Liebe Passagiere, ich frage mich, wohin uns die Reise unseres Schiffs führt. An goldene Gestade, paradiesische Strände, hiess es noch vor einiger Zeit. Zumindest habe ich es so in Erinnerung. Doch wenn ich heute durch das Bullauge meiner Kabine blicke, beschleichen mich düstere Zweifel. Gischt weht von den sturmgepeitschten Wellenkämmen und Blitze zucken aus den dunklen Wolken am Horizont. Nicht weit weg, kann ich steile Klippen sehen, die aus dem Wasser ragen, obschon nirgends eine Küste zu erkennen ist. Nach oben wage ich mich schon lange nicht mehr, denn der Sturm ist zu stark und er hat das Deck glitschig gemacht. Leicht kann man ausrutschen und dann weiss man nicht, wo man landet. Noch geht es uns gut, hier im Innern dieses mächtigen Schiffs, das mich immer mehr an eine Arche erinnert. Wir haben alles was wir brauchen im Überfluss. Doch scheint das nicht auf allen Decks der Fall zu sein. Man hört von Kämpfen, geschlossenen Küchen und Schlimmerem. Es gäbe Bereiche, in die kein Mensch mehr gehen könne, so vergiftet seien sie. Auch aus dem Maschinenraum dringen seltsame Geräusche zu uns. So als würde der Antrieb stottern. Es habe zuwenig Kohle, hört man und man feuere jetzt mit dem Mobiliar. Einige behaupten, sie würden schon Planken aus dem Schiff reissen um die Maschine am Laufen zu halten. Doch auf dieser Fahrt habe ich gelernt, nicht alles zu glauben. Schon gar nicht, was in der Zeitung steht. In der Bordzeitung wird hauptsächlich über die Schönen und Reichen berichtet, die im Oberdeck wohnen und über Klatsch von der Kommandobrücke. Die dort oben müssen verrückt sein. Sie reden viel, ohne etwas zu sagen und schwafeln von schönem Wetter und einem vollen Kohlebunker. Vom Ziel spricht jedoch keiner, und ich bin mir nicht mehr sicher, ob es überhaupt eines gibt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Schiff im Kreis herum fährt. Und jedes Mal kommen die gefährlichen Klippen etwas näher.
Gestern habe ich einen Matrosen nach den Rettungsbooten gefragt. Er hat mich nur verständnislos angeschaut. Ich traf dann im Speisesaal den Besitzer eines Bordladens, der Bescheid wusste. Charlie hiess er. Er habe auch schon nach Rettungsbooten gesucht und keine gefunden. Es gäbe zwar einen Passagier, einen gewissen Herrn Eichelburg aus Wien, der steif und teuer behaupte, es hätte welche, doch in Wirklichkeit gäbe es nicht einmal Ringe oder Rettungswesten. Auf jeden Fall nicht für uns, meinte Charlie. Vielleicht für „die da oben“. Doch im Orkan würde man auch mit ihnen untergehen.
„Wenn der Kahn absäuft, versinken die Bordläden und Küchen mit und es gibt weder etwas zu kaufen, noch zu essen“, meinte er.
Beunruhigt fragte ich ihn: „Der Sturm kann doch nicht ewig dauern, einmal muss es vorbei sein.“
Charlie machte ein bekümmertes Gesicht. „Das da draussen ist bloss ein bisschen Wind, der grosse Sturm kommt erst noch.“
„Können wir denn nicht abdrehen?“
„Dazu ist es bereits zu spät. Rechts sind die Klippen, links die Untiefen. Ausserdem kämen wir nicht gegen die Strömung an. Dazu fehlt es an Kohle. Der Kapitän hat den richtigen Zeitpunkt verpasst.“
„Alles dreht sich nur um Kohle“, murrte ich. „Auch die Zeitung ist voll davon. Was tun die eigentlich oben auf der Brücke?“
„Sie streiten sich, was sonst.“
„Um Kohle oder was?“ Ich war in gereizter Stimmung.
„Das auch. Aber vor allem um die eigene Herrlichkeit. Sie sind nämlich alle besoffen.“
„Besoffen?“, rief ich entsetzt. „Auch der Steuermann?“
„Ja, auch die Steuermänner. Sie haben zuviel Macht getrunken. Das schädigt das Gehirn.“
„Können wir denn nicht wenigstens SOS funken?“
„Es gibt niemand, der uns empfangen würde. Selbst Gott funkt nicht mehr auf der gleichen Frequenz.“
„Das ist ja furchtbar. Gibt es denn keine Möglichkeit, dieses Narrenschiff zu verlassen?“
Charlie lachte laut, aber es klang nicht fröhlich. „Leider nein. Jeder muss bleiben bis zum Schluss.“
„Zum Schluss? Sie meinen doch sicher bis zum Ziel?“
Charlie sah mich darauf nur seltsam an und meinte, er müsse jetzt in seinen Laden zurück. Die Kunden würden schon Schlange stehen.
„Was verkaufen Sie eigentlich?“, fragte ich ihn beim Gehen.
„Beruhigungspillen und rosarote Brillen. Aber auch viel Bling-Bling und ähnlichen Kram.“
Liebe Passagiere, ich bin sehr beunruhigt. Umsomehr als ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann und wie ich auf dieses Schiff gekommen bin.
Euer Traumperlentaucher