Wohlfühljahreszeit: Kaum zu glauben, der Herbst

In Hamburg ist es derzeit zwar geringfügig kälter (ca. 14°) als im Juli, doch scheint im Gegensatz zum Sommer des öfteren die Sonne und es regnet nicht tagelang vor sich hin. Die Wolken hängen nicht über den Dächern vierstöckiger Häuser, wie dies teilweise im Sommer der Fall war und normalerweise zu einem Hamburger Herbst gehört.
Der Oktober war bereits ein sprichwörtlich "goldener". Ich kann mich im Rückblick auf all die Jahre meines Hamburger Exils nicht daran erinnern, dass der Herbst in dieser Stadt - über Tage, über Wochen hindurch - so schön sein könnte.
In den letzten Jahren hatte ich innerlich schon Bammel vor den dunklen Nebelschwaden des Hamburger Herbstes. Zu oft passte sich meine innere Stimmung dem Wetter an und ich benötigte deshalb sehr viel Kraft, um das ausgleichen zu können. Da die letzten drei Sommer den Herbstmonaten angeglichen waren, war es auch nicht möglich, zuvor genügend Energie aufzutanken, um dem dunklen Herbst begegnen zu können. Man konnte auch nicht davon ausgehen, dass die Wetter- Regel dieses Jahr gebrochen wird. Und so hieß es wie so oft: Es komme, was kommen muss.
Wohlfühljahreszeit: Kaum zu glauben, der HerbstSo geschah es heute, dass ich, als ich mich ausgehbereit machte, schon das Innenfutter meiner Joppe entfernte. In den vergangenen Tagen störte das Innenfutter bereits. Zu warm angezogen fühle ich mich nicht wohl, was an meinen Fikinger Wikinger- Genen liegen dürfte.
Nun gut, ich steige normalerweise auf den Weg zur Arbeit in den Linienbus ein und nutze den größten Vorteil des Öffentlichen Nahverkehrs: Die Zeit während der Fahrt lesen zu können.
Ich möchte nicht verschweigen, dass das Lesen im Normalfall auf Grund asozialen Verhaltens der mitreisenden "Mitmenschen" unmöglich wäre, gäbe es da nicht bestimmte Hilfsmittel zur Vermeidung eines Tobsuchtsanfalls.
Derzeit nutze ich besonders gern eine defensive Vorgehens- Angriffsstrategie. Ich benutze beim Lesen ein Abspielgerät und höre harmonische Klänge, die mich vor den (meisten) Außenklängen bewahren. Was heißen soll, weder wird mein "Lesesaal" zum Großraumbüro voller babylonisch sprechender Handy- Terroristen, die gegen pubertierende Wichtigtuerei und Geltungssucht anschreien müssen, noch muss ich mir die Interpretationen des gestrigen Hartz IV- TV aufzwingen oder mich in den befremdenden Gerüchen dieser Welt ungewollt unterrichten lassen.
Wie angedeutet, verfüge ich über weitere Angriffsstrategien...
Doch bevor ich unnötiger Weise abschweife, komme ich lieber zum eigentlichen Gedanken Text zurück.
Ich steige also in den Bus ein, werfe meine Musikmaschine an und entscheide mich heute für eine Scheibe, die ich zwar ausgesprochen mag, aber seit einer geraumen Zeit nicht mehr angehört hatte: Die "Division Bell" von Pink Floyd.
Normalerweise vermeide ich beim Lesen Musik mit andauernden Texten. Das lenkt ab.
Die Division Bell wirkt anders.
Ausnahmen bestätigen eine Regel.
Ich nehme mein Buch hervor und lese in diesem so interessiert und Informationen aufsaugend wie in den letzten Tagen auch. Doch dann halte ich, durch die Musik inspiriert inne und schaue aus dem Busfenster.
Ich nehme eindringlich das von der Sonne so schön und warm angestrahlte Bunt der verschiedenen Pflanzen war. Die Wolken, deren unendliche Gebilde die Phantasie anregen. Zwischendurch der blaue Himmel, den ich schon als Kind so sehr gemocht habe, dass das Himmelblau (in der Kindheit) zu meiner unangefochtenen Lieblingsfarbe wurde.
Dann die Gesichter der Menschen, sie erschienen nicht so bedrückt, wie an manch anderem Tag. Ihre Mundwinkel hatten die Tendenz nach oben.
Wohlfühljahreszeit: Kaum zu glauben, der HerbstJedenfalls legte ich mein Buch aus der Hand, regelte die Musik noch etwas lauter und genoss meine Eindrücke.
Ich verspürte eine Freude, die mich tendenziell ins Schwerelose entgleiten wollte.
Kurz blickte ich auf mein Buch, wollte weiterlesen und bemerkte, dass dies beim besten Willen unmöglich war.
Meine Freude unterdrückte die Lust auf den interessanten Inhalt des Buches. Die Lust auf der Suche nach Wahrheit.
Mein Inneres lehnte jede Beschäftigung mit dem humanoiden Theater ab. Ich fühlte mich dabei unbeschreiblich wohl und frei...
Diejenigen, die mich besser kennen, werden wissen, wie sehr ich diesen Moment genossen habe.
Sie werden sich vielleicht mit mir freuen.
Ich zehre jedenfalls noch immer von diesem Glücksgefühl.
Sonst hätte ich das hier nicht geschrieben...
Genießt die Zeit, die wir hier in unserem Zustand im Universum auf der Erde weilen.
Doch vergesst niemals eure Verantwortung!
Es kommt wahrscheinlich auf die Mischung an. Auf die Natur und ihrem Bestreben nach vollkommener Ausgewogenheit...
Abschließend eine weise Warnung vom Altmeister Nietzsche:
Wer mit Ungeheuern* kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Jenseits von Gut und Böse, Aph. 146
*  auch Ungeheurem

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