Im Schottenstift an der Freyung in Wien unterrichtete Wolfgang Schmeltzl im 16. Jahrhundert. Allerdings sah die Stiftskirche damals noch anders aus. Ich zeichnete die Kirche im Sommer 2013.
Durch ein Zitat im DuMont-Kunst-Reiseführer Wien von Felix Czeike kam ich auf diesen Text des Schullehrers Wolfgang Schmeltzl (1500 Kemnath in der Oberpfalz – 1561 St. Lorenzen am Steinfeld, Niederösterreich), der im 16. Jahrhundert im Wiener Schottenstift unterrichtete und neben einer Reihe anderer Werke, die ihm den Ruf eines wienerischen Hans Sachs einbrachten, 1547 einen längeren Lobspruch auf die Stadt Wien verfasste.
Lobeshymne auf die neue Heimatstadt des Autors
Man muss sich diesen Text als ein Gedicht jener Art vorstellen, wie sie gelegentlich zu Ehren eines Jubilars bei runden Geburtstagen vorgetragen werden: Die Verdienste des zu Lobenden werden breit ausgemalt, etwaige kritische Punkte geflissentlich ausgespart.
Schmeltzls Lobes-Objekt ist seine neue Heimatstadt Wien, und er schreibt ihr zu Ehren ein einige hundert Verse langes Gedicht. Das Versmaß ist stellenweise etwas holprig (Knittelverse), die Sprache Frühneuhochdeutsch (ich las allerdings eine neuhochdeutsche Version aus dem Internet).
Hang zur Genauigkeit
Das Erstaunliche an dem Gedicht ist Schmeltzls Hang zur Genauigkeit. Er beschreibt die wichtigen Bauten der Stadt wie etwa den Stephansdom ganz detailliert und schreitet seine Länge und Breite ab, damit er sogar die Maße (in Schritten) angeben kann.
Da eine Stadt nicht nur aus Gebäuden besteht, behandelt Schmeltzl auch die Menschen, die Politik, Verwaltung und das Geschäftsleben. Da wird einem bewusst, wie viele Märkte es in Wien damals gab, da ja sämtliche Frischwaren jeden Tag von den Bauern herangeschafft werden mussten, weil man sie nicht lange aufbewahren konnte.
Geschichtsquelle ersten Ranges
Viele Honoratioren der Stadtverwaltung zählt Schmeltzl namentlich und unter Nennung ihrer Verdienste auf. Sein Text ist damit sicher eine historische Quelle ersten Ranges.
Schmeltzls Lobspruch ist für Leute, die sich für die Geschichte der Stadt Wien interessieren, und überhaupt für Wien-Fans eine äußerst lohnende Lektüre. Ich frage mich, wie ich so lange brauchen konnte, um darauf zu stoßen.
Wolfgang Schmeltzl: Lobspruch auf die Stadt Wien. Wien, Kuppitsch 1849.
Das Gedicht kann bei Google-Books als Scan der Ausgabe von 1849, die ihrerseits ein Faksimile der Originalausgabe ist, abgerufen werden, außerdem gibt es den Text in der neuhochdeutschen Bearbeitung, die ich gelesen habe, bei zeno.org.
Bild: Wolfgang Krisai: Schottenkirche, Wien, von der Freyung aus gesehen. Tuschestift. 2013.