Wohnen muss sich wieder lohnen

Von Modesty

In der Wochenendbeilage der Süddeutschen gab es an diesem Wochenende eine doppelseitige Reportage über Spanien zu lesen, die mit Bleierne Leere überschrieben ist. “In Spanien stehen ungefähr zwei Millionen Immobilien leer. Gleichzeitig fliegen täglich Familien aus ihren Wohnungen und Häusern. Wie kann das sein? Eine Reise durch Ruin und Ruinen.”

Warum gibt es massenhaften Leerstand angesichts bitterster Wohnungsnot? Das ist eine berechtigte Frage, die man durchaus richtig beantworten könnte. Aber natürlich gibt es keine Antworten auf diesen beiden Seiten, richtige schon gar nicht. Nur eine Reihe trauriger Geschichten von Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben. Menschen, die im Zuge der Krise ihren Job verloren haben und deshalb die Raten für ihre Hypothek nicht mehr bezahlen können. Menschen, die jetzt in sehr viel schlechter bezahlten Jobs arbeiten müssen, und ebenfalls ihre Wohnungen nicht mehr zahlen können. Menschen, die für ihre Kinder gebürgt haben, die ihre Raten nicht mehr zahlen können und deshalb nun selbst ihre Wohnung verloren haben. Menschen, die es sich nicht mehr leisten können, in den Wohnungen der Neubaugebiete zu wohnen, die nun leer stehen. Menschen, die nachts nicht mehr schlafen können, weil sie vor dem Nichts stehen. Deren Leben nun so leer und öde ist, wie die Geisterstädte, von denen hier die Rede ist. Monströse Monumente eines idiotischen Wirtschaftssystems.

“Das ist das Verrückteste an Spanien: Auf der einen Seite stehen 1,9 Millionen Wohnungen leer. Gleichzeitig aber wurden seit 2008 landesweit viele Tausend Verfahren zur Zwangsräumung eingeleitet. Die meisten dieser Immobilien stehen zwar leer oder sind Garagen und ähnliche Zweckbauten. Aber viele Wohnungen wurden tatsächlich geräumt.”

Ja, das klingt verrückt. In einer normalen Welt wäre das auch verrückt – auf der einen Seite massenhaft Wohnungen verrotten zu lassen, während Tausende auf die Straße geworfen werden und dringend eine Bleibe bräuchten. Aber wir leben in einer verrückten Welt. In einer kapitalistischen Welt. In einer Welt also, in der das Verrückte normal ist, wo die Bedürfnisse der Menschen nicht zählen, wenn kein Geld damit zu verdienen ist.

Mag sein, dass es in Spanien derzeit besonders verrückt aussieht, weil Spanier ihre Wohnungen lieber kaufen als mieten. Und weil dort die Banken, sobald man eine einzige Rate nicht rechtzeitig zahlt, den Vertrag kündigen und dann halt das ganze Geld auf einmal fordern können. Was zwangsläufig dazu führt, dass die Leute, die ja schon eine Rate nicht zahlen können, den Rest erst recht nicht zahlen können und somit kein Recht mehr auf die Immobilie haben – ganz gleich, wie viel sie dafür bereits gezahlt haben. Sie verlieren im Zweifelsfall alles: Ihr bereits investiertes Geld und die Wohnung oder das Haus. Natürlich ist es verrückt, einen solchen Vertrag überhaupt zu unterschreiben. Aber wenn das die einzige Möglichkeit ist, an eine Wohnung zu kommen, dann unterschreibt man halt. Das machen ja fast alle so in Spanien – sofern sie noch nicht in der glücklichen Lage sind, dass ihnen ihre Wohnung bereits gehört. Als es noch Jobs gab und der Wert der Immobilien von Jahr zu Jahr stieg, schien das eine sichere Sache zu sein. Und zwar keineswegs nur in Spanien.

Millionen von Menschen hausen in den USA in Trailerparks oder Zeltlagern, weil sie genau auf die gleiche Weise ihr Zuhause verloren haben. Rezession, Immobilienkrise, Finanzkrise, Jobverlust, Wohnungsverlust, noch mehr Krise. Auch das ist keineswegs nur in Spanien so.

