Um das fünfzigste Lebensjahr herum ziehen viele Menschen Bilanz. Man schaut zurück und überlegt, wie man wurde, wer man ist. So auch die beiden Autoren. Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo schrieben ein grundehrliches Buch, das vor allem auch Menschen im gleichen Alter ansprechen wird.
Im Untertitel verraten die Autoren, worum es ihnen geht: Um das, was in ihrem Leben wichtig ist. Es ist die immer wieder gestellte Frage nach den Werten, die Hacke und di Lorenzo hier beantworten. In einer Art Dialog sprechen die beiden über ihre Kindheit und ihre berufliche Entwicklung. Aber auch über die Politik und den Wandel gesellschaftlicher Werte in Deutschland.
Bei diesem Thema hätte das schnell in pathetischen Worten abgleiten können. Den beiden gelingt es jedoch, aus einer sehr persönlichen Sicht heraus, diese Klippe zu umschiffen. Man hört ihnen gespannt zu. Es sprechen hier zwei Zeitzeugen, die Gesellschaft und Politik seit Jahren genau beobachten und beschreiben.
Nicht alles, was Hacke und di Lorenzo als Wert für sich definieren, stellt unbedingt auch einen für mich dar. Das mag am geringfügig höheren Alter der Autoren liegen; mit Sicherheit aber an der völlig anderen Sozialisierung, die ich durchlebte. Und doch gibt mir das Buch einiges mit am Denkanstößen und ein Verständnis für die Generation der Gleichaltrigen, die im anderen Teil Deutschlands aufwuchsen.
Was das Buch für mich auszeichnet, ist die große Ehrlichkeit, mit der die beiden über ihr Leben sprechen. Nichts bleibt ausgespart. Weder die Kindheit, die freier war – oder so wahrgenommen wurde – als es die eigenen Kinder erleben (dürfen), noch die Strenge, mit der erzogen wurde. Schläge und Missachtung dessen, was den Willen des Kindes ausmacht, kommen genauso zur Sprache wie die subjektive politische Entwicklung – sprich: die Festigung von Wertvorstellungen. Sie sprechen über die Verantwortung von Politikern; aber auch über die immer mehr abnehmende gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme der Bevölkerungsmehrheit. Über Zuwanderung (Giovanni di Lorenzo hat einen italienischen Vater) und die Fehler, die dabei gemacht worden sind. Sie reden über eine Gesellschaft, in der Depressionen bzw. “Burn-Out” inzwischen zur Normalität gehören. Und sie liefern ein Plädoyer für mehr Gelassenheit.
Die Worte von Axel Hacke am Ende des Buches fassen die Suche der beiden Autoren nach ihren Werten zusammen: “…es geht um die Bereicherung des eigenen Selbst, um menschliche Autonomie, in der man sich für etwas anderes entscheiden kann, als nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe zu sein, eine Entscheidung … für das Leben da draußen, für die Gemeinschaft, in der man lebt und ohne die man nicht leben will und kann, dafür, andere Menschen nicht nur als Konkurrenten, sondern eben als andere Menschen zu sehen.” [Seite 213]
Freiheit, so lässt sich das Buch zusammenfassen, Freiheit ist die Möglichkeit, sich selbst zu entscheiden welchen Platz in der Gesellschaft man einnehmen möchte. Auch, wenn das oft schwer fällt und Kraft kostet.
Nic
Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo, Wofür stehst Du? – Was in unserem Leben wichtig ist, Kiepenheuer & Witsch 2012 (Taschenbuchausgabe), ISBN978-3-462-04372-3, 8,99 Euro