Wo sind die ganzen linken Journalisten?

Ach ja, die Journalisten! Ich habe mir gerade The Hour noch einmal angesehen, jene feine kleine Retro-Serie, die die BBC sozusagen über sich selbst gemacht hat. Wie es damals anfing, mit den aktuellen Nachrichtenmagazinen, die man auf keinen Fall versäumen durfte, wenn man mitreden wollte. Die Serie spielt im Jahr 1956 – der ägyptische Präsident Nasser verstaatlicht den Suez-Kanal, Großbritannien findet das gar nicht lustig und bombardiert Kairo, in Ungarn gibt es einen Volksaufstand und die Sowjetarmee marschiert ein, die Welt steht möglicherweise am Rande eines Atomkriegs. Und die BBC darf über kein Thema berichten, das in den nächsten 14 Tagen im britischen Unterhaus behandelt wird.

Müssen das herrliche Zeiten gewesen sein, als Journalisten noch gegen richtige Zensur kämpfen mussten, anstatt sich ständig selbst zu zensieren! Kettenrauchend und mit viel Alkohol tüfteln die Protagonisten von The Hour daran, wie sie die Informationssperre und ihre Chefs austricksen könnten. Und nebenbei ist Freddy Lyon (genial besetzt mit Ben Whishaw) der sexyste Journalist seit Robert Redford den legendären Bob Woodward in Die Unbestechlichen gespielt hat.

Meine The-Hour-bedingte Begeisterung für den intelligenten, unkonventionellen und überaus hartnäckigen Freddy Lyon hat mich veranlasst, mal nachzuschauen, was seine langweiligen (und sehr viel unattraktiveren) deutschen Kollegen so machen und dabei bin ich leider wieder über den schwarzen Kanal von Jan Fleischhauer gestolpert. Der sich fragt, warum denn so viele Journalisten links seien. Dabei stützt er sich auf die Ergebnisse einer superaktuellen Umfrage aus dem Jahr 2005. Damals hat das Hamburger Institut für Journalistik unter 1500 Journalisten aller Gattungen (was meinen die damit?! Dass alle zur Gattung der Vertebraten gehören? Oder was heute sonst die Mindestanforderung für Journalisten ist? Irgendwie höre ich im Kleinhirn Walter Moers und er flüstert heiser “ziemlich dumme Gattung, nur ein Hirn”, es folgt ein Kicheranfall, vielleicht ist es auch Husten) nach ihren politischen Vorlieben befragt. Dabei verteilte sich die politische Sympathie der im Meinungsgeschäft Tätigen wie folgt: Grüne: 35,5 Prozent, SPD: 26 Prozent, CDU: 8,7 Prozent, FDP: 6,3 Prozent Sonstige: 4. Keine Partei: 19,6 Prozent. Sympathien für Die Linke wurden gar nicht erst genannt. Und wirklich Linke sind vermutlich gar keine dabei.

JF hingegen leitet aus diesem Ergebnis interessanterweise her, dass sich nur 15 Prozent der Journalisten dem bürgerlichen Lager zurechnen würden. Geht’s noch?! Hallo?! Es gibt ja kaum eine bürgerlichere Partei als die GRÜNEN! Ökologisch korrekte Besserverdiener – die haben noch nie ein Herz für die Nöte der kleinen Leute gehabt, die sie im Grunde ihres Herzens zutiefst verachten. Und die alte Tante SPD – ich sag nur: Kriegsanleihen 1914. Die haben uns schon immer verraten, die Sozialdemokraten. Siehe Gerhard Schröder. Niemals hätte sich Schwarzgelb getraut, den Leuten alles zu nehmen, was sie sich angeblich redlich erarbeitet haben. Arbeit soll sich lohnen – wie konnte man diese Illusion nachhaltiger zerstören als mit der Agenda 2010?!

Wenn ich jetzt arbeitslos würde, nach meinem Studium, nach der Erziehungszeit für zwei Kinder, nach mehr als 15 Jahren engagierter und treuer Dienste für meine Chefs – ich hätte nach einem Jahr Gnadenbrot noch ein langes und elendes Leben als Hartz-IV-Empfängerin vor mir. Und es kann jederzeit eintreten, mein Laden muss nur pleite gehen. Ich bilde mir nicht ein, dass ausgerechnet ich immun gegen Arbeitslosigkeit und das damit verbundene Elend wäre. Es hängt nämlich nicht davon ab, was jemand zu leisten im Stande wäre, sondern hauptsächlich davon, ob jemand das Glück hat, irgendwas leisten zu dürfen, von dem jemand anders denkt, dass irgendwer das bräuchte.

Wie auch immer, Fleischhauer denkt, dass er sich in der Minderheit befände. Was für ein eitler Irrglaube! Das bürgerliche Lager hat doch mindestens 80 Prozent seiner Kollegen inkorporiert! Egal, welchen Sender ich einschalte, alles, aber wirklich auch alles, was ich an Berichterstattung sehe, ist absolut konform mit den bürgerlichen Werten! Es gibt keinerlei Revolutionspropaganda, nicht mal ein bisschen, es gibt keine echte Kritik am System. Es gibt allenfalls hilflose Versuche, die Schlechtigkeit der Welt zu zeigen, OHNE die eigentlichen Gründe für die beschissenen Verhältnisse zu nennen.

