sie nachvollziehbar sind. Oftmals wird Staat auch mit einem «Von oben herab» identifiziert. Das erleben die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in Verwaltungen. Auf der anderen Seite haben wir den Bürger, der zu bequem ist, sich einzumischen. Er kommt erst ganz spät dazu und das Interesse hört spätestens am Ende des Stadtbezirks auf.
Nun sitzen jedoch in vielen Dörfern Menschen auf der Straße, die sich bereits aufgegeben haben. Können Sie denen noch Hoffnung machen? Kommen noch Angebote von der Politik?
Tiefensee: Ich habe nicht nur Konzepte entworfen, sondern während meiner Zeit als Bundesverkehrsminister aktiv darauf hingewirkt, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen. Wir werden allerdings München nicht mit Hoyerswerda in Gleichklang bringen. Wenn wir die demografischen Herausforderungen in zweierlei Hinsicht sehen, können wir es aber schaffen. Einmal müssen wir versuchen, die Abwanderung abzuflachen oder zu stoppen. Außerdem müssen wir den Wandel gestalten. Das beginnt bei den Arbeitsplätzen. Wir müssen also die Investitionszulage für den Osten so lange wie möglich erhalten. Es geht in Zukunft um Gesundheit, um Pflege, um Mobilität, Bildung und Kultur. Wir werden allerdings nicht die großen Bevölkerungszuwächse auf dem Lande erleben.
Es fühlen sich schon lange viele Landbewohner als Verlierer und bleiben trotzdem. Wie viel bedeutet der Heimataspekt?
Tiefensee: Heimat ist ein guter Begriff, Verwurzlung und Angestammtsein. Wenn das zu bürgerschaftlichem Engagement führt, ist das eine hervorragende Voraussetzung. Heimat ist neben Arbeit und Gesundheit ein ganz wesentlicher Faktor. Wir haben es in verschiedenen Regionen geschafft, den Trend umzukehren. Zum Beispiel in Eggesin im Nordosten. Das geht nur, wenn die Bürger es tatsächlich wollen und wenn die Politik die entsprechenden Akzente setzt. Wichtig ist dabei, dass nie ein Gebiet fallen gelassen wird, sondern individuell gestaltet.
Die Bundesregierung, zusammen mit den Regierungschefs der ostdeutschen Länder, hat in der vergangenen Woche ein Nachfolgekonzept für den Aufbau Ost vorgestellt. Wie bewerten Sie es?
Tiefensee: Alle Anstrengungen sind wichtig. Wir brauchen eine Vielfalt. In Mecklenburg-Vorpommern geht es anders zu als in Thüringen. Da sind unterschiedliche Voraussetzungen und ich bin froh, dass es verschieden Ideen gibt. Ich hoffe, die Ost-Ministerpräsidenten erheben zusammen ihre Stimme und machen deutlich: Die Bundesregierung hat an der völlig falschen Stelle gespart, beim Städtebau, bei den Arbeitsmarktinstrumenten. Sie läßt den Osten fallen. Es gibt noch immer eine flächendeckende Strukturschwäche, die behebt man nicht nebenbei.
Zum Beispiel soll in Zukunft nicht mehr massiv Rückbau betrieben werden. Das schlage auf die Gemüter der Menschen. Ist das ein Eingeständnis von Fehlern?
Tiefensee: Der Stadtumbau Ost hatte schon immer die Komponenten Abriss und Aufwertung. Die ostdeutschen Länder haben das ganz unterschiedlich gehandhabt. Das schlechteste Beispiel war Sachsen, die haben 80 Prozent der Gelder für den Abriss und nur 20 Prozent für die Sanierung verwendet. Die anderen haben klug 50 zu 50 gearbeitet. Sachsen hat umgesteuert und sich jetzt endlich dem angenähert.
Wie sieht ihr Vorschlag aus, in einem Dorf wie Koblentz, in dem die NPD 33 Prozent bekommen hat, einen SPD-Wähler zu gewinnen?
Tiefensee: Wir werden auf dem flachen Land in Zukunft andere Formen der Information des Bürgers nutzen müssen. Da gibt es keinen großen Ortsverein. Wir müssen das Internet nutzen, Bürgerforen, uns mit Vereinen vernetzen.
Wer soll das denn machen, wenn da niemand mehr der SPD nahe steht?
Tiefensee: Das müssen Menschen machen, die da neu gewonnen werden. Menschen, die anderen politischen Strömungen, wie der NPD, wieder entzogen werden. Das ist eine ganz mühevolle, lange andauernde Arbeit. Zum Beispiel hat in Pirna, in Sachsen, eine vorbildliche Arbeit von Vereinen dazu geführt, Mitglieder aus der NPD herauszubrechen und für Demokratie zu interessieren.
Die Gesellschaft ist auf dem Land oft schon zerbrochen, da gibt es kaum noch Vereine. Was hält die Gesellschaft dort in Zukunft noch zusammen?
Tiefensee: Ich denke, es gibt überall Ansatzpunkte. Wenn 33 Prozent NPD wählen, dann wählt der Rest nicht NPD. Natürlich gibt es noch Vereine, Schulen, die Feuerwehr. Wenn dann vom Bundesland Gelder kommen, um diese Dinge zu stärken, wenn die Parteien wieder die kleinen Dörfer in den Blick nehmen, kann man das Schritt für Schritt verändern.
Vereine, Feuerwehr: Genau den Weg geht die NPD auch.
Tiefensee: Richtig. Das ist ein Kampf. Die NPD konzentriert sich auf Mecklenburg-Vorpommern. Alles Material, Geld und Menschen wird dort hin gekarrt. Deshalb ist die Zivilgesellschaft aufgerufen, ein Gegengewicht zu schaffen. Das gelingt, jedoch nicht überall. Die NDP ist dort leider wieder im Landtag, jedoch so gut ist das Ergebnis dann doch nicht.
Wolfgang Tiefensee ist Mitglied des Deutschen Bundestages und der SPD. Von 2005 bis 2009 war er in der Großen Koalition Bundesminister für Verkehr, davor Oberbürgermeister von Leipzig. Zurzeit arbeitet er unter anderem als Vorsitzender des Forums Ostdeutschlands seiner Partei.
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