Wo Volkes Stimme flüstert

Wo Volkes Stimme flüstertEine wahre Volksbewegung haben sie ausgemacht rund um Joachim Gauck, den "lebensklugen und freiheitlich gesinnten Kopf" (n-tv), "den wir so dringend im höchsten Amt des Landes brauchen". Am Tag vor dem Endspiel um den Bürgerthron im Schloss Bellevue, das alle Buchmacher für so entschieden halten, dass sie zwar Wetten auf den Sieger beim nächsten "Schlag den Raab", aber keine auf den Gewinner der Präsidentenkür anbieten, läuft die irrlichternde Medienmaschine noch einmal zu großer Form auf. Überall Porträts der Zählkandidaten, überall dringliche Erwähnungen einer Volksbewegung, die sich in Facebookgruppen und Twittereinträgen manifestiere.
Dort, wo keine zehn Prozent des deutschen Volkes sich tummeln, sei das wahre Volk zu finden, das der"begnadete Redner" Gauck aus seiner Politikverweigerung erweckt habe, so hat es der Rat der Presseweisen beschlossen. Denn Gauck, darauf haben sich die Meinungsführer festgelegt, "ist einer, der sich nicht in den engen Grenzen politischer Machtspielerei bewegt". Das komme dann halt an beim Volk, dem die zur Staatsaffäre aufgeblasene Scharade um die Besetzung des höchsten unwichtigen Amtes in Wirklichkeit natürlich so herzlich egal ist wie sie es immer war.
Der genaue Blick auf das virtuelle Volk, das sich für den "eloquenten Ossi" (n-tv) in die Bresche wirft, lässt da keinerlei Zweifel. Keine hunderttausend Köpfe zählen alle Facebook-Gruppen, die den"optimistischen und freiheitlich gesinnten Kopf, den wir in den schwierigen Jahren, die vor uns liegen, so dringend im höchsten Amt des Landes brauchen" (n-tv) mit ein paar kostenfreien Tastendrücken unterstützt haben. Zu einer Demo für Gauck in der richtigen Welt kamen letzte Woche 30 Menschen und ebenso viele Kamerateams. Weniger sind nicht einmal in der DDR des Frühherbst 1989 auf die Straße gegangen.
Wenn das des Volkes Stimme ist, dann flüstert sie. Gauck, selbst intimer Kenner der neuen Medien und entschiedener Verfechter einer Löschung aller Internetinhalte, die "in gedruckter Form verboten" sind, ist durch viel Überhöhung und mediale Anbetung längst der "Präsident der Herzen" (n-tv) geworden. Neben ihm ist kaum noch Platz für die Nachricht, dass im Schatten der WM endlich doch noch das Swift-Abkommen durchgedruckt werden konnte, dass das BKA die Lizenz zum Erstellen von verdachtslosen Profildatenbanken erhalten hat, dass der Rettungsfonds Sofin plötzlich als neue Bundesbehörde für die Ewigkeit eingerichtet wird.
Guack überstrahlt alles, was keinen Ball schießt. Nichts, was der Pfarrer von der Küste und Ex-Inquisitor der alten DDR-Eliten den über ihn geschriebenen Porträts zufolge nicht ist: Alt an Jahren, aber immer noch jung im Kopf. Eine moralische Autorität. Eine Verkörperung von Mut, Standhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Ein Symbol für Freiheit, Kämpfer für Demokratie und Freiheit, ein Symbol für Gerechtigkeit, ein überparteilicher Kandidat. Einer, der sich auf keinerlei Kungeleien einlässt. Jemand, der die Massen wieder politisiert, der ein Bedürfnis stillt, das längst nicht nur in Deutschland spürbar geworden ist: das Bedürfnis nach Persönlichkeiten anstelle von Personal, nach Führern statt Posteninhabern.
Im Halbfinale, so erwarten es alle Beobachter, wird sich dieser Mann, der kaum mehr menschlich wirkt in seiner vollkommenen Vollkommenheit, sicher gegen die linke Proforma-Bewerberin und den rechten Provokationsbarden durchsetzen. Direkt von der Pressekonferenz der deutschen Mannschaft in Südafrika, bei der noch einmal über Videobeweis und Schiri-Schelte gesprochen werden wird, schalten dann alle Sender zur Finalpaarung in der Bundeshauptstadt. 1244 Aktive treten in drei Mannschaften an, den zuvor abgesprochenen Ausgang herbeizuführen. Geht alles gut, ist zum Nachmittagstraining der Deutschen schon alles in trockenen Tüchern, missrät es, wird der WM-Spiel-freie Mittwochabend mit Kanzlerinnenrücktritt, Staatskrise, Sigmar-Gabriel-Interviews und nachrichtlich aufbereiteten Twitter-Screenshots überbrückt. "Der Ball war drin", wusste Joachim Gaucks Vorgänger Heinrich Lübke einst. Und dabie bleibt es.Wir sprechen zwar verschiedene Sprachen. Meinen aber etwas völlig anderes.

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