Wo Zivilcourage endet

An einer Sache kommt man derzeit nicht vorbei. An der Z-i-v-i-l-c-o-u-r-a-g-e. Alle sind dafür. Jeder will mehr davon. Und wer sie zeigt, der ist ein regelrechter Held. Wer keine hat, sollte sich verstecken. Politiker betonen das dieser Tage immer wieder. Wir brauchen dringend mehr Leute mit Zivlicourage, sagen sie.
Wo Zivilcourage endetJeder will das jetzt hören. Die Zivilcourage ist die Sonntagsrede für den Wochentag. Man führt sie gerne im Mund, denn jeder würde einen Blankoscheck unterschreiben, dass sie notwendig ist. In Wirklichkeit meinen es die, die jetzt so von ihr schwärmen, überhaupt nicht so. Andere zivilcouragierte Handlungen haben sie beschimpft und denunziert. Und überhaupt ist in diesem Lande die Zivilcourage ein Akt, den man nur gegen Privatpersonen anwenden darf. Ja, man muss fast annehmen, dass das »Zivile« in dem Wort nicht bedeutet, dass ein Zivilist Hartnäckigkeit und Rückgrat beweist, sondern dass er diese Haltung nur gegenüber Zivilisten zur Geltung bringen darf. Gegen »Bürger in Uniform« nicht. Wer da Haltung bewahrt, der zeigt vielleicht Sturheit, Zuwiderhandlung oder »steckt seine Nase in Sachen, die ihn nichts angehen«. Zivilcourage unterstellt man ihm jedoch ganz sicher nicht.

Ich erinnere mich da an einen Fall. Vor einiger Zeit stand eine Studentin einem schwarzen Mann bei, der von zwei Bundespolizisten in der Bahn gegängelt wurde. Die Frau mischte sich zusammen mit einer Freundin ein. Eine von ihnen wurde im Polizeigriff abgeführt und sie klagte dagegen. Attestierte man ihr Zivilcourage? Wo denkt man hin! Gegen einen Uniformierten gibt es eine solche Haltung nicht. Das Gericht übernahm die Bewertung der Beamten. Und die sprachen nicht von Courage, sondern davon, dass die beiden Frauen »die Maßnahme sichtlich beeinträchtigt haben«. Da ist es dann aus mit dem allgemeinen Lob auf die Zivilcourage. Wer gegenüber Amtspersonen eine solche Standhaftigkeit zeigt, bekommt kein Lob. Und Amtsperson meint hierbei auch all die traurigen Figuren, die in einer Phantasieuniform stecken. Man braucht nur mal in einem fahrenden Zug einen Schaffner anquatschen, weil er mit dem Südländer zwei Reihen weiter hinten sprach, wie mit einem Idioten. Der droht sofort mit Rausschmiss. Denn wer so auftritt, den nennt man hierzulande Störenfried und den sieht man im Fernsehen bei »Achtung Kontrolle!« als denjenigen wieder, der die öffentliche Ordnung gefährdet.
Waren denn die Stuttgarter, die sich gegen den Bahnhof solidarisierten, nicht auch Zivilcouragierte? Und die Leute von Occupy? Man trieb sie auseinander und schlug sie wie Vieh. Wutbürger nannte man sie despektierlich. Querulanten. Provokateure und Aufwiegler. Viele Namen grassierten damals. Von Zivilcourage las man aber wenig. Ihre Courage ging ja auch gegen die Falschen. Gegen einen Neonazi oder einen wüsten Schläger darf man sie richten. Das erntet Lob. Aber bloß nicht gegen das Kapital und gegen den Filz. Zu viel Zivilcourage ist halt blanker Gesinnungsterror, nicht wahr.
Brauchen wir also mehr Zivilcourage? Vielleicht. Der Innenminister will ja auch via »Aktenzeichen XY« Preise an Leute verteilen, die sich eingemischt haben. Nur nicht bei Polizeiangelegenheiten. Oder in die örtliche »Eine-Hand-wäscht-die-andere«-Lokalpolitik. Private Vorgänge aber gerne. Und mehr davon, der Minister will schließlich beschäftigt werden und Hände schütteln und Schirmherr sein. Aber ein bestimmter Teil der Zivilcourage, den es nicht ganz so selten gibt, der wird verunglimpft. Das sollte man all diesen Quartalsbetroffenen, die jetzt ihren Gesichtserker in die Objektive stecken, mal deutlich sagen. Direkt und unverblümt. Ohne Rücksicht auf Konsequenzen und die Bodyguards, die einen gleich zu Boden zerren. Das wäre auch Zivilcourage. Eine, von der auch keiner spricht, denn Politiker werden in Deutschland nur gewählt, dass sie sich auch noch Vorwürfe machen lassen müssen, stört nur die Ordnung der Dinge.
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