Ja, es wird über Offshore-Leaks berichtet und auch über die unglaubliche Ausbeutung der Arbeiter in Pakistan, Bangladesh oder gar bei Amazon in Deutschland. Aber niemand kritisiert den Umstand, dass sich Leute auf Kosten der anderen bereichern dürfen. Schließlich sind wir alle frei, selbst stinkreich auf Kosten der anderen zu werden. Ja, es wird lamentiert darüber, dass Manager unglaublich viel “verdienen”, während diejenigen, die die Arbeit machen, mit Hungerlöhnen abgespeist werden.

Es findet sich dann aber immer einer, der das dann total ausgewogen “Neiddebatte” nennt. Natürlich sind Menschen, die für einen oder fünf Euro pro Stunde richtig ranklotzen müssen, neidisch auf andere, etwas solche, die für einen Vortrag von gut einer Stunde mal eben das Jahresgehalt eines Normalverdieners einstreichen können – zusätzlich zur reichlichen Diät des Berufspolitikers. Und sie sind völlig zu recht neidisch! Solche Bereicherungsvorgänge sind einfach unverschämt, selbst wenn es “einen Markt” für derartige Vorträge gibt, wie der SPD-Kanzlerkandidat behauptet.

Dann schafft halt auch mal einen Markt für die Vorträge der anderen, ihr Arschlöcher! Ist ja nicht so, dass es sonst niemanden gäbe, der was zu erzählen hätte. Ich würde übrigens auch Vorträge halten. Spesen und ein niedriger fünfstelliger Betrag für einen Abend, und schon sage ich euch, was ihr garantiert nicht hören wollt. Wenn ihr mich nur mal einladen würdet! Aber so weit reicht die Meinungsfreiheit in diesem Land nicht. Die Leute, die was zu sagen haben, laden natürlich nur die Leute ein, die sagen, was sie hören wollen. Und genau das ist auch das Dilemma der Journalisten. Wobei die das ja nicht mal mitkriegen – nach einer entsprechenden Ausbildung ist man ja eh so gehirngewaschen, dass man andere Zustände als die herrschenden für gar nicht möglich hält.

Wie viele Journalisten , die sich keiner Partei zugehörig fühlen, lehnen tatsächlich bürgerliche Werte ab?! Unter den “Sonstigen” befinden sich vielleicht 2 bis 3 Prozent Nazis – die lehnen diese Gesellschaft bestimmt ab. Ohne dass ich sie deshalb sympathischer fände. Das sind die Erzfeinde der Linken. Das sind die Erzfeinde der Menschheit.

Vielleicht gibt es bei den Sonstigen auch noch ein paar Kommunisten. Vielleicht sogar unter denen, die lieber “keine Partei” nennen, weil ihnen das noch lieber ist als die verstaubte DKP. Aber das sind bestenfalls ein paar Promille. Ein paar Promille der deutschen Journalisten sind möglicherweise wirklich links. Das könnte eine gute Nachricht sein.

Ich hab mal was recherchiert, weil ich, wenn ich denn Journalistin wäre, gern eine gute wäre. Eine Linke. Genau diese 2005er-Umfrage benutzt auch die Bundeszentrale für Politische Bildung für ihre Darstellung, was Journalisten sind und wie sie arbeiten. Genau, jene Einrichtung, die am m 1. März 1918 als “Zentrale für Heimatdienst” noch im Kaiserreich gründet wurde. Also auch eine bis ins Mark rechte Institution.

Und die sagt wiederum, dass fast neun von zehn der befragten Journalisten (89 Prozent) ihr Publikum möglichst neutral und präzise informieren wollen. Acht von zehn (79 Prozent) möchten komplexe Sachverhalte vermitteln und jeweils drei Viertel (74 Prozent) beabsichtigten, Informationen möglichst schnell zu vermitteln sowie die Realität so abzubilden, wie sie ist. Freddy Lyon befindet sich also in guter Gesellschaft, ohne dass man ihm unterstellen müsste, ein Linker zu sein. Wobei, wenn ers denn wäre, fände ich ihn noch sexyer. Aber er ist halt einfach nur ein guter Journalist.

Immerhin sechs von zehn befragten Journalisten (60 Prozent) wollten sich auf Nachrichten konzentrieren, die für ein möglichst breites Publikum interessant sind. Die Aufgabe, die Öffentlichkeit zuverlässig und schnell mit Informationen zu versorgen, gehöre damit zentral zum beruflichen Selbstverständnis der Journalisten in Deutschland – und das auch in Bereichen mit unterhaltenden Schwerpunkten, wie Publikums-Zeitschriften und Lifestyle-Ressorts. Vielen Dank, liebe Bundeszentrale. Jetzt bin ich bestens politisch gebildet.

Genau wie die anständigen deutschen Journalisten. Ist ja schön mit der ganzen Ausgewogenheit und Lebensnähe. Aber nichts daran ist spezifisch links.

q.e.d.: Der schwarze Kanal ist absolut Mainstream, und die Kolumne “im Zweifel links” vom Fleischhauer-Kollegen Augstein so ziemlich das Linkste, was der offizielle deutsche Qualitätsjournalismus an Linkem zu bieten hat – nämlich ein verzweifeltes Plädoyer für Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft, in der es aber bitte auch ein bisschen gerecht zugehen müsse. Armes Deutschland.

Und jetzt noch ein bisschen Werbung für wirklich linke Qualitätsmedien:

junge Welt
Gegenstandpunkt



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