Zwischen der Jagd auf Salafisten und der Fußball-Europameisterschaft beschäftigten sich die Medien auch mit Merkels Regierungserklärung. Das mit Abstand Blödeste, was ich zu diesem Thema heute in der Presse las, war ein Kommentar im Münchner Merkur, der die Bundeskanzlerin verteidigte und gegenüber Brüssel und Washington bekräftigte, dass Deutschland bis an den Rand der Selbstaufgabe bei der Eurorettung in Vorleistung gegangen sei.
"Es hat den durch den Verzicht seiner Bürger hart erarbeiteten Wohlfahrtsgewinn mehrerer Dekaden verpfändet und sieht sich mit der realen Gefahr des Verlusts seiner Spitzenbonität an den Kreditmärkten konfrontiert. Geriete Europas Kraftmaschine selbst in den Strudel der Krise, wäre für Europa nichts gewonnen - aber für Deutschland, seine Kanzlerin und die sie tragenden Parteien alles verloren."
Die Frage ist doch, wer durch den Verzicht der Bürger einen Wohlfahrtsgewinn verbuchen konnte und damit nichts besseres anzustellen wusste, als ihn auf den Kapitalmärkten zu verjubeln. Wären die Überschüsse bei den Bürgern nicht vielleicht besser aufgehoben gewesen, um die Binnennachfrage zu stärken?
Der Verzicht für den Wohlfahrtsgewinn Weniger setzte sich aber auch gestern im deutschen Bundestag fort. Am Abend verabschiedete die Koalition, die im Prinzip auf die Einhaltung der absurden Schuldenbremse pocht, einen Nachtragshaushalt. Dieser sieht eine Erhöhung der Neuverschuldung um sechs Milliarden Euro vor. Mit dem Geld soll das Konto des europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gefüllt werden, obwohl dieser noch nicht einmal vom Parlament ratifiziert wurde.
Das Absurde daran ist, dass sowohl die 17 Milliarden Neuverschuldung aus dem letzten Jahr wie auch die insgesamt 34,8 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht im Widerspruch zur im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse stehen. Wie das geht, hat Georg Schramm einmal sehr schön erklärt. Mehr Schulden ermöglichen nämlich mehr Schulden. Nach der Finanzplanung der marktkonformen bürgerlichen Regierung hätte Schäuble noch mehr neue Schulden aufnehmen dürfen.
Dass die Presse indes nichts von Finanzpolitik versteht, kann man sehr schön daran erkennen, dass sie die Reaktion der britischen Notenbank, ihren Währungsraum mit 100 Milliarden Pfund zu stärken, als mehr oder weniger gewöhnlichen Vorgang der Krisenpolitik bezeichnet, um die Kreditvergabe im Vereinigten Königreich zu erleichtern. Dabei liegen diese 100 Milliarden Pfund genauso wenig in den Tresoren der Bank-of-England herum wie jene Milliarden Euro, die ein Land wie Spanien, das eine deutlich niedrigere Gesamtverschuldung ausweist als Deutschland oder Großbritannien, dringend bräuchte.
Großbritannien druckt Geld gegen die sich verschärfende Wirtschaftskrise im Land und den sich abzeichnenden Verlust an Wohlstand. Die Eurozone druckt auch Geld, nur eben nicht um die Krise in den Griff zu bekommen und den Menschen, die dem Euro ausgeliefert sind, wenigstens ihre Existenz zu sichern, sondern um es den Geschäftsbanken zu geben, die es dann gegen “marktkonforme” Zinsen an die Staaten der Eurozone weiterverleihen.
In der Logik geht es dann auch nicht um den Erhalt irgendeiner Währung oder irgendeines Wohlstandes, sondern um die Rettung eines absurden wie gescheiterten Finanz- und Wirtschaftssystems innerhalb der Eurozone, das maßgeblich von Deutschland aus bestimmt wird. Je brüchiger das Ganze aber wird, desto härter wird der Ton und das Verlangen mit Bestrafungen und Sanktionen für eine radikale Anpassung der Politik in den Ländern zu sorgen, die als logische Verlierer der Gesamtkonstruktion bereits zum Start des gemeinsamen Währungsraums feststanden.
Ein Wohlfahrtsgewinn kann wenn überhaupt nur dann erreicht werden, wenn gerade wir Deutschen bei Wahlen auf Parteien verzichten, die eine Regierung wie die von Angela Merkel tragen.