Wohlfühlbereich

Von Wonseong

Endlich Ostern – endlich einmal wieder Zeit, einen ernsthaften Artikel zu schreiben. Die meisten Menschen in Deutschland haben ja Twitter (noch) nicht verstanden. Aber gerade hier kommen – viel mehr als von Facebook oder sonstigen Quellen – meine besten Inspirationen her. In diesem Fall habe ich schon mehrfach über einen Blogpost zu diesem Thema sinniert, heute aber brauchte es Kollege Gordo mit seinem Tweet (der zwar einen völlig anderen Ursprung hat und eine völlig andere Richtung einschlägt, aber Inspiration ist eben Inspiration). Er betrifft in besonderem Maße die Kernzielgruppe meiner Leserschaft, ist aber darüber hinaus auf einem philosophischen Level auch „für den Rest des Lebens“ anwendbar.

Der Wettkampf

Einsteigen möchte ich mit einem Zitat der Triathlon- und Trainerlegende John Hellemanns, der seinerseits diverse Nationalmannschaften und Athleten in die Weltklasse geführt hat und selbst immer noch einer der besten Altersklassen-Triathleten der Welt ist. Er ist Holländer, der bereits 1978 nach Christchurch in Neuseeland auswanderte.

„When I want to quit, I know I’m going at appropriate race pace.“

Nach diesem „harten“ Einstieg: Lass‘ mich erklären! Wir reden hier nicht über Hobbysportler und Feierabend-Jogger. Alles gut. Wir reden hier auch nicht allein über Training, sondern v.a. über die Rennsituation. Wenn ich einmal mehr als Zuschauer Athleten bei einem Wettkampf anfeuere, muss ich mich immer wieder fragen, warum diese Menschen hier und jetzt wertvolle Ressourcen einsetzen, um dann über beide Ohren strahlend durch eine mehr oder minder hässliche Stadt (City-Marathon) zu joggen. Warum nur? Leute: Das ist ein Rennen!

Die ganze Idee eines Rennens ist

  1. Sein absolut Bestes zu geben (alles zu zeigen, was da ist)!   …und ja, auch…
  2. Sich im direkten Wettstreit mit anderen zu messen.

Das heißt, dass für mich ein Rennen vor allem auch eine Möglichkeit ist, an meine derzeitigen, individuellen Grenzen zu gehen. Für alles andere brauch ich doch nicht Blut, Schweiß und Tränen (ganz abgesehen von recht substanziellen Summen an Geld) einzusetzen. Dann gehe ich doch lieber allein Joggen im Wald (was ich nebenbei gerade mache: Keine Ambitionen – kein Wettkampf!). Ein zentraler Teil der Wettkampf-Erfahrung ist es doch – zumindest im Profi- und ambitionierten Amateursport – Höchstleistung zu erbringen. Und die fühlt sich nun einmal per definitionem nicht angenehm an. Sie ist eher das genaue Gegenteil des Wohlfühlbereichs.

Das heißt natürlich nicht, dass es immer so zugehen sollte. Ganz und gar nicht. Der Top-Leistungsbereich ist auch und gerade bei mir nur für den Wettkampf reserviert. Das ist auch der Grund, warum es viele Trainingsweltmeister gibt, aber nur ganz wenige „richtige“ Weltmeister. Und selbstverständlich sollte mit dem Top-Leistungsbereich extrem verantwortungsbewusst umgegangen werden – gerade als Coach! Aber ab und zu muss ich halt auch mal im Training ordentlich „auf die Kacke“ hauen – sonst weiß der Körper ja gar nicht, wie sich das im Rennen anfühlt.

Wohlfühlbereich im Leben

Zum Schluss ein eher philosophischer Gedanke: Ich habe den Eindruck (und fühle das auch ganz konkret bei mir selbst), dass wir in unserer verwöhnten „Wohlfühl- und Puderzucker in den Hintern blasen“-Gesellschaft alle am liebsten zu jeder Zeit in dieser Komfortzone verharren wollen. Und naturgemäß müssen wir dann in dieser Situation in Deutschland auch noch jammern, wie schwer alles ist. *seufz*

Das war einer der Gründe, warum ich mal wieder auf eine Weltreise verschwunden bin. Denn auch ich durfte für mich feststellen, dass ich mich als Mensch in den letzten Jahren praktisch nicht weiterentwickelt habe (im Gegenteil in gewisser Hinsicht eher ein Rückschritt zu verzeichnen war). Und warum? Na weil auch ich mich in den flauschig weichen Kissen der Komfortzone versteckt habe. Auf so einer Weltreise (jedenfalls in dem Stil, wie ich sie durchgezogen habe) befinde ich mich aber mehr oder weniger ständig außerhalb meines Wohlfühlbereichs. Und lerne ständig dazu…

Ein aus meiner Sicht zentrales Lebensthema ist Wachstum, Lernen, Entwicklung. Und das findet vor allem dann statt, wenn ich das System aus der Balance schubse, ihm regelmäßige Wachstumsimpulse gebe. Genau das ist auch die Aufgabe eines exzellenten Coaches – ob im Sport oder „im Reste des Lebens“!

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