Sucht man nach Informationen über den deutschen Autor Wolfgang Thon, findet man erst einmal lauter Hinweise auf Bücher, die er gar nicht geschrieben hat. Das liegt daran, dass der geborene Mönchengladbacher und Wahlhamburger hauptberuflich Übersetzer ist. Thon übersetzt aus dem Englischen quer Beet durch alle Genres. In seinem Portfolio finden sich Historische Romane, Thriller, Liebesromane und Urban Fantasy. Vor allem schuf er sich aber durch die Königklasse einen Namen: High Fantasy. Ihm verdanken wir es, dass John Gwynnes phänomenale Reihe „The Faithful and the Fallen" in Deutschland gelesen werden kann. Kein Wunder, dass Thon selbst den Weg zur High Fantasy fand. „Das Lied der Dämonen" ist der erste Band seiner Trilogie „Die drei Prophezeiungen".
Ein Jagdausflug rettete Lay das Leben. Wäre er dort gewesen, wäre auch er ein Opfer des Überfalls auf das Monasterium geworden. Doch das tröstet Lay nicht. Ohnmächtig musste er zusehen, wie alle Menschen, die ihm etwas bedeuten, ermordet wurden und das Kloster in Flammen aufging. Seit er vor fast 20 Jahren als Baby auf den Stufen gefunden wurde, waren die erhabenen Mauern am nördlichen Rand des Drachenreiches Alghor sein Heim und ihre Bewohner_innen seine Familie. In den Ruinen des Klosters findet Lay keinen Hinweis darauf, was die Bande aus Ern wollte - nur Asche und Leichen. Mitten im Hof entdeckt er Zanth'ra, die Vorsteherin, gefoltert und ans Drachenkreuz gebunden. Mit ihrem letzten Atemzug spricht sie kryptische Warnungen aus und trägt Lay auf, seine Bestimmung zu erfüllen. Außer sich vor Zorn und Trauer schwört Lay Rache. Er ahnt nicht, dass das Rätsel seiner Herkunft seine Schritte lenkt. Immer häufiger hört er eine seltsame Melodie und fremdartige Silben. Der Dunkle Schleier wurde berührt. Die Zeit der Verschmelzung der Träger_innen des Mals steht bevor.
Ich bin erschüttert. Ein schlechteres Worldbuilding als in „Das Lied der Dämonen" habe ich noch nie erlebt. Ohne Spaß. Ich mache keine Witze und ich übertreibe auch nicht. Ich habe schon viele Autor_innen dafür kritisiert, dass sie die Geheimniskrämerei so sehr lieben, dass ihre Geschichten darunter leiden, doch das Ausmaß, das Wolfgang Thon erreicht, ist unübertroffen. Ich bin mir absolut sicher, dass das Universum der „Die drei Prophezeiungen"-Trilogie alles hat, was eine High Fantasy - Welt braucht. In Thons Kopf. Ich verstehe auch, dass er keine allzu offensichtlichen Erklärszenen involvieren wollte, ganz nach der Faustregel „Show, don't tell". Aber es dann einfach komplett zu lassen und überhaupt nichts zu erklären, das geht gar nicht. Da wäre mir ein bisschen „Tell" definitiv lieber gewesen, als vollkommen ahnungslos durch eine Welt zu stolpern, die ich nicht verstehen, deren inhärente Struktur ich nicht begreifen konnte. Ich las und las und habe den Sinn der Handlung nie erfasst, weil sie keine soliden Grundmauern vorweisen kann. Nach 700 Seiten kann ich immer noch nicht erklären, was in „Das Lied der Dämonen" eigentlich passiert oder warum es passiert. Das mangelnde Worldbuilding schadet der Geschichte massiv und zerstörte in mir auch noch den letzten Funken Zuversicht, den der irreführende Klappentext übriggelassen hatte. Dieser verspricht Drachen, Dämonen und Götter - nichts davon tritt auf. Es ist auffällig, dass vieles in Alghor einen namentlichen Bezug zu Drachen herstellt: Es gibt den Drachenfürsten, der vom Drachenthron aus das Land regiert; seine Tochter und Thronerbin, die Drachenbraut; die Drachenpriesterinnen, die eine von drei mysteriösen Machtparteien neben dem Regenten verkörpern und natürlich wird Alghor selbst das Drachenreich genannt. Ich habe keine Ahnung, woher diese Bezeichnungen stammen. Scheinbar sind die Drachen ausgestorben, ausgelöscht von den Menschen, deren Nachfahr_innen heute in Alghor leben? Ich weiß es wirklich nicht. Götter werden ebenfalls benannt, meist in Flüchen oder in Beschreibungen der Himmelskörper, auf eine Vorstellung des Pantheons oder allgemein der religiösen Auffassungen in Alghor und den Nachbarreichen wartete ich jedoch vergeblich. Dämonen werden erst gar nicht erwähnt. Lediglich am Ende von „Das Lied der Dämonen" wird eine Figur als Dämonenbrut bezeichnet, vielleicht auch beleidigt, da bin ich nicht sicher, weil ich nicht weiß, was das eigentlich bedeutet. Kümmerte mich das? Nein, denn ich war nicht gerade ein Fan der Figuren. Besonders die Perspektivcharaktere neigen zu unangenehmen Wutausbrüchen und behandeln alle Personen um sich herum inakzeptabel, was es für mich schwerer machte, ihre Rollen zu durchschauen. Wenn alle ständig zicken, meckern, blaffen und schreien, fragt man sich irgendwann, ob diese Personen noch etwas anderes zur Geschichte beitragen als Negativität.
Ich kann leider kaum etwas Gutes von „Das Lied der Dämonen" berichten. Als mir aufging, dass ich weder Drachen noch Dämonen noch Götter zu sehen bekommen und es quasi kein Worldbuilding geben würde, war ich gelinde gesagt entgeistert. Ich bin überzeugt, dass Wolfgang Thon Talent als Autor besitzt, denn obwohl er manchmal übertrieben harte Kontraste in seinem Schreibstil verwendet, las sich der Trilogieauftakt erstaunlich flüssig. Ich habe zwar nichts verstanden, aber gelangweilt oder gequält habe ich mich nie. Immerhin. Unglücklicherweise ist ein guter Autor nicht auch automatisch ein guter Geschichtenerzähler. Thon fehlt meiner Ansicht nach die Fähigkeit, sich in die Perspektive seiner Leser_innen hineinzuversetzen, wodurch ihm offenbar entging, dass er Wissen voraussetzt, über das sein Publikum gar nicht verfügen kann. Tja. High Fantasy zu übersetzen und High Fantasy zu schreiben sind eben zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich werde „Die drei Prophezeiungen" nicht weiterlesen und so ungern ich es tue, ich kann euch nicht empfehlen, es mit „Das Lied der Dämonen" zu versuchen. Falls ihr es doch wagt, lasst mich wissen, ob ihr besser zurechtgekommen seid als ich. Es könnte ja immer noch an mir liegen.