Rückbau Ost: Was nicht mehr vermietet werden kann, wird abgerissen.


In Deutschland hat man nach der Wende ganze Stadtviertel in Ostdeutschland platt gemacht: Erst wurden die Betriebe abgewickelt, die Leute verloren ihre Jobs und in der Folge ihre Wohnungen, wer konnte, ging weg. Man hätte die weitgehend leer stehenden, aber intakten und soliden Plattenbauten auch einfach stehen lassen können. Schließlich gibt es auch in Deutschland genügend Menschen, die dringend eine vernünftige Wohnung bräuchten. Aber es würde ja die Preise und den Markt verderben, wenn man die Leute dort einfach so wohnen ließe. Denn Wohnraum ist nicht etwas, das Menschen brauchen und ihnen deshalb zur Verfügung gestellt wird. Auch wenn das in der DDR tatsächlich so praktiziert wurde. Deshalb ist sie ja auch Pleite gegangen, zumindest wird das heute so behauptet. Nach kapitalistischem Verständnis geht es ja nicht anders: Wohnraum ist ein Geschäftsmodell, das aufgehen muss. Deshalb wurden ganze Stadtviertel “rückgebaut”. Nicht, weil man die Wohnungen nicht mehr gebraucht hätte, sondern weil keiner mehr das Geld hatte, die jetzt verlangten Mieten zu zahlen.

Deshalb stehen in Spanien riesige Neubauviertel leer. Deshalb verfallen in den USA die Eigenheimsiedlungen ehemaliger Industriestädte. Weil nicht das Bedürfnis der Menschen nach einer Wohnung zählt, sondern der Profit, der damit erzielt werden kann.

So verrückt das auch ist, ist es eine Tatsache und gleichzeitig die einfache Antwort auf die Frage, die über dem Artikel steht, auch wenn sie in den vielen Zeilen, die dann folgen leider nicht zu finden ist. Der Autor findet das, was in Spanien passiert, natürlich schlimm, das ist es ja auch. Aber er tut so, als sei das alles ein tragisches Missverständnis, ein krisenbedingter Unfall, bei dem auch Leute zu Schaden kommen, die ein solches Schicksal gar nicht verdient hätten. Oder ein bisschen selbst schuld sind manche ja doch, die viel zu teure Wohnungen gekauft haben, bloß weil die Banken ihnen die Kredite hinterher geworfen haben. Aber es ist kein Unfall und auch kein Missverständnis, sondern die gnadenlose Funktionsweise unseres so effektiven und wunderbaren Wirtschaftssystems. Ein freier Markt mit Wettbewerb und allem produziert neben Gewinnern nun mal auch Verlierer. Und je mehr die einen gewinnen, desto mehr verlieren die anderen.

Selbstverständlich ist es ein Skandal, dass Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden. Aber das ist ja nicht so, weil die Banken so gemein, die Eigentümer so egoistisch und die Zwangsvollstrecker so herzlos sind. Die machen ja alle nur ihren Job. Krise hin oder her.

Das ganze System ist menschenfeindlich – übrigens auch in Boomzeiten, wenn viele Leute gut bezahlte Jobs haben und sich trotzdem noch ein ordentliches Essen leisten können, obwohl sie ihre monatlichen Raten für die Wohnung, die Einrichtung, das Auto und so weiter abdrücken können, so dass es für die meisten okay geht, wenn sie einen Großteil ihres mehr oder weniger mühsam erarbeiteten Geldes für eigentlich selbstverständliche Dinge ausgeben müssen. Die Leute haben das so verinnerlicht, dass sie selbst in den aus schierer Not von ihnen besetzten Häusern sogar noch Miete zahlen würden: “Wir wollen keine Schmarotzer sein”, wird eine der spanischen Hausbesetzerinnen zitiert, “Wir wollen Miete zahlen. Aber zu Krisenkonditionen.”

Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn man kein Schmarotzer sein will. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wer in dieser Gesellschaft denn die Schmarotzer sind.