Wie in seinem anderen Buch “Die Ostdeutschen” vermag es Engler, die Befindlichkeiten der ehemaligen DDR-Bürger aus soziologischer und unverbrämter Sicht aufzuzeigen. Da dieses Buch hier als eine Art Nachtrag und Antwort auf Fragen zum vorherigen zu sehen ist, ist es (leider) sehr viel dünner; nichtsdestotrotz aber wieder sehr erfreulich zu lesen.
Sofern es überhaupt einen geschichtlichen Auftrag gibt, den die Ostdeutschen durch ihr Herkommen und ihre jetzige Stellung in der Welt als ihren ureigenen begreifen können, dann den, Gleichheit und Freiheit miteinander zu versöhnen. (Seite 33)
Zu dieser Aussage kommt Engler, da er davon ausgeht, dass die Ostdeutschen in ihrer DDR-Geschichte viel eher Gleichheit erlebten als ihre Brüdern und Schwestern im Westen. Dies vorausgesetzt und mit der nun tatsächlich erreichten Freiheit zusammen ergäbe sich nach Engler eine völlig neue Möglichkeit der Gestaltung der Gesellschaft.
Wenn Veränderungen ins Haus stehen, werden jene im Vorteil sein, die bereits an Veränderungen gewöhnt sind. Wir Westdeutschen sind das nicht. Dass ausgerechnet die viel gescholtenen Ossis die Sieger von morgen sein könnten, klingt einigermaßen verblüffend. Wolfgang Engler aber ist überzeugt: Vorteil Ost.
Die neue These des Soziologen hat das Zeug, ebenso Furore zu machen wie vor einigen Jahren seine Charakterisierung der DDR als einer im Alltag “arbeiterlichen Gesellschaft”. Englers neuer Gedanke liegt nahe: Kein Wessi war in seinem Leben je einem derartigen Umbruch ausgesetzt wie die Brüder und Schwestern östlich der Elbe seit der Wende. Werbetext auf Amazon.de
Diese Theorie mag provokant klingen… erscheint mir aber überaus plausibel zu sein. Im Zusammenhang mit den Umwälzungen, die die Ostdeutschen 1989 selbst bewerkstelligt haben, schreibt Engler:
Nur weil ihr Aufbegehren authentisch war und das heißt zukunftsblind, hatten sie den Mut, sich einer Welt zu überantworten, die ihre Vorstellungen überstieg und ihrem Willen überlegen war.
Von den Früchten des eigenen Muts überwältigt zu werden gehört zu den befremdlichsten Erfahrungen, die Menschen machen können. (Seite160)
woraus Engler im letzten Kapitel des Buches Schlüsse zieht, die in die Richtung des bereits beschriebenen Vortrages gehen: Da eine Vollbeschäftigung im Osten illusorisch ist; da dieser Teil des Landes brach liegt wie seine Felder wäre – um damit kommen wir zum Titel des Buches – es möglich, im Osten das Grundeinkommen einzuführen.
Vergleicht man die Arbeitswelt von heute mit der vom ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, dann ist technisch, technologisch und organisatorisch beinahe nichts beim Alten geblieben.
Unterzieht man die Welt der Arbeitslosen demselben Vergleich, dann gelangt man zum gegenteiligen Schluß: fast alles blieb beim Alten. (Seiten 154/155)
So entwickelt Engler ab Seite 176 einen Katalog der Möglichkeiten: wie würde sich die Einführung – zuerst modellhaft in Ostdeutschland, dann flächendeckend – des uneingeschränkten Grundeinkommens umsetzen lassen. Welche Bedingungen benötigt das und welche davon wären im Osten gegeben? (Hier ist vor allem der Hinweis Englers, der den Ostdeutschen ein ausgeprägteres Gleichheits-Denken attestiert – ausschlaggebend: im Osten erwartet er weniger Widerstand gegen die uneingeschränkte Gleichbehandlung der Menschen!)
Alles in Allem: ein sehr lesenswertes Buch – das als Diskussionsgrundlage seinesgleichen sucht. Ich empfehle aber dringend, zuerst “Die Ostdeutschen – Kunde von einem verlorenen Land” zu lesen um dieses Buch hier voll verstehen zu können.